Interview zur Endlagersuche für hochradioaktiven Atommüll
- Im Gespräch
Der Zwischenbericht zur Suche eines Endlagers für Atommüll schlägt 90 Regionen zur weiteren Erforschung vor. Gorleben ist nicht darunter. Interview mit Atomexperte Heinz Smital.
Es geht um die schwerwiegende Frage, wo in Deutschland hochradioaktiver Atommüll für eine Million Jahre sicher gelagert werden kann. 2013 hatten Bundestag und Bundesrat die Suche nach einem Endlager per Gesetz neu gestartet. Sieben Jahre lang wurde geregelt, gesprochen und gesichtet. Am 28. September legte die – mittlerweile für die Suche zuständige – Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) ihren geologischen „Zwischenbericht Teilgebiete“ vor. Seitdem ist amtlich: Gorleben ist vom Tisch, weil ungeeignet. Jahrzehntelang war der Salzstock im Wendland alternativlos als zukünftiges Endlager gehandelt worden, obwohl Umweltschützer und Geologen immer wieder auf Sicherheitsmängel hinwiesen. Doch was steht noch in den 444 Seiten? Wohin kommt der Atommüll jetzt? Und wie ist das Ganze zu bewerten? Interview mit Heinz Smital, Atom-Experte von Greenpeace.
Greenpeace: Was steht denn nun in dem Zwischenbericht?
Heinz Smital: 90 Regionen in Deutschland sind geologisch so beschaffen, dass es Sinn macht, ihre weitere Eignung als mögliches Endlager zu prüfen. Gorleben gehört nicht dazu. Wörtlich sagt der Bericht: "Der Salzstock Gorleben ist nach Anwendung der geowissenschaftlichen Abwägungskriterien gemäß § 24 StandAG kein Teilgebiet geworden. Damit greift die Regelung des § 36 Abs. 1 S. 5 Nr.1 StandAG wonach der Salzstock Gorleben aus dem Verfahren ausscheidet."
Kam das überraschend?
Geologisch betrachtet: nein. Politisch gesehen schon.
Das musst du bitte genauer erklären.
Nach geologischen Kriterien war der Salzstock in Gorleben nie als Endlager geeignet. Er ist 1977 vom niedersächsischen Ministerpräsident Ernst Albrecht aus politischen Gründen ausgewählt worden, wie Greenpeace-Recherchen belegen. Denn der Salzstock weist Gasbildung und Zerklüftungen auf. Außerdem fehlt das für ein Endlager geforderte Deckgebirge auf einer Fläche von 7,5 Quadratkilometern. Ein Deckgebirge soll das den Atommüll umschließende Wirtsgestein vor Umwelteinflüssen schützen und umgekehrt.
Trotzdem hat die Politik bis 2013 alternativlos an Gorleben als Endlager festgehalten bzw. festhalten wollen. Aus verschiedenen Gründen: Dort war bereits für 1,8 Milliarden Euro Infrastruktur geschaffen worden. Bei seiner Ernennung 1977 war der wesentliche Faktor, dass es an der innerdeutschen Grenze zur DDR, also im strukturschwachen Zonenrandgebiet lag. Aber der Hauptgrund war meiner Meinung nach ein psychologischer: hochradioaktiver Atommüll ist mit das Gefährlichste, was der Mensch je geschaffen hat. Keiner will den bei sich haben. Keiner mag auch nur darüber reden, wo der hinsoll. Das Thema ist so heiß, dass niemand es in die Luft werfen wollte – und deshalb sollte Gorleben lange Zeit die Lösung für dieses ewige Problem sein, ob es nun geeignet war oder nicht.
Und dass da tatsächlich ein Umdenken passiert ist, das kam für mich doch überraschend.
Nun ist zwar endlich Gorleben als Endlager vom Tisch – aber das eigentliche Problem ist ja nach wie vor ungelöst: Wohin soll er denn, der hochradioaktive Atommüll? Was sagt der Bericht dazu?
Für Atommüll gibt es keine einfachen und guten Lösungen. Die Stoffe werden über Jahrmillion strahlen und gefährlich bleiben. Eigentlich ist der Mensch per se einem solchen „Ewigkeitsproblem“ nicht gewachsen.
Deswegen ist es wichtig, den „bestmöglichen“ Platz dafür zu finden, und zwar hier in Deutschland, denn alles andere wäre verantwortungslos. Und da ist dieser „Zwischenbericht Teilgebiete“ der BGE ein umfassender und fundierter Aufschlag.
Der Bericht ist dabei in drei Stufen vorgegangen: Zuerst wurden nach Ausschlusskriterien wie Vulkanismus, Bergbautätigkeit oder seismischen Aktivitäten ganze Gebiete komplett aus der Endlagersuche ausgeschlossen. In einem zweiten Schritt wurde geschaut, welche der verbleibenden Gebiete die Mindestanforderungen nach § 23 StandAG erfüllen. Denn prinzipiell kommen für ein atomares Endlager als Wirtsgesteine nur Steinsalz, Tongestein und kristallines Gestein infrage, und das Vorkommen muss groß und mächtig genug sein, um den Atommüll sicher zu umschließen.
