“An einem Ölembargo führt kein Weg vorbei”
- Im Gespräch
Ölembargo, Tempolimit und Volker Wissings To-Do-Liste: Im Gespräch mit Greenpeace-Mobilitätsexperte Tobias Austrup
Greenpeace: Angesichts der furchtbaren Bilder aus der Ukraine wird über kaum ein Thema so intensiv diskutiert, wie über einen schnellen Abschied von Energielieferungen aus Russland. Welche Rolle spielt dabei russisches Öl?
Tobias Austrup: Eine ganz zentrale. Mit Ölexporten verdient Russland das meiste Geld, noch deutlich mehr als mit Gas. Und anders als beim Gas kommt nur ein kleiner Teil des russischen Öls durch Pipelines. Das meiste Öl erreicht Deutschland über Tankschiffe. Das heißt, Deutschland kann auch von anderen Ländern auf dem Weltmarkt beliefert werden und so das russische Drittel unseres heutigen Ölbedarfs gut ersetzen. Wir haben also die Chance, Putin auf diese Weise ökonomisch zu schwächen. Es ist höchste Zeit, dass die EU ein Embargo für russisches Öl umsetzt.
Ein Tempolimit könnte den Ölverbrauch schnell senken. Warum tut FDP-Chef Christian Lindner das Thema als symbolische Diskussion ab?
Für die FDP reicht offenbar nicht einmal ein Angriffskrieg auf europäischem Boden, um endlich ein Tempolimit einzuführen. Das ist tatsächlich ein Symbol – und zwar ein beschämendes. Unmittelbar nach Beginn des Krieges eingeführt, hätte ein Tempolimit Deutschlands Zahlungen an Russland um gut 170 Millionen Euro gesenkt. Ein Tempolimit spart Öl, das ist gut fürs Klima und macht Deutschland unabhängiger von Energieimporten.
Mit Tempo 100 auf der Autobahn und Tempo 80 auf der Landstraße würden Deutschlands Ölimporte um 2,5 Prozent im Jahr sinken. Muss man nicht tatsächlich über größere Schritte weg vom Öl sprechen?
Es gibt nicht den einen großen Schritt, aber es gibt eine Vielzahl kleinerer und dabei ist das Tempolimit ein wichtiger. Es lässt sich kurzfristig umsetzen und reduziert den Verbrauch sofort. Andere von Greenpeace vorgeschlagene Schritte sind eine Verlängerung der Homeoffice-Regelung, autofreie Sonntage oder ein Aussetzen von Inlandsflügen. Die Politik hat eine ganze Reihe von Maßnahmen in der Hand, um den Ölverbrauch sofort zu senken. Beim Ölsparen können wir zudem alle mithelfen. Etwa indem wir auf ein paar Freizeitfahrten mit dem Auto verzichten, mehr Bus und Bahnen nutzen, die Ölheizung ein bisschen runterdrehen. Das alles ist wirksam und bedeutet keinen großen Verzicht. Perspektivisch müssen wir schlicht weg vom Verbrennen von Öl, also auch raus aus dem Verbrennungsmotor – je eher, desto besser.
Über all diese Schritte hat man Verkehrsminister Volker Wissing bislang wenig sprechen hören. Wie bewerten Sie die ersten 100 Tage des FDP-Ministers?
Minister Wissing hatte einen vielversprechenden Start: Zu Beginn seiner Amtszeit sagte er unmissverständlich, Autos müssten in Zukunft elektrisch sein und forderte alle auf, die Illusion von irgendwelchen anderen Antrieben endlich aufzugeben. Für viele in der FDP war das ein Schock. Dort träumten einige gegen aller Erkenntnisse von der Wiedergeburt des Verbrenners. Wissings klare Worte waren also richtig und wichtig. Aber seither hat Volker Wissing der Öffentlichkeit keinen einzigen Vorschlag für einen klimafreundlichen Verkehr präsentiert, obwohl klar ist, dass die Emissionen im Verkehr sich in diesem Jahrzehnt halbieren müssen. Da muss jetzt mal was kommen.
