Obst und Gemüse von der Mehrwertsteuer befreien!
- mitwirkende Expert:innen Matthias Lambrecht
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Pflanzliche Lebensmittel von der Mehrwertsteuer zu befreien, wäre gut für das Klima, die Gesundheit und würde Verbraucher:innen finanziell entlasten. Gegenfinanzieren ließe sich die Maßnahme, indem die Subventionierung von Fleisch gestrichen würde.
Zwei Probleme und eine Lösung – die sich sogar rasch umsetzen ließe. Doch zuerst die Probleme: Die Inflation treibt die Preise für Lebensmittel hoch. Ob Äpfel, Paprika, Nüsse – alles wird teurer und erschwert vielen Menschen eine gesunde Ernährung. Andererseits ist der Konsum von Fleisch in Deutschland so hoch, dass er laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung nicht gesund ist. Mit einem einfachen Instrument könnte die Bundesregierung Haushalte finanziell entlasten und einen Anreiz für eine gesunde Ernährung schaffen: pflanzliche Lebensmittel von der Mehrwertsteuer befreien. Sänke der Konsum tierischer Produkte, hätte das noch einen weiteren Effekt. Die Zahl der Nutztiere würde zurückgehen – und das ist für den Klima- und Artenschutz unerlässlich.
Während der Koalitionsverhandlungen Ende 2021 hat Greenpeace gemeinsam mit dem Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und dem Sozialverband VdK die Ampelkoalition aufgefordert, gesunde und klimafreundliche Lebensmittel für alle bezahlbar zu machen. Bundesfinanzminister Cem Özdemir (Die Grünen) hat sich Anfang des Jahres 2023 dafür ausgesprochen, die Mehrwertsteuer bei Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten auf null Prozent zu senken.
Große Mehrheit befürwortet Null-Prozent-Steuer für pflanzliche Lebensmittel
Dafür würde er in der Bevölkerung viel Zustimmung bekommen. 72 Prozent der Bundesbürger:innen sind dafür, dass Özdemir vorrangig niedrigere Mehrwertsteuersätze durchsetzt. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage von Kantar aus dem Jahr 2023 im Auftrag von Greenpeace. Zwei Drittel der Bundesbürger:innen wollen, dass klimafreundliche pflanzliche Lebensmittel ganz von der Mehrwertsteuer befreit werden. Bei den Befragten mit einem Haushaltsnettoeinkommen von unter 1500 Euro monatlich ist die Zustimmung mit 84 Prozent noch größer.
Nach dem Scheitern der Ampel-Koalition müssen die Bürger:innen nun hoffen, dass sich die neue Regierung des Themas annimmt. Die europarechtlichen Grundlagen sind längst geschaffen: Das EU-Parlament hat im Oktober 2021 mit großer Mehrheit beschlossen, die Mehrwertsteuer auf gesunde Lebensmittel abzuschaffen. In einem Offenen Brief hatte Greenpeace den inzwischen entlassenen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) aufgefordert, tätig zu werden – über 67.000 Menschen haben den Aufruf unterstützt.
Die Vorteile einer Mehrwertsteuerbefreiung von Obst und Gemüse sind eindeutig. “Damit würde ganz ohne Zwang eine Änderung von Konsumgewohnheiten gefördert, die zugleich das Klima schützt”, sagt Matthias Lambrecht, Experte für Landwirtschaft bei Greenpeace. „Klar ist aber auch, dass dies nur ein Baustein sein kann, um allen Menschen den Zugang zu gesunden und umwelt- und klimaverträglich erzeugten Lebensmitteln zu sichern. Sie wäre aber eine wichtige Maßnahme, die die künftige Finanzministerin oder der künftige Finanzminister umgehend und ohne großen Aufwand umsetzen könnte.”
