Greenpeace nimmt Kurs auf die Arktis: Einsatz für den Tiefseeschutz
Greenpeace war mit den Schiffen Witness und Arctic Sunrise im Nordatlantik unterwegs.
- Ein Artikel von Andi Nolte
- mitwirkende Expert:innen Franziska Saalmann
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Die Arktis ist in Gefahr. Seit Jahren ist zu sehen, wie das Eis in der Arktis weiter schmilzt und die Meeresumwelt unter Stress steht. Doch anstatt wirksamen Schutz sicherzustellen, will die norwegische Regierung in ihren Gewässern vor Spitzbergen mit Tiefseebergbau beginnen. Die Folgen für den Meeresboden und das fragile Ökosystem in der Arktis wären verheerend.
Deshalb haben Greenpeace Deutschland und Greenpeace Norwegen Anfang August gemeinsam Kurs auf die Arktis genommen, um das von Norwegen für den Tiefseebergbau vorgesehene Gebiet genauer unter die Lupe zu nehmen.
Ziel der ersten skandinavisch-deutschen Greenpeace-Expedition mit der SY Witness war es, im geplanten Tiefseebergbaugebiet Daten zu sammeln, die Aufschlüsse über das Vorkommen, die Verbreitung und Lebensweise von Walarten im arktischen Abbaugebiet geben. Diese wären durch den Tiefseebergbau gefährdet. Mit der Arctic Sunrise haben Aktivist:innen nun das erste Mal in der Arktis gegen die Tiefseebergbaupläne protestiert – außerdem hat Greenpeace das einzigartige Ökosystem der Arktis weiter dokumentiert.
Der Sommer in der Arktis zeigt sich warm. Auch die See ist unerwartet ruhig, wenn auch etwas neblig. Inmitten dieser Stille hört die Crew der SY Witness laute Walgeräusche über das Unterwassermikrofon. Später tauchen ein paar Orcas neben dem Greenpeace-Schiff auf. Ihre majestätischen Silhouetten gleiten durchs Wasser. Die Mission ist klar: Mitten in der Arktis, wo die norwegische Regierung als erstes europäisches Land den Tiefseebergbau starten möchte, gilt es, die unberührten Gewässer und ihr sensibles Ökosystem genau zu untersuchen. Denn genau das hat die norwegische Regierung bisher versäumt.
Deshalb haben Greenpeace Deutschland und Greenpeace Norwegen Anfang August die Segel gehisst und sind mit dem Schiff, der SY Witness, aufgebrochen, um das von Norwegen für den Tiefseebergbau vorgesehene Gebiet genauer unter die Lupe zu nehmen. Mit an Bord: eine engagierte Crew aus Greenpeace-Meeresexpert:innen und internationalen Walforscher:innen.
Von Bergen aus segelten wir Richtung Spitzbergen, immer mit dem Ziel vor Augen, wertvolle Daten über die Walarten in diesem geplanten Abbaugebiet zu sammeln. Denn Wale und andere Meeresbewohner könnten durch den Tiefseebergbau in ihrer Existenz bedroht werden. Die gesammelten Daten helfen dabei, das betroffene Ökosystem und seine Artenvielfalt besser zu verstehen.
Orcas, Pottwale und Delfine: Artenvielfalt im geplanten Abbaugebiet
Schon am ersten Tag unserer Expedition erlebte das Team ein atemberaubendes Naturschauspiel. Im geplanten Abbaugebiet hörten sie über die Unterwassermikrofone mindestens vier verschiedene Gruppen von Pottwalen – majestätische Riesen, die in den Tiefen des Ozeans ihre Bahnen zogen. Und das war erst der Anfang: Kurz darauf begegneten sie auch Orcas, Finnwalen und Delfinen. Besonders beeindruckend war die große Anzahl tief tauchender Pottwalen rund um den Mohn-Rücken und die angrenzenden Seeberge – genau jene Gebiete, die Norwegen für den Tiefseebergbau ins Auge gefasst hat.
Gespräch mit zwei Expertinnen
Die Greenpeace-Umweltwissenschaftlerin Haldis Tjeldflaat Helle aus Norwegen und Greenpeace-Meeresbiologin Franziska Saalmann aus Deutschland sind gemeinsam durch die Arktis und das vorgesehene Abbaugebiet gesegelt. In einem kurzen Interview berichten Sie von ihren Eindrücken:
Eine Expedition in der Arktis – das ist etwas sehr Besonderes. Was habt ihr von der Expedition erwartet ?
