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Kuh streckt Maul Richtung Kamera
© Mitja Kobal / Greenpeace

Kühe, Methan und Klimaschutz

„Wir können die Erderwärmung bremsen, wenn wir Methan reduzieren.“ Wissenschaftler Bernhard Osterburg spricht über die Herausforderung, Rinderhaltung und Klimaschutz zu vereinbaren. Er erklärt, warum wir uns mehr mit Nandus beschäftigen sollten und wie wichtig Innovationen in der Landwirtschaft sind. 

Bernhard Osterburg

Agrarökonom Bernd Osterburg leitet die Stabstelle Klima und Boden beim Thünen-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei.

Greenpeace: Herr Osterburg, die einen halten die Kuh für eine Klimakillerin, die Gegenseite für eine Klimaschützerin. Was stimmt denn nun?

Bernhard Osterburg: Eines vorweg. Die Kuh ist eines der ersten domestizierten Tiere, mit denen der Mensch schon lange koexistiert. Mit ihr verbinden wir, was es bedeutet, täglich Nahrung zu haben. Es gibt eine enge, lange gewachsene Verbindung. Das sollten wir, bei allem, was wir hier besprechen, im Kopf behalten.

Greenpeace: Okay, trotzdem hat man das Gefühl, dass die Kuh jetzt für vieles herhalten muss, was in den vergangenen Jahrzehnten schiefgelaufen ist.

Osterburg: Das Problem bei Rindern ist, dass ihre Haltung immer mit Emissionen verbunden ist. Und sie viel Fläche brauchen, um sich zu ernähren. Beides hat viel mit Klimaschutz zu tun. Fangen wir mal bei der Fläche an. Wir können uns schon die Frage stellen: Wollen wir Getreide erzeugen, das wir dann den Kühen geben, damit sie mehr Milch erzeugen? Oder wollen wir Getreide erzeugen, um Brot zu backen und es selbst zu essen?

Greenpeace: Es geht also darum, ob der Umweg über das Tier noch sinnvoll ist?

Osterburg: Ja, es geht darum, wie wir unsere Fläche in Zukunft nutzen wollen. Im Moment schalten wir Warmblüter dazwischen, die auch noch besonders viel Energie brauchen, um dann veredelte, proteinreiche Nahrungsmittel herzustellen. Das ist wenig effizient. Und wir müssen uns fragen: Ist das sinnvoll? Und können wir uns das noch leisten?

Greenpeace: Warum bauen wir auf diesen Flächen nicht Getreide für Menschen an und lassen die Wiederkäuer Gras verwerten, also Pflanzen, die der Mensch definitiv nicht essen kann?

Osterburg: Wiederkäuer setzen das Grünfutter von diesen Flächen sehr gut in Fleisch und Milch um. Das ist ein vergleichsweise effizientes System. Und es gibt in Deutschland viel Grünland. Und weltweit noch viel, viel mehr.

Greenpeace: Dann ist das Problem ja gelöst. Oder?

Osterburg: Im Moment können wir viele Potenziale, die das Grünland bieten würde, gar nicht nutzen. Die Milchleistung, die Kühe allein durch Grundfutter bringen können, ist begrenzt. Aus wirtschaftlichen Gründen werden Kühe aber so gezüchtet, dass sie immer mehr Milch geben. Dafür brauchen sie Kraftfutter. Und auch Silomais als Futter wächst auf Äckern und führt zu einer Konkurrenz zur menschlichen Ernährung.

Greenpeace: Was bedeutet das für den Klimaschutz?

Osterburg: Die Flächennutzungseffizienz ist nicht so günstig, weil man die Emissionen aus der Pflanzenproduktion noch auf die Produktion der tierischen Nahrungsmittel dazurechnen muss.

Greenpeace: Deshalb stehen die Rinder unter besonderer Beobachtung.