Konsum zu viel tierischer Produkte hat hohen Preis
Denn eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten in Deutschland ist sowohl für die Gesundheit als auch für die Umwelt notwendig. Erfreulich ist zwar, dass der Fleischkonsum in den vergangenen Jahren stetig zurückgegangen ist – von durchschnittlich 60 Kilogramm pro Kopf und Jahr auf 52. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt jedoch, nicht mehr als 16 Kilo im Jahr zu essen. Zu viel Fleisch auf dem Speiseplan erhöht das Risiko von Herz- und Kreislauferkrankungen, Krebs und Diabetes.
Der allzu große Appetit auf Fleisch und Milchprodukte gefährdet nicht nur die Gesundheit, sondern trägt auch maßgeblich zur Umweltzerstörung bei und verschärft die Klimakrise. Zudem führt die durch die Massentierhaltung ermöglichte billige Produktion von Fleisch zu unendlichem Tierleid. Die Bundesregierung steht in der Pflicht, die vom Klimaschutzgesetz vorgeschriebene Treibhausgasneutralität bis 2045 in Deutschland zu erreichen. In der Landwirtschaft sind die Klimaziele angesichts der hohen Methanemissionen aus der Tierhaltung nur zu schaffen, wenn die Zahl der gehaltenen Tiere deutlich reduziert und die Ernährung gleichzeitig entsprechend angepasst wird. Dafür braucht es eine grundlegende Agrar- und Ernährungswende.
„Lebensmittel dürfen kein Luxusgut werden“, erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. „Doch der Preis muss die ökologische Wahrheit stärker ausdrücken.“ Die Herstellung von Fleisch- und Milchprodukten in Deutschland verursacht laut einer Studie aus dem Jahr 2020 Umwelt- und Klimaschäden in Höhe von rund sechs Milliarden Euro im Jahr - etwa durch die Belastung von Böden und Gewässern oder Klimakatastrophen infolge der hohen Emissionen. “Die wahren Kosten schlagen sich bislang im Preis nicht nieder“, so Lambrecht. „Und der Verbrauch tierischer Erzeugnisse wird auch noch mit mehr als fünf Milliarden Euro jährlich gefördert, weil auf diese Produkte nur der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent erhoben wird. Die Regierung muss diese paradoxe Politik zu Lasten von Klima und Umwelt beenden.”
Wie sich die Ernährungswende finanzieren ließe
Die Bundesregierung könnte diese klima- und umweltschädlichen Subvention streichen und die Mehrwertsteuer für Fleisch und Milchprodukte an den regulären Satz von 19 Prozent anpassen. Wissenschaftler:innen des Öko-Instituts haben im Auftrag von Greenpeace kalkuliert, was möglich wäre, wenn Deutschland und andere EU-Länder die im März 2022 verabschiedete EU-Vorgabe nutzen würden, um Obst und Gemüse von der Mehrwertsteuer zu befreien und zugleich die Subventionen auf tierische Produkte zu streichen.
In allen fünf untersuchten EU-Ländern (Deutschland, Österreich, Niederlande, Belgien, Polen) würde die Bevölkerung von einer solchen Reform finanziell profitieren. In Deutschland lägen die Ausgaben für Lebensmittel pro Kopf und Jahr um fast 30 Euro niedriger. Und zugleich könnte das Bundesfinanzministerium mit zwei Milliarden Euro zusätzlichen Einnahmen rechnen.
Dieses Geld könnte für mehr Tierwohl eingesetzt werden, indem die vom Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung (Borchert-Kommission) vorgeschlagenen Maßnahmen für mehr Tierwohl in den Ställen umgehend umgesetzt werden. Bäuer:innen sollten mit den Einnahmen gezielt unterstützt werden, wenn sie bessere Haltungsbedingungen schaffen und weniger Tiere halten.
Die Anpassung der Mehrwertsteuer bei pflanzlichen und tierischen Produkten löst zwar nicht alle Probleme, sie ist aber ein wichtiger Baustein für eine Agrar- und Ernährungswende hin zu mehr Tierwohl, Arten- und Klimaschutz sowie gesundem Essen.
(Dieser Artikel wurde am 20.01.2023 veröffentlicht und am 25.11.2024 aktualisiert.)