Jetzt spenden
Tschornobyl Tour zum 30. Jahrestag

Der Sarkophag in Tschornobyl – Klappe zu, alles gut?

Nach dem Super-GAU in Tschornobyl am 26. April 1986 begann sehr schnell der Bau einer Schutzhülle zur Eindämmung der Strahlung. Doch das Provisorium war bald einsturzgefährdet, ein zweiter Sarkophag wurde gebaut und 2006 über die immer noch hochgradig strahlende Ruine des havarierten Reaktors geschoben. Doch auch das ist nur eine Lösung auf Zeit. 

Als am 26. April 1986 im ukrainischen Atomkraftwerk Tschornobyl bei einem Versuch die Kettenreaktion außer Kontrolle geriet, kam es zum ersten Super-GAU der zivilen Atomkraft. Tagelang brannte der Reaktor, jede Flamme schleuderte hochradioaktive Partikel hoch in die Luft. Mit Sand und Blei kämpften die Menschen in den ersten Tagen dagegen an. Und begannen schnell unter schlimmsten Bedingungen, eine Schutzhülle zu errichten. 

Die Strahlung war so hoch, dass die Arbeiter:innen nur wenige Minuten vor Ort bleiben konnten. Quasi im Vorbeirennen errichteten sie den ersten Sarkophag, der die Strahlung eindämmen sollte. Ein Einsatz, der vielen von ihnen ihre Gesundheit oder gar das Leben kostete. Hunderttausende Soldat:innen und Arbeiter:innen wurden dabei kontaminiert, viele Tausende erkrankten oder starben infolge der Strahlung.

Doch diese erste provisorische Schutzhülle war schnell einsturzgefährdet, sie war nur auf 20 bis 30 Jahre ausgelegt. Schon in den 90er Jahren begannen deshalb die Planung und der Bau einer zweiten Schutzhülle. Die ist zwar nun deutlich stabiler. Ein Lösung für immer ist die allerdings auch nicht.

 

Tschornobyl im Krieg

Wie sicher sind die ukrainischen Atomkraftwerke?

Text

 

Mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wuchs die Sorge um die Atomruine von Tschornobyl. Immer wieder wurde durch Kampfhandlungen die Stromversorgung der Anlage unterbrochen, doch auch das havarierte Atomkraftwerk benötigt zuverlässig Energie: Der Sarkophag muss beaufsichtigt werden, außerdem gibt es laufende Rückbauarbeiten. Mittlerweile sind in allen ukrainischen Atomkraftwerken Mitarbeiter:innen der internationalen Atomenergiebehörde IAEO eingesetzt, um sichere Abläufe zu ermöglichen.

Der Staudammbruch in der Region Cherson, der zusätzliches Leid in ein bereits traumatisiertes Land bringt, betrifft die Kühlung der Anlage in Saporischschja, allerdings nicht den Betrieb in Tschornobyl: Der Kachowka-Stausee und der Schauplatz des atomaren Unglücks liegen mehr als 500 Kilometer voneinander entfernt. Mehr zur Situation der ukrainischen Atomkraftwerke im Krieg.

  • Greenpeace-Atomexpert:innen messen die Strahlung bei Tschornobyl

    Neue Schutzhülle im Bau

    Über 4 Jahre dauerte der Bau an der neuen Schutzhülle für die Atomruine in Tschornobyl.

    Überspringe die Bildergalerie
  • Greenpeace nimmt den 30. Jahrestag der Atomkatastrophe von Tschornobyl zum Anlass, den havarierten Reaktor und das umliegende verstrahlte Gebiet wie Pripyat zu besuchen. Greenpeace-Atomexpert:innen führen Strahlungsmessungen durch.

    Der "alte" Sarkophag in Tschornobyl

    Der "alte" und marode Sarkophag über dem explodierten Reaktor in Tschornobyl am 30. Jahrestag nach der Katastrophe.

    Überspringe die Bildergalerie
Ende der Gallerie

Der erste Sarkophag: Schnell gezimmert auf Ruinen

Schon kurz nach dem Unfall beteiligten sich Nuklearfirmen aus West und Ost daran, die Situation um den strahlenden Trümmerhaufen zu stabilisieren. Am 30. November 1986 wurde er dann fertig, der erste “Sarkophag”, eine vorläufige und notdürftige Hülle aus Stahl und Beton. Doch die Konstruktion der hastig zusammengezimmerten Schutzhülle war instabil. Schon wenige Jahre Später zeigten sich Risse, der Wind blies radioaktiven Staub aus dem Inneren der Ruine in die Umwelt. Regenwasser gelangte in den Sarkophag und durch fließendes Wasser wurde kontaminiert. 

