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Brigitte Behrens
Thomas Duffé / Greenpeace

Wer würde es sonst machen?

Interview mit Greenpeace-Geschäftsführerin Brigitte Behrens (2015)

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Vor dem Filmstart von „How to Change the World“,  einer mitreißenden Doku über die Greenpeace-Anfänge, spricht Geschäftsführerin Brigitte Behrens über Visionen, die die Mühe wert sind.

Die Geburtsstunde von Greenpeace war eine gefährliche Seereise: Eine zusammengewürfelte Truppe von Idealisten versuchte 1970 mit einem klapprigen Schiff einen US-amerikanischen Atomtest vor Alaska zu stoppen. Sie scheiterten, wurden bei ihrer Rückkehr aber wie Helden gefeiert: Sie schufen ein neues Bewusstsein. Der Film „How to Change the World“ erzählt anhand von bislang unveröffentlichtem Archivmaterial die Geschichte aus dem Blickwinkel von Bob Hunter, einem investigativen Journalisten, der zum ersten, widerstrebenden Anführer der Bewegung wurde. Zum Filmstart der mitreißenden Dokumentation spricht Brigitte Behrens, Geschäftsführerin von Greenpeace Deutschland 2015, über alte und neue Herausforderungen im Auftrag der Umwelt.

Greenpeace: Umweltprobleme und Umweltschutz sind heute komplex. Dagegen wirken im Film die Anfänge von Greenpeace eher einfach.

Es war alles andere als einfach. Die ersten Greenpeace-Aktivisten hatten eine Vision und sehr geringe Mittel. Sie haben sich auf ein brüchiges Schiff gesetzt und sind gen Norden gefahren, ins Ungewisse, um den Atombombentest der USA zu verhindern. Und sie sind dort nicht angekommen. Sie waren deprimiert, sie hatten das Gefühl, das war alles erfolglos. Aber ihre Reise hatte eine große Wirkung. Als sie nach sechs Wochen zurück nach Vancouver kamen, wurden sie von Hunderten begeisterten Menschen empfangen. Da wussten sie, dass sie etwas Wichtiges ausgelöst hatten. Daher sage ich, egal, wie schwierig unsere Herausforderung aussieht, das darf uns nicht davon abhalten, auch große Visionen zu verfolgen. Wir müssen es wenigstens versuchen! Wenn wir für den Schutz eines arktischen Meeresgebietes zum Beispiel 20 Jahre brauchen, dann machen wir das, denn wer würde es sonst machen?

Greenpeace befragt wohl nicht mehr Orakel wie damals bei der ersten Schiffstour gegen die russischen Walfänger?

[lacht] Nein, heute recherchieren und analysieren wir ausführlich, wir diskutieren unsere Strategien. Aber das Bauchgefühl spielt immer noch eine große Rolle bei Entscheidungen, weil man den Erfolg der verschiedenen Strategien nicht voraussehen kann, weil sich die Umstände immer wieder ändern.

Wie erhält man das Bauchgefühl?

Greenpeace zieht mit diesem Spirit, den wir uns aus den Anfangstagen bewahrt haben, Menschen an, die genauso ticken. Das ist das Wichtigste, dass eine Organisation in der Lage ist, sich immer wieder neu zu motivieren.

Was brachte Greenpeace dazu, den Klimaschutz zur wichtigsten Aufgabe zu machen?

Zum Thema Klimaschutz arbeitet Greenpeace bereits seit 1988. Wissenschaftliche Veröffentlichungen zeigten später, dass der Klimawandel entscheidend anders ist: Dass uns nämlich die Zeit wegläuft! Das ist eine ganz andere Gefahr als wir sie bisher kannten. Man kann zwar den Pestizideinsatz reduzieren, aber das muss nicht zwingend innerhalb von zwei oder drei Jahren passieren. Beim Klimawandel gibt es dagegen Zeitdruck und enorme Folgen. Das war der Grund für unsere Entscheidung, dem Klimaschutz höchste Priorität zu geben. Egal, ob uns jemand folgt oder nicht.

Heute gehört eine gewisse Form von Umweltschutz zum Alltag, zumindest in Deutschland und in vielen anderen westlichen Ländern. Aber wo liegt die Stelle für einen wirklichen Durchbruch?