Haldis: Ich war total aufgeregt, endlich das Gebiet zu sehen, das wir schützen wollen! Ich hatte mit rauer See gerechnet, aber auch darauf gehofft, einige der erstaunlichen Wildtiere in der Region zu entdecken. In dieser Hinsicht wurden meine Erwartungen mehr als erfüllt – das Meer war ruhig, wenn auch etwas neblig, und wir entdeckten wirklich faszinierende Lebewesen. Ein besonders spezieller Moment war, als mitten im dichten Nebel plötzlich ein paar Orcas an unserem Boot vorbei zogen. Sie wirkten unglaublich geheimnisvoll und majestätisch, wie sie durchs Wasser glitten.
Franziska: Die Orcas waren für mich neben den Pottwalen auch ein absolutes Highlight. Insgesamt war die Expedition nach meinem Meeresbiologie-Studium eine großartige Chance, mit Wissenschaftler:innen über den Nordatlantik zu segeln, um Wale zu erforschen. Ich war sehr gespannt, mehr über die Tiere und die Technik, mit denen wir sie erforscht haben, zu lernen. Für die Arktis habe ich die dicksten Klamotten ausgeliehen und eingepackt, die ich auftreiben konnte - nur um dann festzustellen, dass es hier beunruhigend warm ist.
Mit einem Segelboot durch die Arktis zu reisen, bringt sicherlich einige Herausforderungen mit sich. Gab es Momente, die es euch schwer gemacht haben?
Haldis: Überraschenderweise war der schwierigste Moment auf der Reise die Strecke von Bergen nach Ålesund – bevor wir überhaupt in das Bergbaugebiet und in die Arktis gesegelt sind. Es war der erste Tag auf See, es regnete und das Meer war ziemlich unruhig, sodass sowohl ich als auch die beiden Forschungsassistenten für ein paar Stunden ziemlich blass aussahen. Aber Franzi schien völlig unbeeindruckt und tippte fröhlich auf ihrem Computer!
Franziska: Ich war tatsächlich in Ålesund eher ein wenig “landkrank” und hatte noch über Stunden das Gefühl, hin und her zu schwanken. Die Herausforderung auf dem Wasser war vor allem der Nebel, in den wir eingehüllt waren - wie sollten wir bei der schlechten Sicht gute Aufnahmen von Walen bekommen? Geklappt hat es trotzdem. Aber da habe ich wirklich jegliches Raum- und Zeitgefühl verloren, weil es in der Arktis im Sommer ja auch nicht dunkel wird.
Ihr nehmt sicherlich viele tolle Momente aus dieser Expedition mit nach Hause. Wollt ihr den schönsten mit uns teilen?
Haldis: Für mich war ein magischer Moment, als wir es geschafft hatten, unseren ersten Pottwal zu orten und zu identifizieren. Ich stand am Bug des Schiffes, und kurz bevor wir den Pottwal fanden, ritten Weißschnauzendelfine an der Bugwelle mit. Während wir den Pottwal beobachteten, tauchte ein Zwergwal auf und versuchte, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Gerade als die Fluke des Pottwals verschwunden war, wurde mir bewusst, wie viel Leben diese Gebiete beherbergen und wie viel wir noch von den erstaunlichen Kreaturen lernen können, die in diesen Teilen des Ozeans leben.
Franziska: Geht mir ganz genau so. Es war das erste Mal, dass ich einen Wal abtauchen gesehen habe – zuzusehen, wie sich die Fluke, also die Schwanzflosse, hoch aus dem Wasser hebt, bevor der Wal in die Tiefen des Meeres verschwindet, war wirklich magisch. Es hat mich auch sehr beeindruckt, die Klick-Töne, die sie zur Navigation und Jagd ausstoßen, wieder auf dem Hydrophon zu hören und so eine Verbindung zu ihrer Sprache und Welt zu bekommen.
Gab es etwas während der Expedition, das euch besonders überrascht hat?