Bald war die provisorische Schutzhülle einsturzgefährdet. 2013 stürzten durch große Schneemassen bereits Teile des Dachs einer Maschinenhalle auf dem Gelände ein. Damit wurde der einsturzgefährdete Reaktor erneut eine Bedrohung für die Umwelt: In der Ruine befand sich eine große Menge zu Lava verbackenen Kernbrennstoffs. Eindringende Feuchtigkeit löste die glasartige Oberfläche dieser Lava zu Pulver auf. Wäre der mürbe Sarkophag eingestürzt, hätten große Mengen feinen radioaktiven Staubs freigesetzt werden und die Umgebung bis in 50 Kilometer Entfernung kontaminieren können. 

Mit acht Projekten wurde die provisorische Schutzhülle  immer wieder stabilisiert und ausgebessert, um Zeit zu gewinnen. Denn der Bau des zweiten Sarkophags verzögerte sich immer wieder; auch mit der Finanzierung gab es Probleme.

Der erste Sarkophag im Atomkraftwerk Tschernobyl im Jahr 1994

Tschornobyl 1994: Der erste Sarkophag umgibt den vierten Block, welcher im April 1986 explodiert ist.

Der zweite Sarkophag: unter der Hülle die Hölle

Weil die Ukraine - ein armes Land - alleine die Sicherung der Atomruine nicht hätte bewerkstelligen können, und weil die Welt ein Interesse daran hatte, eine zweite Atomkatastrophe vor Ort zu verhindern, wurde die Errichtung der zweiten Schutzhülle ein internationales Projekt. Ein Konsortium aus 28 Geberländern und der ukrainischen Regierung veranlassten den Bau, finanziert wurde das teure Projekt von über 40 Ländern und der EU.  Immer wieder verzögerte sich der Zeitplan, auch die Kosten wuchsen immer weiter. Doch nach jahrelangen Verschiebungen begann im April 2012 endlich der Bau eines neuen Sarkophags namens “New Safe Confinement” (Neue sichere Sperre).

Vier Jahre dauerte die Bauzeit. Wegen der hohen Strahlung konnte die neue Hülle nicht direkt über der Reaktorruine errichtet werden. Die Schutzhülle wurde in 300 Metern Entfernung gebaut und später mittels Schienen mehrere Tage lang Zentimeter für Zentimeter über den Reaktor geschoben. Am 29. November 2016 erreichte sie ihr Ziel. 

Mit 110 Meter Höhe, 260 Metern Breite, 165 Metern Länge und 29.000 Tonnen Gewicht ist der neue Sarkophag das größte mobile Bauwerk der Welt – kaum kleiner als die Cheops-Pyramide. “Es handelte sich um die größte technisch bewegbare Struktur, die jemals auf der Erde gebaut worden ist – ein ingenieurtechnisches Jahrhundertprojekt”, sagte Greenpeace-Experte Tobias Münchmeyer. 

Der neue Sarkophag soll die Atomruine oberirdisch abschirmen – stellt jedoch auch wieder nur eine Zwischenlösung dar. Denn auch diese Hülle bietet keine Lösung für das eigentliche Problem: die hochgradig radioaktive Masse, zu der die Brennstäbe mit dem Baumaterial des Reaktors während der Atomkatastrophe verschmolzen sind.

 

Der Schlusspunkt unter die Geschichte von Tschornobyl ist noch lange nicht gesetzt. Auch die zweite Schutzhülle ist nur ein weiteres Provisorium, das den provisorischen ersten Sarkophag nun für immerhin die nächsten 100 Jahre ablösen soll. 

Sollte der erste Sarkophag irgendwann einstürzen, wäre zwar die Ausbreitung hochradioaktiven Staubs verhindert oder zumindest minimiert – doch Menschen könnten innerhalb der neuen Schutzhülle dann praktisch nicht mehr arbeiten. Der Rückbau und die Bergung des brennstoffhaltigen Atommülls würde noch erheblich gefährlicher und aufwendiger als heute schon. 

Deswegen müsste eigentlich schnellstmöglich der zerstörte Reaktor samt hochradioaktiver Masse aus geschmolzenen Brennelementen und Baustoffen rückgebaut, geborgen und entsorgt werden. Dafür fehlen bislang aber sowohl ein Konzept als auch ein Finanzierungsplan. Geschätzte Kosten: drei bis fünf Milliarden Euro..

Nach bisherigen Schätzungen hat die Schutzhülle etwa 1,8 Milliarden Euro gekostet. Es ist ein seltenes Beispiel internationaler Solidarität, dass sich die G7-Staaten und weitere Länder weltweit an der Finanzierung beteiligt haben, Deutschland mit insgesamt 300 Millionen Euro. Greenpeace fordert die internationale Gemeinschaft auf, die Ukraine auch weiterhin bei der Bewältigung der Tschornobyl-Folgen mit Know-How und finanziellen Mitteln zu unterstützen, um die Schäden zu begrenzen, die noch Generationen nach uns treffen werden.

Eine Schutzhülle für den Sarkophag Grafik

Der Bau der Schutzhülle für den Sarkophag in Tschornobyl.

