“Wo wollen wir hin?” - Interview mit der Psychologin van Bronswijk
- Im Gespräch
Auch der frisch erschienene Bericht des Weltklimarats hält keine erfreulichen Nachrichten für uns bereit. Es ist seit Jahren der gleiche Ablauf: Der weltweit von Wissenschaftler:innen erstellte Bericht beschreibt die dramatische Entwicklung der Klimakrise und fordert zu entschlossenem Handeln auf. Katharina van Bronswijk, praktizierende Psychologin und Sprecherin von „Psychologists for Future“, erzählt im Interview, wovon unser Handeln abhängig ist und warum der erhobene Zeigefinger nichts bringt.
Greenpeace: Es tut noch nicht genug weh, deshalb – so eine Erklärung – tun wir nicht alles dafür, die Erderhitzung unter 1,5 Grad zu halten. Dabei erschüttern Nachrichten aus dem Ahrtal und an der Verdrängung rütteln orkanartige Stürme oder Menschen wie Özdem Terli, der beim Wetterbericht keine Gelegenheit auslässt, die Erderhitzung vor Augen zu führen. Was müsste passieren, damit wir die Bedrohung als solche wahrnehmen und handeln?
Katharina van Bronswijk: Ich denke, dass wir kein Informationsdefizit haben. Zwar wissen nicht alle Menschen bis ins tiefe Detail Bescheid, was die Klimakrise bedeutet und welches Ausmaß sie hat – aber ein grundsätzliches Problembewusstsein ist da. Sie fühlen sich aber nicht zuständig für die Lösung des Problems, da es sehr komplex ist und auch komplexe Lösungen braucht. Es besteht das Gefühl, nicht den Handlungsspielraum zu haben, um an der Erderhitzung tatsächlich was verändern zu können.
In der Bevölkerung scheitert das Handeln nicht daran, dass wir nicht wissen, was das Problem ist, sondern dass wir nicht wissen, was wir tun können.
Wir könnten unser Verhalten ändern: nur noch alle paar Jahre in den Urlaub fliegen, weniger neue Kleidung kaufen …
Ja, das ist möglich, mich stört aber, dass Klimaschutz dadurch individualisiert wird. Die Politik etwa schiebt gerne die Verantwortung auf Verbraucher:innen. Dabei gibt es gar nicht den Rahmen, in dem es einfach ist, richtige Entscheidungen zu treffen. Wenn es etwa auf dem Land gar nicht die Infrastruktur dafür gibt, das Auto stehenzulassen. Oder die Hilflosigkeit, die entsteht, wenn man vor einem Regal die Wahl hat zwischen einer Bio-Gurke aus Spanien, die in Plastik eingepackt ist und der regionalen konventionellen Gurke, die mit Pestiziden angebaut wurde. Man hat vor dem Regal nicht wirklich eine Wahl, denn eine attraktive umwelt- und klimafreundliche Alternative fehlt. Das ist eine euphemistische Erzählung, die die Politik da macht – die zu dem individualistisch kulturellen Mindset passt, dass ich als Einzelperson für meine Handlungen verantwortlich bin, die ganz außer Acht lässt, wie der Handlungsrahmen ist.
Die mir bereitgestellte Infrastruktur trägt mit ihren CO2-Emissionen viel stärker zum Klimawandel bei als mein privater Konsum. Sei es, weil die gemietete Wohnung eine Ölheizung hat oder die Supermärkte Kohlestrom nutzen oder weil ich auf dem Land auf das Auto angewiesen bin. Der Großteil muss also aus einer gesellschaftlichen Transformation kommen.
Aber auch der private Konsum bewirkt doch was und ich trage mit meinem Verhalten zum großen Ganzen bei. Es macht einen Unterschied, ob ich dreimal im Jahr in den Urlaub fliege, jeden Tag die fünf Kilometer zur Arbeit mit dem Auto fahre oder jeden Tag ein Steak esse – oder eben nicht.
Klar bringt es was, wenn ich weniger fliege oder weniger Fleisch esse. Das eigene Handeln entfaltet auch immer eine Vorbildfunktion für andere. Außerdem verändern wir mit unseren Kaufentscheidungen auch Geldströme. Besonders deutlich hat sich das in den vergangenen Jahren am Angebot der Supermärkte gezeigt. Der Handel hat auf die steigende Nachfrage nach Bio-Produkten reagiert und das Angebot deutlich ausgebaut.
Mir geht es darum, keine individuellen Schuldzuweisungen auszusprechen, nicht mit dem Finger auf jemanden zu zeigen, sondern sich zu fragen: Wo wollen wir hin und wie kommen wir als Gesellschaft dahin?
Also brauchen wir politische Rahmensetzungen für die gesellschaftliche Transformation, die aber auch oft auf wenig Gegenliebe stoßen, wenn es etwa darum geht, ein Tempolimit einzuführen oder klimaschädliche Produkte teurer zu machen. Was müsste passieren, damit Menschen bei Klimaschutzmaßnahmen mitgehen?
Wir brauchen unbedingt staatliche Maßnahmen für den Klimaschutz. Und sehr viele Menschen gehen da ja auch bereits mit. Die Bevölkerung müsste aber mehr Möglichkeiten erhalten, Einfluss zu nehmen. Ein Beispiel, wie Beteiligung funktionieren kann, ist der Bürgerrat Klima, den es vergangenes Jahr gab. Der wurde unter anderem von Scientists for Future initiiert. Dafür wurden 160 repräsentativ für Deutschland stehende Menschen ausgewählt. Nach einem Input von Wissenschaftler:innen haben sie beraten, welche Maßnahmen sinnvoll sind. Das Ergebnis ging auch an die Politik – und der Katalog war weitreichender als das Klimaprogramm der Bundesregierung. Das zeigt, wenn die Menschen wirklich informiert sind, wenn sie gehört werden, wenn sie diskutieren können, sind sie veränderungsbereiter als die Politik denkt.