Im dritten Schritt wurden diese Vorkommen dann anhand von elf geowissenschaftlichen Abwägungskriterien nach §24 Stand AG bewertet. Dabei wurde unter anderem untersucht, ob es im einschlusswirksamen Gebirgsgestein einen Transport radioaktiver Stoffe durch Grundwasserbewegungen geben kann, wie langfristig die Stabilität des Gebirgsstocks ist, ob dort etwa Gasbildung auftritt, wie temperaturverträglich der Gebirgsstock ist – und es wurde der Schutz des einschlusswirksamen Gebirgsbereiches durch ein Deckgebirge berücksichtigt. An diesen geologischen Abwägungskriterien ist der Salzstock Gorleben gescheitert.
Übrig geblieben sind 90 Regionen in allen Bundesländern außer dem Saarland, die nun weiter auf ihre etwaige Eignung als mögliches Endlager für hochradioaktive Atommüll untersucht werden.
Darüber sind ja nicht alle glücklich: Aus Bayern zum Beispiel gibt es lautstarken Protest. Ministerpräsident Markus Söder hat postwendend verkündet, Bayern sei sicher nicht geeignet. Wie bewertest du das?
Ich finde das unverantwortlich, und zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen hat Bayern eine historische Verantwortung für den hochradioaktiven Atommüll, denn dieses Bundesland hat vom Beginn an 1955 bis zum Schluss besonders stark auf Atomkraft gesetzt. So sehr ich verstehen kann, dass Söder Atommüll für gefährlich hält – aber als Ministerpräsident darf er so nicht handeln. Hier darf Bayern nicht kneifen.
Und zum zweiten vergiftet Söders Aussage den Suchprozess, das finde ich ebenfalls fahrlässig. Endlich wird nach geologischen Maßstäben nach dem bestmöglichen Platz für den Atommüll gesucht und nicht nach politischen Gesichtspunkten, und da kommt Söder um die Ecke und macht Wahlkampf mit dem Thema. So torpediert er die Glaubwürdigkeit, die sich dieses hochaufwändige Verfahren mühsam in der Bevölkerung zurückzuerobern versucht.
Und er topediert die Akzeptanz für ein zukünftiges Endlager: Für die ist es fundamental wichtig, dass sich bei der Endlagersuche Industrie- und Politikinteressen heraushalten und die Wissenschaft und die Geologie das Sagen hat. Denn nur wenn es gelingt, die Bürger von der Unvoreingenommenheit der Suche zu überzeugen, wenn sie mitgehen können bei dem Weg, den für alle sicherst möglichen Platz für dieses unsichere Gefahrengut zu finden, werden sie am Ende vielleicht ein Endlager vor ihrer Haustür hinnehmen können.
Ist es denn egal, ob das Endlager unter einer Großstadt wie Berlin, unter einem Naturschutzgebiet oder zum Beispiel unter dem Hermesdenkmal liegt – Hauptsache, die Geologie stimmt?
In Phase I der Untersuchen – ja. In Phase II spielen dann aber auch solche Faktoren eine Rolle. Wenn es geologisch gesehen zwei gleichsichere Gebiete gibt, wird schließlich niemand ein atomares Endlager unter einem Ballungszentrum bevorzugen.
Wie geht denn der Prozess nun weiter?
Die jetzt vorliegenden Ergebnisse werden diskutiert. Auf einer Fachtagung im Oktober und auf Regionalkonferenzen in Süd-, Mittel- und Norddeutschland im Februar, April und Juni. Hier ist auch eine Art Bürgerbeteiligung im Prozess vorgesehen: Alle sind aufgerufen, ihre Einwände zu machen. Allerdings ist dafür recht wenig Zeit vorgesehen, auch müsste das Umweltministerium den betroffenen Gemeinden und Anwohnern Finanzmittel und Expertise zur Verfügung stellen, damit kritische Fragen auch auf den Tisch kommen können. Am Ende soll eine deutlich kürzere Liste an Standorten für die übertägige Erkundung vorgeschlagen werden.
Später soll die Liste auf die Standorte eingekürzt werden, die untertägig erforscht werden. Und man hofft, bis 2031 einen Standort für ein atomares Endlager gefunden zu haben. Was noch ein schwieriger Weg werden wird, wenn man sich die Erfahrungen aus anderen Ländern so anguckt.
Gruselige Vorstellung, den Atommüll so unter der Erde zu verbuddeln….
Ja. Aber die Alternative, ihn oberirdisch liegen zu lassen, gefällt mir noch weniger.
Schönes Schlusswort. Danke für das Interview.