Keine Dauerlösung in Sicht

Ob der explodierte Reaktor unter den gegebenen technischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen jemals in ein ökologisch sicheres System überführt werden kann, bleibt zweifelhaft. Bis die Aufräumarbeiten komplett beendet sind, kann noch ein Jahrhundert vergehen. Weiterhin existiert kein Endlager für die 400.000 Kubikmeter radioaktiven Atommüll innerhalb des Reaktors. Gleichzeitig bleiben die Arbeiter:innen wie auch die Umwelt der Gefahr ausgesetzt, kontaminiert zu werden. 

Damit überlassen wir die Probleme von Tschornobyl den nachfolgenden Generationen, weil niemand in der Lage ist, die Folgen der Katastrophe auch nur annähernd zu lösen. Die Baustelle Tschornobyl zeigt: Wir Menschen beherrschen nicht einmal die Aufräumarbeiten eines Atomunfalls. Geschweige denn die Atomkraft selber.

Mehr über den Sarkophag von Tschornobyl erfahren:

Tschernobyl: 30 Jahre danach - Die Lage am Standort

Tschernobyl: 30 Jahre danach - Die Lage am Standort

Anzahl Seiten: 67

Dateigröße: 1.7 MB

Herunterladen
Keine Lösung in Sicht - Die Lage am Standort Tschernobyl (Kurzfassung)

Keine Lösung in Sicht - Die Lage am Standort Tschernobyl (Kurzfassung)

Anzahl Seiten: 8

Dateigröße: 749.99 KB

Herunterladen
Keine Lösung in Sicht - Die Lage am Standort Tschernobyl (Langfassung)

Keine Lösung in Sicht - Die Lage am Standort Tschernobyl (Langfassung)

Anzahl Seiten: 34

Dateigröße: 448.78 KB

Herunterladen
Tschernobyl: Sanierung des Sarkophags - Wettlauf mit der Zeit

Tschernobyl: Sanierung des Sarkophags - Wettlauf mit der Zeit

Anzahl Seiten: 38

Dateigröße: 407.61 KB

Herunterladen

Online-Mitmachaktion

https://act.greenpeace.de/eu-verbot-fossile-energien

Offener Brief: Neue fossile Energieprojekte in Europa verbieten

Wir alle müssen jetzt den klimatischen und ökologischen Notstand als die existenzielle Krise behandeln, die er ist. Unser Leben hängt davon ab. Deshalb fordern wir die EU-Institutionen dazu auf: Stoppt neue Öl- und Gasprojekte!

Jetzt unterzeichnen
0%
vom Ziel erreicht
0
haben mitgemacht
0%
Datum
Protesters holding yellow banner that says "defend the climate - not fussil fuels"

Mehr zum Thema

Projektion zum Atomausstieg am AKW Isar 2
  • 16.08.2024

Atomkraft ist nicht nur riskant, sondern auch keine Lösung für die Energiekrise. Am 15. April 2023 wurden die deutschen Atomkraftwerke darum endgültig abgeschaltet, nun wurden Kühltürme gesprengt.

mehr erfahren
Atommeiler in Cattenom
  • 19.06.2024

Atomenergie ist ein volkswirtschaftliches Risiko, so eine aktuelle Greenpeace-Studie. Die Rechnung für unkontrollierte Kostensteigerungen und massive Verzögerungen begleichen die Steuerzahlenden.

mehr erfahren
Nuclear Action at EnBW in Germany
  • 24.05.2024

Tausende von Jahren sollte das „Versuchsendlager“ im ehemaligen Salzbergwerk Asse II sicher sein. Knapp vier Jahrzehnte später säuft es durch Wassereinbrüche ab, die Schachtanlage droht einzustürzen.

mehr erfahren
In einem Kindergarten liegen die Spielsachen so, wie sie nach der Katastrophe zurückgelassen wurden. Die Gasmaske eines Kindes neben einer Puppe ist nur ein weiteres grausames Paradoxon: Eine Woche vor dem Atomunfall wurden die Kinder darin geschult, die Sicherheitsausrüstung gegen die atomare Gefahr zu benutzen. Doch am Tag des Unfalls wurde auf Anweisung der Parteiführung keine einzige Gasmaske benutzt.
  • 26.04.2024

Am 26. April 1986 erschüttert eine Explosion das Atomkraftwerk Tschornobyl. Eine radioaktive Wolke verseucht die Region und zieht über Europa. Ursache sind menschliches Versagen und technische Mängel.

mehr erfahren
Greenpeace and BUND Naturschutz Celebrate Nuclear Phase-out in Munich
  • 12.04.2024

Vor einem Jahr ging das letzte AKW in Bayern vom Netz. Strom aus erneuerbaren Energien hat deutschlandweit Atomstrom ersetzt. Nur der Freistaat hinkt hinterher. Warum ist das so?

mehr erfahren
Projektion für den Atomausstieg am Atomkraftwerk Isar 2 bei Nacht
  • 09.04.2024

Happy Birthday, Atomausstieg! Auch wenn ein Jahr nach dem deutschen Ausstieg vielerorts eine “Renaissance der Atomkraft” herbeigeredet wird, laut einer aktuellen Studie sprechen die Fakten dagegen.

mehr erfahren