Osterburg: Ja, hinzu kommen noch hohe Treibhausgasemissionen, die freigesetzt werden, wenn Moorböden trockengelegt werden, damit auf ihnen Rinder grasen. Und Methan, Lachgas und Ammoniak, die bei der Verdauung der Kühe und beim Düngen der Felder entstehen. Vor allem Wiederkäuer stoßen viel Methan übers Maul aus. Das schlägt zusätzlich auf die Emissionsbilanz und verschärft den Konflikt.  

Wie klimaschädlich ist Methan?

Greenpeace: Was ist so schlimm an Methan?

Osterburg: Das Erwärmungspotenzial von Methan ist viel höher als bei CO2.

Greenpeace: Aber….

Osterburg: …anders als CO2 hat es nur eine kurze Aufenthaltsdauer in der Atmosphäre.

Greenpeace: Ist das angesichts der Lage nicht eher eine gute Nachricht?

Osterburg: Wenn wir Methan emittieren, ist es nach 15 Jahren nicht mehr in der Atmosphäre. Was wir heute emittieren, belastet die nachfolgenden Generationen also nicht, sondern uns selbst. Und wenn wir das abbauen, können wir die Klimawirkung noch selbst erleben. Wir können die Erwärmung also bremsen, wenn wir Methan reduzieren.

Greenpeace: Können wir damit also das CO2 ausgleichen?

Osterburg: So einfach lässt sich das nicht gegeneinander rechnen. Es gibt die einen, die beispielsweise wie die Rindfleisch- und Milcherzeuger sagen, das ist alles nicht so schlimm, die Methan-Emissionen aus der Rinderhaltung gab es schon immer und ihr Gewicht für den Klimaschutz ist aufgrund der Kurzlebigkeit von Methan überschätzt.

Greenpeace: Und die anderen?

Osterburg: Die sagen, dass wir den Minderungseffekt nutzen sollten, weil der Abbau so viel schneller geht als bei CO2. Und wir ja noch erleben wollen, dass der Klimawandel gebremst wird. Über 100 Staaten haben bei der Weltklimakonferenz in Glasgow eine freiwillige Vereinbarung zur Methan-Minderung unterschrieben.

Nur wenn die Zahl der Tiere in der Landwirtschaft halbiert wird, kann der Sektor seinen gesetzlich vorgegebenen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Der Abbau muss jetzt beginnen.

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Greenpeace: Wie hoch ist denn der Emissionsanteil der Landwirtschaft?

Osterburg: Im Moment verursacht der Landwirtschaftssektor in Deutschland rund 14 Prozent, wenn man alle relevanten Bereiche mit einrechnet.

Greenpeace: Das ist ein dicker Brocken.

Osterburg: Und der Anteil wird in den nächsten Jahren noch steigen, weil andere Bereiche ihre Emissionen stärker senken werden, zum Beispiel der Energiesektor durch den Stopp der Kohleverfeuerung und den Ausbau der erneuerbaren Energien.

Greenpeace: Also essen wir alle besser kein Rindfleisch mehr.

Osterburg: Produktionssysteme, die nur Rindfleisch herstellen, sind sehr ineffizient, was die Wertschöpfung einer erzeugten Kalorie in Proportion zur Emission angeht. Deshalb haben die wahrscheinlich keine Zukunft, wenn wir den Klimaschutz ernst nehmen.

Greenpeace: Muss man dann die Milch nicht auch einbeziehen?

Osterburg: Die Milchproduktion ist effizienter, aber auch da fällt Rindfleisch an. Es wird ja keine Altersheime für Kühe geben. Wenn man die Sache zu Ende denkt, müssten die Leute, die nur Milchprodukte essen möchten, eine Antwort darauf finden, was dann mit dem Rindfleisch passiert, das parallel anfällt. Grillt sich das dann der Nachbar? Ich glaube nicht, dass eine Welt ohne Milchprodukte wünschenswert und anzustreben ist. Aber diese Widersprüche müssen wir mitdenken. Und Lösungen entwickeln.

Greenpeace: Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, was die Politik jetzt ändern soll. Wofür würden Sie sich entscheiden?

