Erdüberlastungstag: Routinen durchbrechen
- Im Gespräch
2022 war der Erdüberlastungstag am 28. Juli. Im Jahr 2002 datierte ihn das Global Footprint Network auf den 21. September, 1972 auf den 14. Dezember. Eigentlich jedoch sollte der Overshootday, wie er auf Englisch heißt, frühestens Silvester stattfinden. Denn an diesem Tag sind die Ressourcen verbraucht, die uns die Erde für ein Jahr zur Verfügung stellt. Je früher der Tag, desto mehr leben wir über unsere Verhältnisse zu Lasten von Klima, Biodiversität und somit künftigen Generationen. Denn diese müssen mit dem Planten leben, den wir ihnen überlassen. Würden alle so leben wie wir in Deutschland, wäre der Erdüberlastungstag bereits am 4. Mai gewesen.
Frauke Wiese leitet an der Europa-Universität Flensburg die Nachwuchsforschungsgruppe „Energie-Suffizienz“. Sie hält Suffizienz, also die Begrenzung unseres Verbrauchs für unerlässlich: Nur so ließen sich die planetaren Grenzen einhalten, die uns Menschen ein recht bekömmliches Leben auf der Erde ermöglichen. Ein wesentlicher Hebel dafür sei, durch Angebote und Denkanstöße Routinen zu durchbrechen. Ein Interview.
Greenpeace: Was ist Suffizienz?
Frauke Wiese: Suffizienz ist eine Strategie, allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen und dabei aber die planetaren Grenzen zu beachten. Es geht also um die Frage, wie eine hohe Lebensqualität möglich ist bei einem deutlich geringeren Ressourcen- und Energieverbrauch, als wir ihn heute in Deutschland haben. Suffizienzpolitik hat aber auch die Untergrenze im Blick. Denn, um Grundbedürfnisse zu erfüllen, muss jedem Menschen eine gewisse Menge an Energie zur Verfügung stehen. Diesen Zugang haben aber nicht alle Menschen, auch nicht in Deutschland.
Greenpeace: Bevor wir mit Suffizienz weitermachen, Zunächst ein paar erklärende Worte zu den planetaren Grenzen. Im Jahr 2009 stellte Johan Rockström das von internationalen Wissenschaftler:innen entwickelte Konzept vor. Grob besagt es, dass neun globale Prozesse eingehalten werden müssen, damit das System Erde langfristig funktioniert. Um welche Grenzen geht es?
Frauke Wiese: Die wohl prominenteste planetare Grenze ist die Veränderung des Klimas – bei der wir schon kritische Bereiche erreicht haben. Genauso bedeutend ist der Rückgang der biologischen Vielfalt. Das ist nicht so stark in der Diskussion, aber genauso dramatisch – wir müssen den Verlust von Biodiversität unbedingt mitdenken und zusammen mit der Klimakrise lösen.
Ein weiterer Punkt ist die Störung von Nährstoffkreisläufen – von Stickstoff und Phosphor – durch Überdüngung. Das hat teilweise auch schon einen kritischen Bereich erreicht. Ebenso die Veränderung der Landnutzung wie die Reduzierung von Waldflächen.
Es gibt noch andere planetare Grenzen wie etwa die Nutzung von Süßwasser, die wird aber bisher, wenn, dann lokal oder regional überschritten. Oder Ozonverlust, Versauerung der Meere: Diese Bereiche werden momentan als nicht kritisch gesehen. Neu als planetare Grenze wird die Emission toxischer und langlebiger Stoffe definiert, die wir stark im Blick behalten müssen. Damit sind Schwermetallverbindungen, radioaktive Stoffe aber auch Plastik und Mikroplastik gemeint. Und als letztes noch der Aerosolgehalt in der Atmosphäre, also sowas wie Stickoxide oder Feinstaub, diese Einträge sind derzeit eher regional ein Problem.