Haldis: Die Menge an Delfinen! Ich bin keine Meeresbiologin, sondern Umweltwissenschaftlerin und war so darauf fokussiert, mich über Tiefseetiere und tief tauchende Wale zu informieren, dass ich mich völlig unvorbereitet fühlte für all die Delfingruppen, denen wir begegneten – und wie man nie müde wird, ihnen zuzusehen.
Franziska: Ich war erstaunt darüber, wie gut es geklappt hat, über das Hydrophon gehörte Pottwale aufzuspüren. Wir haben unseren Kurs angepasst und dann geschaut, ob die Töne, die wir hören, lauter werden. Gleichzeitig haben wir mit vereinten Kräften draußen Ausschau gehalten: Wer sieht den Wal? So konnten wir insgesamt vier oder fünf Pottwale an der Wasseroberfläche erkennen. Viele weitere konnten wir mit den Mikrofonen aufnehmen. Wie viele genau und welche Arten sich im Wasser tummelten, werden die Datenauswertungen mit dem Unterwassermikrofon ergeben. Die Crew hat außerdem einen super Job gemacht, mit dem Schiff immer in ausreichender Entfernung zu bleiben, um die Wale nicht zu stören oder zu bedrängen.
Die Arktis ist ein Naturwunder und eines der empfindlichsten Ökosysteme unseres Planeten. Warum will Norwegen genau hier mit dem Tiefseebergbau beginnen?
Haldis: Die norwegische Regierung scheint in einem Ausbeutungsdenken festzustecken und hat den Ozean viel zu lange wie eine Müllkippe behandelt. Sie treibt die Öl- und Gasindustrie in der Arktis immer weiter voran, erlaubt es Bergbauunternehmen, giftige Abfälle in die Fjorde zu kippen, und richtet durch die Fischzucht verheerenden Schaden in den Küstenökosystemen an. Das Tragische daran ist, dass diese Ausbeutung des Ozeans nicht dem Wunsch der Öffentlichkeit entspricht. Laut einer aktuellen Umfrage wollen 81 Prozent der Norweger:innen, dass Norwegen 30 Prozent seiner Meeresgebiete schützt. Und Tiefseebergbau war in Norwegen ein weitgehend unbekanntes Thema, bis vor kurzem norwegische Gewässer für diese zerstörerische Industrie geöffnet wurden. Kurze Zeit später zeigen sich 43 Prozent der Norweger:innen besorgt über die Umweltauswirkungen dieser Industrie. Es scheint mir nicht so, als würde die Gesellschaft in Norwegen wollen, dass ihre Regierung als Hauptlobbyist für eine neue zerstörerische Tiefseebergbauindustrie agiert – doch genau das ist derzeit die Realität der norwegischen Politik, sowohl in Norwegen als auch auf internationaler Ebene.
Es ist an der Zeit, die gierige, ausbeutungsorientierte Politik hinter sich zu lassen. Norwegen hat die Ressourcen, die Kompetenz und die historische Verantwortung, den Weg für einen echten grünen Wandel zu ebnen.
Warum ist Tiefseebergbau so gefährlich für die Walarten, die dort leben?
Franziska: Für den Rohstoffabbau in der Tiefsee kommen Maschinen zum Einsatz, die laute Geräusche verursachen. Wale, die ihr Gehör nutzen, um zu kommunizieren, zu navigieren und Beute zu finden, können durch diesen Lärm gestört oder sogar desorientiert werden. Dies kann zu Verhaltensänderungen führen. Manche Tiere verstehen einander nicht mehr, andere flüchten sogar. Außerdem würde Tiefseebergbau den Meeresboden großflächig zerstören, was den Lebensraum von Organismen am oder im Meeresboden stark beeinträchtigt. Wale leben nicht direkt am Meeresboden, aber die Zerstörung dieser Lebensräume kann ihre Nahrungsaufnahme stören, wenn beispielsweise die Nahrung ihrer Beutetiere betroffen ist. Tiefseebergbau findet zwar nur am Meeresboden statt, kann aber auch durch solche Kettenreaktionen die Zusammensetzung und Dynamik des gesamten Ökosystems verändern.
Greenpeace Studie: Die Jagd nach Metallen in der Tiefsee
Anzahl Seiten: 26
Dateigröße: 1.32 MB
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