Osterburg: Als erstes würde ich negativ wirkende Subventionen abschaffen. Um es für alle verständlich zu machen ein Beispiel: Es darf keine Erweiterungs- und Expansionsförderung mehr für Stallbauten geben.

Greenpeace: Warum?

Osterburg: Jeder neue Stall ist eine Entscheidung dafür, dass weiter produziert wird. Und die Frage ist, wie weit wollen wir uns vom Markt entfernen? Wenn der Staat subventioniert, sagt er ja, der Markt regelt es nicht. Und dann haben wir in Zukunft mehr Tiere, als der Markt brauchen würde.

Automatisierter Melkvorgang in einem Milchviehbetrieb in Dedelow bei Prenzlau, Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland.

Vollautomatisches Melken: Etwa 70 Kühe werden gleichzeitig auf einem Melkkarussell gemolken.

Greenpeace: Was wäre denn eine Alternative?

Osterburg: Wenn wir weiter Tierhaltung haben wollen, brauchen wir eine andere Förderung für den Übergang in eine nachhaltigere Tierhaltung. Wir müssen uns klar darüber sein, dass wir jetzt darüber entscheiden, wie viele Tiere in 20 Jahren gehalten werden. Das ist entscheidend: Die Förderung muss mit den politischen Zielen zusammenpassen. Deshalb darf es auch keine Subventionen mehr für Standorte auf Moorböden geben, weil Moorböden in 20 Jahren nicht mehr als Viehweide genutzt, sondern wiedervernässt werden sollten. Wir müssen den Landwirten und Landwirtinnen dort Alternativen anbieten, denn jetzt steht die Entscheidung zwischen den Generationen an, wie wir hier weiterleben und wirtschaften wollen. Oder sollen die ihre Kinder alle in die Stadt schicken?

Greenpeace: Ist das ihr zweiter Wunsch?

Osterburg: Ja, entwickelt endlich Alternativen! In meiner Zukunftsvorstellung muss ein Teil der Leute, die heute Tiere halten, künftig etwas anderes machen. Es können nicht alle einfach so weitermachen, nur ein bisschen nachhaltiger. Wir müssen wirklich Dinge ändern, wenn wir die Klimakrise bewältigen wollen. Wir brauchen eine Transformation. Und die gelingt nur, wenn wir Lösungen entwickeln, die darstellbar, marktnah und attraktiv sind.

Landwirtschaft braucht Innovationen

Greenpeace: Wie könnte denn so eine Alternative aussehen?

Osterburg: Wir müssen die Ställe ja nicht alle abreißen, die stehen in der Landschaft. Wir könnten darin beispielsweise Aquakulturen installieren, dann hätten wir weiterhin tierische Proteine, aber viel weniger Emissionen. Das wäre modern und effizient.

Greenpeace: Glauben Sie, das würde den Landwirt:innen gefallen?

Osterburg: Die Landwirte und Landwirtinnen in Deutschland haben großen unternehmerischen Innovationsgeist. Und diese Innovationskraft müssen wir nutzen, um gemeinsam Lösungen für die Zukunft zu entwickeln. Sie sind gute Manager, die lange in einem harten Konkurrenzkampf überlebt haben. Die wollen auch Geld verdienen und nicht nur Subventionen kassieren. Aber wir dürfen sie auf diesem Weg nicht verlieren.

Greenpeace: Ist die Branche schon bereit für solche Veränderungen?

Osterburg: Ich war mal zu einer Diskussionsrunde auf Pellworm eingeladen. Da wurde gesagt, wir halten hier Rinder, weil hier Gras wächst und nur Rinder können Gras verwerten. Und gleichzeitig wurde über das Gänseproblem geschimpft. Da habe ich gesagt: Dass, was ihr hier als Problem darstellt, könnte auch Teil der Lösung sein. Gänse oder Wildgänse können auch Gras verwerten und liefern tierisches Protein. Wir könnten auch Pferde halten und vielleicht sogar essen, in anderen Ländern ist das völlig normal. Und wenn das ein kulturelles Problem ist, dann gibt es noch Kaninchen oder große Vögel. Strauße, Emus, Nandus, die können auch auf dem Grünland leben. Aber daran denkt niemand, weil wir ja die Rinder haben.