Greenpeace: Sie sagen, es genüge nicht, allein auf Technik zu setzen, um diese ökologischen Krisen in den Griff zu bekommen. Es seien drei Säulen notwendig: Neben erneuerbaren Energien und Effizienz etwa durch sparsamere Autos oder verbrauchsarme Geräte sei eine dritte Säule notwendig: die Suffizienz, eine Grenze für unseren Konsum. Warum?
Frauke Wiese: Wir wollen in Deutschland unseren Energiebedarf komplett mit erneuerbaren Energien decken. Dabei werden wir auch für den Verkehrs- und Wärmesektor Solar- und Windanlagen brauchen, durch den Umstieg auf Strom in diesen Bereichen. Auch für die Herstellung von Wasserstoff bedarf es erneuerbaren Stroms. Der Umstieg auf Erneuerbare ist genau richtig: Wenn wir das aber bei gleichbleibendem oder steigendem Energieverbrauch machen, werden Flächen knapp.
Auch der Ressourcenverbrauch für Anlagen und Batterien ist relevant. Wir brauchen zum Beispiel Elektromobilität, aber einfach nur den Antrieb austauschen, reicht nicht. Im Jahr 2009 waren 40 Millionen Fahrzeuge in Deutschland gemeldet, 2020 waren es 47,7 Millionen. Wenn diese Masse an Autos elektrisch angetrieben werden soll, wären die Ressourcenbedarfe für die Batterien in Deutschland oder hochgerechnet auf die ganze Welt auf jeden Fall kritisch. Gleiches gilt für die anstehende Elektrifizierung in vielen anderen Bereichen: Etwa Wärmepumpen für Gebäude, Wasserstoff in der Industrie etc.
Technische Lösungen für das Klima haben meistens negative Auswirkungen auf andere planetare Grenzen. Sei es durch Ressourcenverbrauch, Biodiversitätsverlust oder Landnutzung. Wir benötigen die erneuerbaren Energien, wir müssen sie aber so gering wie möglich halten, um gleichzeitig mehrere planetare Grenzen einhalten zu können. Ein verengter Blick nur aufs Klima führt dann etwa zu der Idee, synthetische Kraftstoffe für den Pkw-Verkehr zu nutzen – die aber fünfmal so viel Solar- und Windenergie benötigen wie Strom, der direkt ins E-Auto fließt.
Es ist wichtig alle drei Säulen zusammenzudenken. Bei Suffizienz geht es darum, absolute Grenzen zu setzen. Wenn zum Beispiel die Anzahl der Autos weiter wächst, können die Autos noch so effizient sein und trotzdem hat man einen riesigen Ressourcenverbrauch.
Greenpeace: Statt Suffizienz nutzen Sie auch gerne die Bezeichnung soziale Innovation – analog zur technischen Innovation. Was meinen Sie damit?
Frauke Wiese: Es geht nicht nur darum, den Verbrauch zu kappen, sondern – und da kommt die soziale Innovation ins Spiel – das Zusammenleben anders zu gestalten oder Rahmenbedingungen zu verändern. Im Gebäudebereich ist zum Beispiel die Qualität der Wohnung entscheidend und nicht die Größe. Wohnraum muss zur Lebenssituation passen – ohne auf großem Raum wohnen zu müssen. In Zürich gibt es ein Wohnprojekt, die Kalkbreite: Die Personen, die in den Wohnungen leben, haben nur einen Raum mehr als sie von der Anzahl her sind. Da sich Lebenssituationen ändern können, gibt es innerhalb des Projekts eine Wohnraumtauschbörse. Der Wohnkomplex wurde zudem so gebaut, dass Räume flexibel zur Verfügung stehen und Zimmer, sogenannte Jokerräume einzeln dazu gemietet werden können, wenn gerade Bedarf besteht. Auch gibt es sehr viel Gemeinschaftsfläche, die so clever genutzt wird, dass man den durchschnittlichen Wohnraum pro Person reduzieren kann, ohne an Lebensqualität einzubüßen. Spielflächen für Kinder beispielsweise, diese gemeinschaftlich zu nutzen ist nicht nur gut für die Reduktion von Wohnfläche, sondern auch für die Kinder.