Ähnliche Modelle lassen sich an vielen Stellen etablieren – nicht nur auf Bundesebene, sondern bis hinunter zum Stadtteil oder auf kommunaler Ebene. Wenn es zum Beispiel heißt, wir wollen ein Mobilitätskonzept für unseren Stadtteil entwickeln. Dass man dann die Leute explizit einlädt oder zu ihnen nach Hause geht. Gerade Menschen, die marginalisiert sind, die nicht die Einschätzung haben, dass sie gehört werden, fühlen sich nicht durch ein Plakat im Stadtteil angesprochen, das zur Beteiligung einlädt. Die werden nicht kommen, wenn man sie nicht aktiv aufsucht. Da hat Politik auch eine Verantwortung, Meinungen abzuholen, statt nur einen Raum zu eröffnen und zu sagen, dann kommt mal.
Wir haben in Deutschland Bevölkerungsteile, die weniger Möglichkeiten der Teilhabe haben als andere, weil sie einen anderen Alltag haben, der etwa bestimmt ist von mehreren - schlecht bezahlten – Jobs. Die zudem Kinder versorgen und sich um Eltern oder Großeltern kümmern müssen. All diese Menschen haben keine Kapazitäten, sich mit gesellschaftlichen Themen wie der Klimakrise zu beschäftigen. Diese Menschen müssen die Möglichkeit erhalten nicht nur vom finanziellen und zeitlichen Rahmen her, sondern auch machtdynamisch, Politik zu beraten. Teils ist für sie das Nachhaltigkeitsthema ein Reizthema, weil sie Sorge haben, dass ihnen was weggenommen wird. Wir müssen anfangen die sozialen und die Nachhaltigkeitsfragen zusammen und gemeinsam zu diskutieren, damit wir diese Menschen nicht verlieren.
Teilhabe ist in diesen Beispielen abhängig von staatlichen Angeboten. Viele Veränderungen sind aber erst durch soziales oder umweltpolitisches Engagement der Zivilgesellschaft entstanden. Wie ließe sich das breiter aufstellen?
Eine wichtige Stellschraube ist Bildung für nachhaltige Entwicklung und Wertevermittlung. Deshalb finde ich auch Projekte wie „Schools for Earth“ von Greenpeace gut, weil Kindern damit beigebracht wird, dass sie etwas tun können und auch dafür zuständig sind, etwas zu tun. Dass sie also einerseits das Gefühl bekommen „Ich bin zuständig“, andererseits lernen, welche Hebel sie in Bewegung setzen können und erfahren, welche Wirkung das eigene Handeln hat.
Wir müssen verstehen: Ich bin eingebunden in ein Kollektiv, in gesellschaftliche Strukturen, in Infrastrukturen und Kontexte, die mein Leben beeinflussen. Und wenn ich daran etwas ändern will, muss ich ins gesellschaftliche Handeln kommen. Deshalb finde ich auch soziale oder ökologische Bewegungen wie Greenpeace so wichtig, weil man erlebt: Ich kann dieses Land gestalten.
Was sagst du Menschen, die den Mut verloren haben, die sich denken, mein Verhalten ändert doch nichts.
Das ist das Schwierige am Klimaschutz. Ich sehe und spüre nicht, was es dem Klima bringt, wenn ich Fahrrad statt Auto fahre. Und es kann mich demotivieren, wenn andere ihr Verhalten nicht ändern. Daher rate ich, die Motivation nicht aus der CO2-Einsparung allein zu ziehen, sondern wertebasiert ranzugehen und sich zu fragen: Was will ich für ein Mensch sein? Wie will ich mit 80 Jahren auf mein Leben zurückblicken? Es geht darum, sich gut zu fühlen mit dem, was man geleistet hat – und darauf stolz sein zu können.
Warum sind wir so wenig bereit, auf Gewohntes zu verzichten und die Chance in etwas Neuem zu sehen? Neulich erzählte eine Freundin, der schönste Familienurlaub sei der gewesen, als sie pandemiebedingt mit dem mit Campingutensilien beladenen Fahrrad von Prag aus die Elbe entlang gefahren sind.
Viele Menschen bleiben beim Gewohnten, weil sie Gewohnheitstiere sind und weil sie bereits in das Gewohnte investiert haben. Sie haben sich erkundigt, welches Auto geeignet ist und haben Geld investiert. Das stellt man dann nicht gerne infrage. Bereit für Veränderungen sind wir dann, wenn es eh einen Bruch gibt – wie in dem Beispiel. Durch die Pandemie war der gewohnte Urlaub nicht möglich, also war sie offen für was Neues. Deshalb sind junge Menschen auch viel offener für was Neues, weil das Leben sowieso geprägt ist von Veränderungen etwa durch den Umzug in eine andere Stadt. Auch Menschen, die gerade Eltern geworden sind, hinterfragen gewohnte Verhaltensmuster. Solch einen Aufbruch kann aber auch eine Erfahrung bewirken etwa eine Aktion von Greenpeace, dass man anfängt über Routinen nachzudenken. Um dann ins Handeln zu kommen, braucht es aber auch Angebote, Partizipationsmöglichkeiten – dass Greenpeace zeigt: das sind Lösungen oder du kannst bei uns mitmachen.
Das lass ich mir nicht zweimal sagen: Wir freuen uns sehr, wenn Menschen mitmachen wollen. Bei Greenpeace gibt es viele Formen des Engagements – für unterschiedliche Interessen und Zeitbudgets ist was dabei. Einen Überblick finden Sie hier.