Bislang plant die Bundesregierung bis Ende des Jahres weitgehend unabhängig von russischem Öl zu werden. Nun wird ein früherer Ausstieg oder ein Embargo wahrscheinlicher. Wird der Sprit dann noch teurer?
Ich denke, an einem Embargo führt kein Weg vorbei. Während Putin in der Ukraine einen grausamen Krieg führt, in dem auch Tausende Zivilist:innen sterben, kann Europa nicht täglich Millionen nach Russland überweisen. Nicht für Öl, dass auch aus anderen Ländern bezogen werden kann. Die zuletzt hohen Preise an der Zapfsäule sind übrigens nur bedingt durch die Rohölpreise erklärbar. Ein ganz erheblicher Teil der Preissteigerung fließt in die Taschen der Mineralölkonzerne, die ihre Gewinnmarge seit Kriegsbeginn enorm gesteigert haben. Über drei Milliarden Euro haben die Ölkonzerne in Europa seitdem eingestrichen. Das muss aufhören, die Politik muss diese Kriegsgewinne abschöpfen.
Gerade stellte Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck sein sogenanntes Osterpaket mit Energiemaßnahmen für den Klimaschutz vor. Warum tauchen darin keine Maßnahmen im Verkehr auf?
Ja, bislang hat nur Habeck für das von der Koalition angekündigte Klimaschutz-Sofortprogramm geliefert. Dabei liegen die CO2-Emissionen im Verkehr und im Gebäudebereich laut Umweltbundesamt über den Höchstmengen, die das Klimaschutzgesetz festlegt. Deshalb, vor allem aber angesichts der Dringlichkeit durch den Ukraine-Krieg ist es traurig, dass die anderen Ressort nichts zum Osterpaket beigesteuert haben. Verkehrsminister Wissing kann sich beim Klimaschutz nicht mehr länger wegducken.
Das heißt das Sommerpaket der Bundesregierung wird umso besser?
Das muss es. Vor allem der Verkehr hängt weit zurück beim Klimaschutz. Mit Prämien und Anreizen alleine ist der Nachholbedarf nicht aufzuholen. Deshalb lohnt sich für Wissing ein Blick zu unseren Nachbarländern. Die haben nicht nur alle ein Tempolimit, sondern zumeist auch eine Neuzulassungssteuer. Damit werden Neuwagen je nach CO2-Ausstoß schon beim Kauf besteuert. Dadurch haben es Länder wie die Niederlande geschafft, ihre Neuwagenflotte deutlich klimafreundlicher als die deutsche zu machen – und sie haben mehr E-Autos. Wenn Wissing dieses Instrument nicht in sein Sommerpaket legt, ist es praktisch aussichtslos, die geplanten 15 Millionen E-Autos bis 2030 und die Klimaziele zu erreichen. Und natürlich muss Wissing mehr dafür tun, dass weniger Menschen auf ein eigenes Auto angewiesen sind.
Das Ziel, weg von Öl, Kohle und Gas zu kommen, stand schon fest, bevor Putin die Ukraine überfallen ließ. Was ändert der Krieg daran?
Der Krieg ändert das Tempo, mit dem Deutschland jetzt Fortschritte machen muss. Die oft genannte Zeitenwende umfasst auch den Verkehr. Im Grunde ist klar, dass etwa die europäischen CO2-Grenzwerten für Pkw noch mal angefasst werden müssen. Dass Deutschland nur den schwachen Vorschlag der Kommission unterstützt, war aus klimapolitischer Sicht schon vor dem Krieg falsch, jetzt ist offensichtlich, dass es auch sicherheitspolitisch falsch ist. Es darf keine Politik mehr geben, die den Ausstieg aus fossilen Energien nur in Schrittgeschwindigkeit voranbringt. Klimaschutz ist der einzige Bereich im Verkehr, in dem wir uns kein Tempolimit leisten können.