Ein weiteres Beispiel wäre aus dem Produktbereich die Langlebigkeit von Produkten, da geht es um Reparierbarkeit, aber auch um Leihläden oder Repaircafes – die würde ich auch als soziale Innovation bezeichnen.
Greenpeace: Wenn wir absolut betrachtet den Konsum deckeln müssen: Wo ist die Grenze zu ziehen und wie können wir diese einhalten?
Frauke Wiese: Für jede planetare Grenze gibt es Werte, bei denen das Gleichgewicht noch erhalten werden kann. Beim Klimawandel sind die CO2-Budgets allgemein bekannt, ähnliche Indikatoren gibt es für die anderen Berieche auch.
Konsum: Was wäre fair, was realistisch?
Greenpeace: Und was ist ein angemessener Lebensstil?
Frauke Wiese: Das ist natürlich nicht so einfach zu definieren. Es gibt ein Minimumlevel, also Faktoren, die man auf jeden Fall braucht, um ein gutes Leben führen zu können: Unterkunft, Ernährung, Kleidung, Kommunikation, Zugang zu Energie, medizinische Versorgung, Bildung, eine gewisse Mobilität. Daneben gibt es weitere Faktoren, die nicht direkt mit Energieverbrauch verknüpft sind wie etwa stabile soziale Verbindungen und politische Teilhabe.
Angemessen ist unser aller Lebensstil dann, wenn er innerhalb planetarer Grenzen langfristig möglich ist. Aber wie viel steht davon jedem und jeder zu? Einerseits geht es darum, was weltweit fair wäre. Andererseits muss man sich fragen, was sich in welchem Zeitraum realistischerweise umsetzen lässt. Wenn man etwa weltweit auf eine Wohnfläche von 15 Quadratmetern pro Person geht, wäre das von vielen Ländern aus gesehen ein riesiger Schritt. Ich denke, es ist wichtig, die verschiedenen Blickwinkel zu berücksichtigen.
Greenpeace: Oder muss man eher den Überkonsum thematisieren?
Frauke Wiese: Es hilft, die Verteilung von Energieverbrauch weltweit zu betrachten, aber auch innerhalb von Deutschland. Der Durchschnittsverbrauch in Deutschland ist definitiv zu hoch, aber es gibt auch in Deutschland Menschen, bei denen das Minimumlevel nicht erreicht ist. Und dann gibt es Menschen, bei denen es hundertfach überschritten ist. Die Reduktion von Luxuskonsum, aber auch der Schutz davor, dass überhaupt solche energieverschwenderischen Produkte und Dienstleistungen verkauft werden dürfen, ist eine ganz wichtige Stoßrichtung von Suffizienzmaßnahmen.
Der Grundbedarf muss erschwinglich für alle sein, alles darüber hinaus muss sehr stark besteuert werden – und die energie- und ressourcensparende Lebensweise muss attraktiv, einfach umzusetzen und günstig sein.
Greenpeace: Aber dann könnten sich die Reichen weiterhin übermäßigen Konsum erkaufen.
Frauke Wiese: Suffizienz ist ein Politikfeld wie jedes andere, das eine Mischung aus verschiedenen Instrumenten hat – das also auch Regulierung nutzen kann und nicht nur Anreize. Nehmen wir zum Beispiel die autoreduzierte Stadt, in der bestimmte Bereiche nicht mehr mit dem Auto zu befahren sind. Oder dass ab einer bestimmten Menge an Ferienwohnungen in Städten eine Grenze gezogen wird, da sonst der Lebensraum für die Bewohner:innen fehlt, die dann immer weiter rausziehen müssen. Oder bestimmte Grenzen für Vieheinheiten pro Hektar bei landwirtschaftlichen Betrieben. Suffizienzpolitik ist eine Mischung aus Regulierung und Anreizen. Sie schafft aber auch Infrastruktur wie gut vernetzten öffentlichen Nahverkehr, um ein anderes Leben zu ermöglichen – verbunden mit einer guten Informations- und Bildungspolitik.
