Was Weidehaltung für die Milch- und Fleischproduktion bedeutet
Petition an Landwirtschaftsminister Özdemir unterzeichnen: Kühe gehören auf die Weide- Nachricht
Was würde passieren, wenn alle Kühe auf der Weide grasen würden – statt aufwändig hergestelltes Hochleistungsfutter in den Trog geschüttet zu bekommen? Wie viel Milch und Fleisch gäbe es dann noch? Eine neue Greenpeace-Studie rechnet das vor: Obwohl die produzierte Milchmenge deutlich sinken würde, könnten dafür über zwei Millionen Hektar Ackerflächen für den Anbau von Nahrungsmitteln frei werden und der Ausstoß von Treibhausgasen um ein Drittel abnehmen.
Das Gerücht hält sich hartnäckig: Kühe stehen im Sommer auf der Weide und fressen Gras. Und wenn es draußen ungemütlich wird, werden sie im Stall mit Heu und Grassilage versorgt. Sie verwerten also Gras, das für den menschlichen Verdauungsapparat nicht nutzbar ist, und machen daraus Lebensmittel in Form von Milch und Fleisch. Bei Schweinen etwa würde diese Haltung nicht funktionieren, sie können sich nicht ausschließlich von Gras ernähren. Die Kuh als Steppentier hat damit eine Sonderstellung, sie kann Weiden sinnvoll nutzen – die für den Anbau von Lebensmitteln nicht infrage kommen, etwa weil der Boden zu feucht oder das Gelände zu steil ist oder aber auch, weil es aus ökologischen Gründen ein Grünlandumbruchverbot gibt. Soweit die Theorie. In der Praxis sieht es leider ganz anders aus. Die heutigen Milchmengen von 10.000 Litern und mehr Milch pro Kuh und Jahr können unmöglich allein mit Gras erzeugt werden. Dafür brauchen die Rinder energiereiche Futtermittel wie Silomais und Kraftfutter.
Gras spielt in Deutschland in der Futterration häufig nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Produktion des Kraftfutters belegt jedoch Ackerflächen, auf fünf Millionen Hektar werden in Deutschland Futterpflanzen angebaut – die dann nicht mehr für den Anbau von Nahrungsmitteln wie Kartoffeln oder Weizen fürs Brot zur Verfügung stehen.
In Zukunft wird die verfügbare Ackerfläche allerdings immer begehrter werden: Wir brauchen sie für die Erzeugung von Lebensmitteln, aber auch für den Anbau nachwachsender Rohstoffe als Ersatz für fossile Brennstoffe. Immerhin ein Drittel der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland ist Grünland, also kein Ackerland. Wäre es da nicht sinnvoll, die Kühe wieder mit Gras zu füttern?
Kühe auf der Weide: positiv für Flächenverbrauch, Klima und Tierwohl
Doch wie hoch ist eigentlich das Potenzial des Grünlands in Deutschland: Wieviel Milch könnte eine Kuh geben, wenn sie wieder hauptsächlich Gras fressen würde? Welche Auswirkungen hätte das auf die Anzahl der Rinder? Wieviel Milch und Rindfleisch könnte noch erzeugt werden? Wie würde sich der Flächenverbrauch verändern und der Umfang an Klimagasen, die aus der Rinderhaltung stammen? Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in der Schweiz ist diesen Fragen im Auftrag von Greenpeace nachgegangen.
Die Forscher haben dafür drei Szenarien entwickelt:
- Im ersten Szenario (GM) wird das gesamte Grünland in Deutschland für die Milchproduktion genutzt, das heißt, die Kühe werden ausschließlich mit Gras gefüttert.
- In der zweiten Variante (GM+N) stammen zehn Prozent des Futters aus Nebenprodukten der Lebensmittelherstellung (zum Beispiel Kleie, Biertreber, Melasse).
- Im dritten Szenario (GMF CH) besteht die Futterration zu 85 Prozent aus Gras, zu zehn Prozent aus Kraftfutter und fünf Prozent aus Silomais.
Die Anzahl der Milchkühe würde sich geringfügig verändern: von heute 3,8 Millionen Tieren auf 3,6 (in den beiden ersten Szenarien) beziehungsweise 3,1 Millionen. Die Anzahl der übrigen Rinder würde dagegen stark zurückgehen, weil in den Szenarien Mastrinder früher als üblich geschlachtet werden und keine Kühe zur reinen Rindfleischerzeugung gehalten werden.
Die durchschnittliche jährliche Milchmenge würde ohne den Einsatz von Maissilage und energiereichem Kraftfutter dagegen je nach Szenario um bis zu 50 Prozent sinken. Die Kühe gäben aufgrund der veränderten Fütterung nur noch zwischen 5.000 bis 6.500 Liter Milch im Jahr.
Auch die produzierte Fleischmenge würde deutlich zurückgehen. Gleichzeitig würden aber 2,4 Millionen Hektar Ackerflächen frei, auf denen bisher Mais und anderes Ackerfutter für Kühe und Mastrinder angebaut werden. Auf diesen Flächen könnten direkt Nahrungsmittel für den Menschen wachsen. So ließen sich zweieinhalb bis dreieinhalb Mal mehr pflanzliches Protein erzeugen, als an tierischem Protein durch die Reduktion von Milch- und Fleischproduktion wegfielen. Solch eine stärker pflanzliche Ernährung empfiehlt nun auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Ihre aktuelle Empfehlung: statt dreimal täglich nur noch zweimal Milch und Milchprodukte zu sich nehmen und dafür mehr pflanzliche Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Nüsse.