Im Umweltschutz wird häufig nur die technische Machbarkeit und die Wirtschaftlichkeit gesehen, wie beispielsweise in den Konflikten um die Energiewende. Aber wir müssen tiefer blicken und sehen, dass wir in einem ökologischen System existieren. Wir brauchen für unseren Alltag und die wichtigen Entscheidungen eine Vorstellung von einer besseren Welt und einer geschützten Umwelt. Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass wir den Massenkonsum und das Wachstumsparadigma überwinden müssen.

Aus kleinen Initiativen können große Dinge entstehen

Es gibt wieder ein Milieu, das einfachere Lebensentwürfe umsetzt, vor allem jüngere Leute. Das ist ganz nah an unseren Vorstellungen.

Ja, und ich gehe davon aus, dass viele unserer Förderer nach ihren Möglichkeiten auch einen anderen Lebensstil führen. Aber eben nicht die Mehrheit. Und angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung in Ländern wie China oder Indien kann man fragen, wie viel diese Keimzellen in Deutschland zur Rettung des Planeten beitragen können. Dennoch sind sie sehr wichtig, aus kleinen Initiativen können große Dinge entstehen. Das haben wir bei Greenpeace erlebt.

Der Film wird beschrieben als „eine Hommage an die Gefahr und den Idealismus dieser Zeit“, der 70er-Jahre. Mit welchen Gefahren muss Greenpeace heute umgehen?

Die Gefahren bestehen heute darin, dass viele Länder die Meinungsfreiheit stark einschränken. Unsere Arctic30-Leute waren in Russland ungerechtfertigt zwei Monate eingesperrt und sind nur durch eine Amnestie frei gekommen, nicht aufgrund eines Urteils einer unabhängigen Justiz. Das ist reine Willkür. In Indien gibt es heftige Attacken auf unser Büro. Es wurde Leuten die Ein- und Ausreise verweigert, es wurden die nationalen und internationalen Konten gesperrt, es gibt riesige Schadenersatzklagen eines Konzerns, weil Greenpeace eine Kohlemine verhindert hat. Und es wird gedroht, Greenpeace die Registrierung und damit die Grundlage zu entziehen, wie Tausenden anderen NGOs auch. Das richtet sich gegen die gesamte Zivilgesellschaft. Auch in China sind unsere Möglichkeiten begrenzt. Unsere Kollegen müssen austesten, wie sie agieren können. Sie bieten Umweltberatung, veröffentlichen wissenschaftliche Reports über Waldzerstörung, machen aber auch mit Projektionen auf dem Platz des Himmlischen Friedens auf den Klimawandel aufmerksam.

Inwieweit betrifft das Greenpeace Deutschland und deine Arbeit?

Wir sind gesellschaftlich anerkannt, rund 590.000 Fördermitglieder unterstützen uns. Das gibt uns eine richtig gute Basis. Aber uns beschäftigen die Attacken auf die Kollegen sehr. Wir prüfen, was wir politisch unternehmen oder mit Öffentlichkeitsarbeit erreichen können, ob wir sie vor Ort unterstützen. Greenpeace hält immer zusammen. Das haben wir bei den Arctic 30 gesehen, als alle Länderbüros vor den russischen Botschaften für die Freilassung demonstriert haben.

Den ersten Aktivisten lag es überhaupt nicht, eine Organisation aufzubauen. Wie halten sich heute spontaner Einsatz und notwendige Organisation die Waage?

Das haben wir gut geschafft. Greenpeace hat sich immer die Freiheit herausgenommen, zu sagen: Wenn etwas Außergewöhnliches passiert, dann lassen wir das liegen, was wir bisher gemacht haben, und kümmern uns beispielsweise um eine explodierte Ölplattform. Das ist der Moment, in dem Greenpeace aufklären und Lösungen anbieten muss.

Sollte Greenpeace einige Eigenschaften aus der Anfangszeit wieder stärker betonen?

Es ist wichtig, unsere Visionen deutlicher zu machen. Es geht trotz detaillierter Arbeit für den Umweltschutz immer noch darum, unser Verhältnis zur Natur zu verstehen und zu ändern. Ohne dieses Verständnis tut man sich schwer mit einer größeren Vision und einer Lebenseinstellung, die sich unterscheidet von dem weit verbreiteten, materialistischen Lebensstil ohne Rücksicht auf Negativfolgen für Mensch und Umwelt.

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