Greenpeace: Bei Informationspolitik fällt mir ein, dass wir viel darüber reden, was wir verlieren und kaum darüber, was wir gewinnen. Ist das Wohnprojekt in Zürich eigentlich begehrt?
Frauke Wiese: Ja, das ist sehr beliebt, da wollen viele wohnen – obwohl man unterschreiben muss, kein Auto zu besitzen und sich auch keines anzuschaffen (lacht). Es gibt auch weitere Wohnorte, die aus der klassischen Perspektive Einfamilienhaus vielleicht gar nicht so attraktiv wirken, in die viele Menschen aber ziehen wollen, weil sie die soziale Anbindung, aber auch die halböffentlichen Angebote zur gemeinschaftlichen Nutzung schätzen wie grünen Erholungs- und Begegnungsraum, flexible Mobilitätsangebote, Veranstaltungsräume, Repair Café usw.
Das Einfamilienhaus verliert an Attraktivität in einer stark autoreduzierten Stadt, in der Straßen umgewidmet werden in öffentliche Grünflächen oder Spielplätze. Dann ist es für eine Familie attraktiver, mit weniger Flächenverbrauch im Stadtzentrum zu wohnen, als in einem teuer erworbenen Einfamilienhaus im Randbereich, wo alle Wege weit sind.
Greenpeace: Aber vergeht nicht viel zu viel Zeit, die wir angesichts der Krisen gar nicht haben, bis die Infrastruktur steht?
Frauke Wiese: Etliche Maßnahmen ließen sich sofort umsetzen und hätten auch eine schnelle Wirkung: etwa Tempolimit, autofreier Sonntag, Pop-up-Radwege, niedrigere Temperaturen im Wohnbereich oder höhere bei Klimageräten.
Andere Maßnahmen dauern länger. Es hat aber auch schon einen großen Effekt, wenn klar ist, dass die politische und gesellschaftliche Strategie in diese Richtung gehen soll. Auch das Setzen von Limits für den Endenergieverbrauch würde ziemlich schnell eine Wirkung entfalten. Wenn klar ist, was noch verbraucht werden darf, kann soziale Innovation, die das Leben verbessert, aber den Verbrauch senkt, entstehen.
Dann weiß die Industrie, wohin es gehen soll in zehn Jahren – dass zum Beispiel nur noch langlebige Produkte gefragt sind. Ebenso ist es für Menschen wichtig zu wissen, wie die Ausrichtung ist – dass zum Beispiel Wohnen auf viel Raum im Neubau nicht mehr zeitgemäß ist, sondern Sanierung und effizientere Nutzung des Bestands gefördert werden. Dass das eigene Auto unglaublich teuer und unattraktiv wird. Das wären Signale! Meiner Erfahrung nach kann es auch sehr schnell gehen, dass andere folgen, wenn es erst einmal einige gute Beispiele gibt.
Erfolg in Paris, nächstes Ziel: die 15-Minuten-Stadt
Greenpeace: Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) scheut sich, den Autoverkehr einzuschränken. So ist er Gegner eines Tempolimits – vermutlich auch in dem Glauben, seine Klientel bedienen zu müssen. Aber ist es so? Geht die Bevölkerung nicht auch mit, wenn sie erfährt, welchen Mehrgewinn Maßnahmen haben?
Frauke Wiese: Es erfordert erst einmal Mut, Parkplätze teuer zu machen oder auch wegzunehmen, um dann zu schauen, welche Alternativangebote gebraucht werden. Aber überall dort, wo Straßen verkehrsberuhigt wurden, steigen die Mieten. Was natürlich nicht gut ist, hier bedarf es auch Rahmenbedingungen, die Wohnen bezahlbar macht. Aber es zeigt, dass die Menschen dort leben wollen, weil die Aufenthaltsqualität gestiegen ist.
Umfragen zeigen, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands sich autoreduzierte Städte wünscht. Solange aber die Rahmenbedingungen nicht so sind, verhält sich nicht jeder einzelne entsprechend. Unglaublich viele Fahrten unter fünf Kilometern werden nur aus Routine mit dem Auto zurückgelegt. Es geht also auch darum, diese Alltagsroutinen durch eine Veränderung der Rahmenbedingungen zu durchbrechen.