Und der Ausstoß an Treibhausgasen aus der Rinderhaltung würde um ein Drittel zurückgehen, weil durch die reduzierte Anzahl der Rinder zum einen die Methanemissionen sinken und zum anderen die Emissionen des Ackerfutteranbaus wegfallen. „Wir müssen die Kuh wieder zu dem machen, was sie ursprünglich war: ein exzellenter Verwerter von Grünland”, sagt Martin Hofstetter, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace. “Das wäre positiv für den Flächenverbrauch, die Gesamtproduktion von Nahrungsmitteln, das Klima und das Tierwohl.”
Zu guter Letzt geht es Wiederkäuern im Sommer auf der Weide deutlich besser als im Stall: Sie können sich bewegen, haben Platz, können je nach Stimmungslage Abstand oder Nähe zu anderen Kühen halten. Und ihr Stoffwechsel wird nicht so stark durch hochkonzentriertes Kraftfutter und enorme Milchproduktion belastet, wie es bei Hochleistungskühen im Stall der Fall ist.
Wie ließe sich die Weidehaltung umsetzen?
Aber ist das realistisch? Oder ist diese Lösung reine Utopie? Schließlich würde eine solche Umstellung auch große Veränderungen für die landwirtschaftlichen Betriebe bedeuten. “Es gibt immer mehr Betriebe, die das in Deutschland, aber auch in der Schweiz, Irland, Österreich oder Neuseeland praktizieren und damit auch ökonomisch gut zurecht kommen”, sagt Hofstetter. Das ginge aber nur, wenn die Betriebe über genügend Grünland verfügen und sich davon freimachen, immer neue Höchstleistungen mit ihren Kühen zu erzielen. Und dazu müssten Betriebe die höheren Aufwendungen bei der Grasfütterung auch bezahlt bekommen.
“Für viele Milchviehbetriebe in Grünlandregionen würden schon fünf bis zehn Cent mehr pro Liter ausreichen”, sagt Hofstetter. Im Supermarkt sei jedoch für Verbraucher:innen derzeit kaum zu erkennen, was für eine Milchviehhaltung hinter Käse- und Milchprodukten steckt. "Die meisten Molkereien haben kein Interesse, die Milch von Grünlandbetrieben getrennt zu verarbeiten und honorieren das entsprechend nur ungern”, so Hofstetter. Stattdessen vermarkten sie oftmals Produkte mit dem Grünland-Image wie etwa Bärenmarke, ohne dass dahinter eine entsprechende Fütterung steckt. Die Kühe stehen statt auf der Weide meist im Stall und erhalten Futter, das auf wertvollen Ackerflächen angebaut wird.
“Auch die Politik sollte dringend handeln und die Bewirtschaftung von Grünland beispielsweise durch eine Weideprämie fördern”, sagt Hofstetter. “Durch höhere Standards im Tierschutz bei der Rinderhaltung und staatliche Regeln zur Kennzeichung von Weidemilch kann die Politik dabei helfen, dass Rinder wieder vermehrt Gras erhalten - das fördert die Gesundheit der Tiere und schützt das Klima und die Artenvielfalt.”
Artenvielfalt auf der Weide
Grünland gehört zu den artenreichsten Flächen in Deutschland
Über Jahrhunderte haben sich Tier- und Pflanzenarten an Vertritt und Verbiss durch Weidetiere angepasst und sich reichhaltige Pflanzengesellschaften gebildet. Da Rinder sich auch ausschließlich von Gras ernähren können, sind Kühe eigentlich sehr gut geeignet, um den Artenreichtum auf diesen Flächen zu erhalten und fördern. Durch die Art und Weise der heutigen Milchkuhfütterung hat sich dieser Effekt jedoch ins Gegenteil verkehrt. Durch das häufige Mähen von intensiv gedüngten Wiesen wird die Artenvielfalt dezimiert. Bei jedem Mähvorgang gehen 5- 80 Prozent der Individuen einer Tierart verloren, sie überleben den Mähvorgang nicht.
Bei vielen Pflanzen kommt es zu vergleichbaren Folgen, sie verschwinden, da sie zum Beispiel nicht zur Blüte kommen. Je häufiger eine Fläche gemäht wird, desto höher ist folglich der Artenschwund. Verschwinden einzelne Arten, kann dies direkte Folgen für andere Arten haben, die auf diese angewiesen sind, z.B. Vögel, die sich von Insekten ernähren. Intensive gemähte Grünlandflächen werden zudem häufig noch als Entsorgungsflächen für die anfallende nährstoffreiche Gülle der Kühe benutzt. Die dadurch entstehenden hohen Stickstoff- und Phosphatkonzentrationen im Boden machen weiteren Arten den Garaus. Es entstehen artenarme, überdüngte Güllewiesen. Durch eine reduzierte Düngung und Umstellung auf eine weidebasierte Milchviehfütterung, könnten solche Güllewiesen innerhalb weniger Jahre wieder zu lebendigen, artenreichen Weiden werden.
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