Greenpeace: Wie könnten wir da weiterkommen?

Osterburg: Vielleicht durch meinen dritten Wunsch, ein verändertes Ernährungsbewusstsein. Ich glaube nicht, dass in 30 Jahren gar kein Fleisch mehr auf dem Grill landet. Statt das zu verteufeln, sollten wir lieber darüber nachdenken, was für ein Fleisch dann auf dem Grill liegt. Und ob das auch schmeckt? Doch dafür brauchen wir weniger Schwarz-weiß-Denken und mehr gesellschaftlichen Austausch über das Thema.

Greenpeace: Sie meinen, der Veganer und der Mutterkuhhalter müssen mehr miteinander reden?

Osterburg: Ich plädiere für eine Entideologisierung der Ernährungsdebatte. Ich möchte allen sagen: Macht euch mal locker. Niemand hat im Moment die endgültige Lösung, aber vielleicht können wir sie entwickeln, wenn wir miteinander reden und nicht so arg miteinander streiten. Null Emissionen werden wir in der Ernährung so schnell nicht schaffen. Aber wir können große Schritte in die richtige Richtung machen, wenn wir zum Beispiel weniger auf Masse, sondern mehr auf Qualität, Genuss und Gesundheitsförderung setzen. Da gibt es Riesenchancen.

Greenpeace: Essen Sie noch Fleisch?

Osterburg: Ja, ich esse Fleisch, sehr wenig und sehr selten. Ab und zu kauft meine Frau ein richtig gutes Stück Bio-Rindfleisch, so alle zwei Monate, zum Auffüllen der Eisenvorräte oder weil es lecker ist. Das ist ein super seltenes Ereignis, und es hilft gegen eine ideologische Grundhaltung. Ich glaube, gelegentlicher Fleischverzehr ist kein unverzeihlicher Beitrag zum Weltuntergang. Deshalb kann ich das auch offen zugeben. 

Greenpeace: Wir hätten zum Schluss noch ein paar kurze Fragen. Was ist wichtiger: Moore wieder vernässen oder den Flugverkehr einschränken?

Osterburg: Wir brauchen beides, ist doch logisch!

Greenpeace: Nächste Frage. Was ist wichtiger: Politik oder Wissenschaft?

Osterburg: Am Ende ist Wissenschaft mehr, weil sie auch in die Gesellschaft wirkt. Natürlich brauchen wir die Politik. Und die Politik muss in die Verantwortung genommen werden. Aber wir brauchen eine wissenschaftsbasierte Politik, die gesellschaftlich akzeptiert ist. Eine irrationale, populistische Politik ist eine große Gefahr für die Rettungsansätze beim Klimawandel.

Greenpeace: Sie haben als Berater ja Zugang zur Politik. Hat die Wissenschaft aus Ihrer Sicht den Einfluss, den sie haben sollte?

Osterburg: Ja, aber die Geschwindigkeit ist zu hinterfragen bei der Integration der Klimaschutzziele in alle Politikbereiche. Manchmal stellt sich schon ein Sisyphus-Effekt ein, also das Gefühl, ständig den Stein wieder den Berg hochzurollen. Das liegt vor allem daran, dass das Personal in den Institutionen so oft wechselt. Das führt dazu, dass das „institutionelle Gedächtnis“ leidet und das Lernen nur langsam vorangeht. Und das, wo wir doch so dringend Geschwindigkeit brauchen.

Greenpeace: Da haben 16 Jahre CDU-Regierung auch nichts dran geändert.

Osterburg: Nein, in den Institutionen haben die Leute trotzdem oft gewechselt. Wir haben viele, viele Jahre verloren. Und müssen jetzt beschleunigen und dabei alle mitnehmen. Das ist eine Riesenherausforderung. 

(Das Interview wurde bereits im Sommer 2023 im Muht-Magazin veröffentlicht.)

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