In Paris hat die Bürgermeisterin in ihrer ersten Amtszeit die Seineufer vom Verkehr befreit – die sind jetzt für Freizeitaktivitäten freigegeben. Ein erfolgreiches Projekt. Sie wurde wiedergewählt und hat sich nun die Aufgabe gesetzt, Paris zur 15-Minuten-Stadt zu machen: Das heißt, dass alle täglichen Bedarfe in 15 Gehminuten oder fünf Fahrradminuten erreicht werden können. Die nächsten Schritte sind auch, in der Innenstadt die Autos stark zu reduzieren.
Greenpeace: Was entgegnen Sie Menschen, die ihre Freiheit beschnitten sehen, wenn sie nicht mehr mit dem Auto in die Stadt dürfen?
Frauke Wiese: Das Autofahren ist eine Privilegierung einer bestimmten Gruppe, die damit anderen Menschen viel Raum nimmt. Es sind eher ältere und jüngere Menschen, auch eher Frauen und untere Einkommensgruppen, die gar kein Auto haben. Es ist also reine Klientelpolitik, wenn Autofahren weiterhin die Standardlösung für Mobilität ist und das dann auch finanziell bessergestellt wird. Die momentane Situation ist eine Freiheitseinschränkung für alle, die kein Auto fahren und andere Formen der Mobilität bevorzugen – sich aber nicht sicher im städtischen Straßenverkehr vorwärtsbewegen können. Wenn es um die Freiheit geht, mit einem großen Auto in der Innenstadt zu parken: Ja, diese Freiheit würde genommen. Die Freiheit aber, die Mobilitätsbedürfnisse befriedigt zu bekommen, soll weiterhin gegeben sein – aber nicht unbedingt mit dem Auto. Man hat kein Grundrecht auf Energieverschwendung.
Greenpeace: Besteht bei Suffizienzmaßnahmen nicht die Gefahr, dass der Effekt einer Reduktion an einer Stelle durch Mehrkonsum an anderer Stelle zunichte gemacht wird? Vorhin hatten Sie den autofreien Sonntag genannt. Was ist, wenn dann an den anderen Sonntagen umso mehr Ausflüge mit dem Auto stattfinden?
Frauke Wiese: Auf diese sogenannte Rebound-Effekte muss man nicht nur bei Effizienz, sondern auch bei Suffizienz ein Auge haben, das stimmt. Suffizienzpolitik wirkt im Gesamtpaket: nicht nur aufs Energiesparen, sondern auch auf die Lebensqualität – weil sich Strukturen und Routinen ändern. Der eine autofreie Sonntag bringt, denke ich, tatsächlich nichts. Wenn aber jeder Sonntag autofrei ist, jeden Samstag alle innerstädtischen Straßen zu Spielstraßen und Parkplätze teuer werden, Dienstwagenprivilegien abgeschafft werden und gleichzeitig Pop-Up-Bikelanes entstehen, Nah-und Fernverkehr mit Bus und Bahn günstiger und einfacher ist, dann beginnen sich, Routinen umzustellen.
Das gilt auch für andere Sektoren. Leerstand reduzieren, aber dann für Wohnformen mit viel Wohnfläche pro Person nutzen, führt dann eher zu mehr Wohnraum, der beheizt werden muss. Und trotzdem muss man dann noch neu bauen. Deshalb ist ein wichtiger Teil von Suffizienzpolitik das Setzen absoluter Verbrauchslimits und eine bessere Verteilung der verfügbaren Ressourcen.
Tipps für guten Konsum
Greenpeace: Was können Verbraucher:innen tun? Vorhin hieß es, global gesehen stünden einer Person lediglich 15 Quadratmeter Wohnraum zu.
