Gorleben ist Geschichte!
Der Salzstock Gorleben ist als Endlager für Atommüll ungeeignet. Jahrzehntelange Proteste bringen den Erfolg.
- Ein Artikel von Ortrun Sadik
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Ein Wunder ist geschehen: Das Endlager Gorleben ist vom Tisch. Weil der Salzstock kein sicherer Platz für Atommüll ist. Persönliche Betrachtung eines unglaublichen Erfolgs.
Montag, 28. September 2020, 5:45 Uhr: Wie jeden Wochentag schaue ich auf mein Handy. Der Tagesschau-Corona-Ticker ist noch nicht online, was gibt es sonst an Nachrichten? „Suche nach Atommüllendlager: Gorleben ausgeschieden“ lese ich. Wie bitte? Gorleben ausgeschieden? Kann das wahr sein? Ich bin plötzlich hellwach, mir ist ganz komisch im Bauch.
Gorleben. Der Salzstock dort war niemals ein geeigneter Endlagerplatz für hochradioaktiven Atommüll, den gefährlichsten Abfall, den die Menschheit je hervorgebracht hat. Wie oft habe ich das geschrieben? In Presseerklärungen, Internetartikeln, Ausstellungstafeln, Pressebriefings? Wie oft war ich dabei von ohnmächtiger Wut erfüllt, weil die Politik trotzdem an diesem ungeeigneten Endlagerstandort festhalten wollte, wider aller Vernunft? Und jetzt plötzlich – haben wir tatsächlich gewonnen?
Update am 29.11.2024: Rückbau hat begonnen
Am 29. November 2024 hat der offizielle Rückbau des Erkundungsbergwerks Gorleben begonnen. Der Salzstock wird mit den ersten Ladungen Salz zugeschüttet. Insgesamt 400.000 Kubikmeter Salz sollen in den kommenden drei Jahren in die Hohlräume verfüllt werden. Dies ist ein wichtiges Signal, um Vertrauen in die sichere Endlagersuche zurückzubringen. Jahrzehntelang wurde der Salzstock in Gorleben als einzig mögliches Atommüll-Endlager diskutiert, obwohl wissenschaftliche Untersuchungen ihn als geologisch ungeeignet und somit als unrealistische Option eingestuft haben.
Protest kann Veränderung bewirken
40 Jahre haben die Menschen im Wendland, haben Atomkraftgegner in ganz Deutschland gegen diesen Wahnsinn gekämpft. Haben sich gegen Bagger und vor Castor-Transporte gestellt und an Gleise und Tore gekettet. Manche haben sich einbetoniert und stunden- ja tagelang in der Kälte ausgeharrt. Bauern haben Treckerblockaden errichtet, sind mit ihren Traktoren vom Wendland bis nach Berlin gefahren. Hunderttausende haben demonstriert. Dass "wir" gewinnen, dass Gorleben aus der Liste der möglichen Endlager rausfällt, erscheint mir trotzdem wie ein Wunder.
„Protest kann was bewirken“, denke ich, und mir ist dabei ganz flau. Ich erinnere mich an meinen ersten Castor-Protest 1997 im Wendland. Damals wurden auf der Straße vom Verladekran in Dannenberg 10.000 friedliche Atomkraftgegner einfach mit Wasserwerfern von der Straße gespült, von Spezialeinheiten der Polizei von der Straße geprügelt, damit die abgebrannten Brennelemente schneller an ihr Ziel gelangen. Dieser massive Einsatz von Staatsgewalt hat meinem Glauben an die deutsche Demokratie einen herben Schlag versetzt. Es ist, als ob heute, über 20 Jahre später, etwas ins Lot kommt, was seitdem verschoben war.
Endlagersuche bleibt schwierige Aufgabe
Über Gorleben gibt es so viel zu sagen: Die Auswahl zum Endlager war politisch motiviert. Entscheidend für die Auswahl waren 1977 nicht geologische Gründe, sondern die Tatsache, dass der Salzstock in einer bevölkerungsarmen und strukturschwachen Region lag — direkt an der Grenze zur ehemaligen DDR. Großer Widerstand wurde hier nicht erwartet. Doch schon bald wurde klar, dass das Deckgebirge eigentlich zu löchrig ist, um hochradioaktiven Müll sicher zu verschließen. Wasser- und Gaseintritte wurden nachgewiesen, aber die Politik wollte den Standort trotzdem 40 Jahre lang nicht aufgeben – bis heute.
Ich weiß, wenn Gorleben jetzt als mögliches Endlager vom Tisch ist, ist die Arbeit nicht vorbei. Im Gegenteil: Jetzt fängt die Suche nach einem Platz für hochradioaktiven Atommüll erst richtig an. Mir ist auch klar, dass es bei diesem noch Jahrmillionen strahlenden Müll keinen guten, keinen sicheren Endlagerplatz geben kann, sondern nur „schlechte und noch schlechtere Lösungen“, wie unser Atomexperte Heinz Smital sagt. Dass deshalb die Suche nach einem potenziellen Endlager ein schwieriger und konfliktträchtiger Prozess bleiben wird. Und dass damit weder das Problem des Atommülls noch der Atomkraft gelöst ist, nicht in Deutschland und nicht auf der Welt. Außerdem kann ich mir denken, dass wir auf Greenpeace.de bald noch mehr zu diesem Thema schreiben werden.
Aber heute möchte ich einfach nur mal ganz kurz innehalten und sagen: Was für ein Erfolg.
Ortrun Sadik engagiert sich seit 30 Jahren gegen Atomkraft. Bei ihrem ersten Castorprotest 1997 war sie 25, bei ihrem letzten 2010 schob sie ihre beiden Kinder mit durch den Schlamm von Danneberg. Von 2004 bis 2011 arbeitete sie als Pressesprecherin von Greenpeace zum Thema Atom, seitdem betreut sie es als Texterin und Online-Redakteurin.