Frauke Wiese: Heute von Deutschland aus gesehen, wäre man gut dabei, wenn man
- nicht mehr als 30 Quadratmeter Wohnraum beansprucht
- die Heizung auf höchstens 19 Grad reguliert
- kein Auto besitzt – höchstens mal eines leiht
- höchstens alle fünf Jahre fliegt
- sich nur fünf neue Kleidungsstücke im Jahr zulegt oder gleich gebraucht kauft,
- tierische Produkte nicht zu jeder Mahlzeit isst
- Fleisch eher als besondere Mahlzeit sieht
Greenpeace: Ist die Notwendigkeit, aus ökologischen Gründen maßzuhalten, in der Politik angekommen?
Frauke Wiese: Noch nicht ausreichend, aber es ist eine deutliche Veränderung zu spüren. Gerade angesichts der akuten Gasknappheit ist ein plötzliches Interesse an allen Einsparoptionen zu sehen. Auch in Bezug auf Klimaneutralität wird deutlicher, dass Suffizienz eine wichtige Strategie neben Effizienz und Erneuerbaren ist. Es gibt immer mehr Energieszenarien und Klimakonzepte, die auch Suffizienz enthalten. Problematisch ist, dass im Verkehrsbereich das größte Potenzial für Suffienzmaßnahmen besteht und ziemlich klar ist, was zu tun ist, dort aber in Deutschland momentan der politische Wille am geringsten ist.
Im Gebäudebereich oder im Produktbereich ist es kleinteiliger und die Maßnahmen sind noch nicht so bekannt. Im Gebäudebereich sind es oft auch langfristige Maßnahmen: keine neuen Flächen versiegeln, im Bestand sanieren und möglichst nicht neu bauen, vor allem keine großen Einfamilienhäuser oder großen Luxuswohnungen für wenige Personen aus Beton. Denn 400.000 neue Wohnungen pro Jahr, wie es die Bundesregierung vorsieht, sind Gift für alle Klimaziele. Zwar sind diese für bezahlbaren Wohnraum gedacht, aber es muss darum gehen, Mieten zu deckeln, Spekulation und Leerstand zu verhindern und Wohnraum besser und gerechter zu verteilen, anstatt immer nur neu zu bauen. Die sogenannten grauen Emissionen aus Industrieprozessen sind enorm, die bei der Produktion der Materialien wie Zement oder Stahl entstehen.
Greenpeace: Wie müsste Suffizienzpolitik aussehen.
Frauke Wiese: Es wäre wichtig, wie bei den Klimaemissionen, Reduktionsziele und Obergrenzen für Endenergieverbrauch zu formulieren. Das muss dann durchdekliniert werden für die verschiedenen Sektoren etwa bis zur Festlegung eines Limits für Wohn- und Gewerbefläche oder eines starken Ziels für Netto-Null-Neuversiegelung oder von Obergrenzen für Vieheinheiten pro landwirtschaftlicher Fläche oder auch von Limits für Ressourcenverbrauch. Wenn der Rahmen klar ist, entwickelt sich auch Kreativität wie das etwa mit bestehendem Wohnraum hinzukriegen ist. Alle Ziele und Strategien müssen dann in Politikinstrumente übersetzt werden auf Kommunal-, Landes-, Bundes- und Europa-Ebene. In unserer Nachwuchsforschungsgruppe haben wir verschiedenste Suffizienzpolitik-Maßnahmen in einer Datenbank zusammengetragen, mit momentan etwa 300 Einträgen.
Ein weiterer wichtiger Punkt wäre, bei den Klimaemissionen eine konsumbasierte Bilanzierung anzustreben, Schweden geht hier voran. Derzeit fließt in die deutsche Klimabilanz nur ein, was in Deutschland produziert wird und nicht, was konsumiert wird. Denn diese Emissionen werden den Produktionsländern wie China zugerechnet. Wenn wir einen besseren Überblick bekommen, welche Emissionen wir quasi in anderen Ländern verursachen, können wir auch viel besser gegensteuern und unserer Verantwortung gerecht werden. Nicht nur, aber bestimmt zu einem gewissen Teil durch Suffizienz.