Was ist ein Jahrhunderthochwasser?
- Hintergrund
Anfang Juni 2024 versank Süddeutschland in den Fluten, ausgelöst durch extrem heftige Regenfälle. Eine sogenannte Jahrhundertflut. Jetzt trifft es darüber hinaus auch Österreich, Polen, Tschechien und die Slowakei. Doch gab es seit 2002 schon sechs Jahrhundertfluten allein in Deutschland, nämlich 2002, 2005, 2013, 2021, an Weihnachten 2023 und eben im Juni 2024. Was steckt also hinter dem Begriff Jahrhundertflut? Wie oft kann sowas vorkommen? Und wie häufig werden Jahrhunderthochwasser im Zeitalter der Klimakrise? Hier finden Sie Antworten auf einige der gängigen Fragen.
Die verheerende Flut im Ahrtal mit über 140 Toten allein in Deutschland, mit weggerissenen Dörfern und ganzen Löchern in der Landschaft war noch keine drei Jahre her, da versank Weihnachten 2023 Niedersachsen in den Wassermassen. Vom Meer herein drückendes Elbe-Hochwasser traf dabei auf heftige Regenfälle in Niedersachsen. Im Mai 2024 erwischte es das Saarland. Und im Juni 2024 sorgten heftigste Regenfälle, die über Tage festhingen, in Bayern und Baden-Württemberg für überflutete Straßen, versunkene Ortschaften, Tod und Zerstörung. Besonders viele kleine Bächlein wurden innerhalb kürzester Zeit zu reißenden Strömen. Teilweise fielen Regenmengen von 100 bis 150 Liter pro Quadratmeter in 24 Stunden, fast doppelt so viel wie sonst im ganzen Monat. Durchschnittlich fallen in Deutschland im langjährigen Mittel in einem Juni rund 85 Liter je Quadratmeter - womit der Juni mit seinen Sommergewittern von jeher schon einer der regenreichsten Monate in Deutschland ist.
Warum es mittlerweile alle paar Jahre zu einer Jahrhundertflut kommt, hat mehrere Ursachen. Die Hauptfaktoren sind aber die Klimakrise und die zunehmende Versiegelung. Auch die Eingriffe in die Natur sind bedeutend: So sind in den letzten hundert Jahren Flüsse begradigt worden, Überflutungsräume wurden bebaut, aus Mooren wurde Ackerland und naturnahe robuste Wälder mit hohem Wasserrückhaltevermögen wurden im großen Stil in Monokulturen umgewandelt oder ganz abgeholzt.
Klimakrise und Hochwasser
Der Klimawandel und die höhere Durchschnittstemperatur der Meere und Gewässer führen zu stärkerer Verdunstung und somit zu mehr Wasser in den Wolken. Das ergibt zwangsläufig - das ist reine Physik - heftigere Regenfälle und Starkregenereignisse. Wissenschaftler haben errechnet, dass jedes Grad Erwärmung zu sieben Prozent mehr Feuchtigkeit in der Atmosphäre führt.
Hinzu kommt, dass der Jetstream, das hohe Luftband, das in unseren Breiten Wetterlagen eigentlich beständig von Westen nach Osten weiter schiebt, ins Stolpern kommt. So hängen Unwetter zum Teil viel länger an einem Ort fest als früher. Denn die Arktis und die Luft darüber erwärmen sich zunehmend infolge der Klimakrise. Der Temperaturunterschied zwischen Nordpol und Äquator wird kleiner, der Jetstream langsamer. Dadurch verteilt sich das Wetter weniger und wird extremer.
Auch die für die Hochwasser 2024, 2013 und 2002 verantwortliche Vb-Großwetterlage wird durch den Klimawandel häufiger und heftiger. Denn das wärmere Mittelmeer versorgt diese Wetterlage mit immer feuchteren Luftmassen. Ein Phänomen, das Süddeutschland in Zukunft immer mehr und häufiger zu schaffen machen wird.
Was ist eine Vb-Großwetterlage?
Vb (gesprochen 5b von V gleich römisch 5) bedeutet eine typische Zugbahn eines Tiefdruckgebietes von den Pyrenäen durch das nördliche Italien nach Nordosten, die mehrfach im Jahr das Wetter in Süddeutschland bestimmt. Sie geht zurück auf den Meteorologen Wilhelm Jacob van Bebber, der vor fast 150 Jahren typische Zugbahnen von Tiefdruckgebieten katalogisierte und mit römischen Zahlen nummerierte. Über dem Mittelmeer saugt sich das Tiefdruckgebiet mit feuchter Luft voll, die es dann beim Zusammenprall mit anderen Luftmassen zum Beispiel in Süddeutschland abregnet. So kam es zu den Jahrhunderthochwassern 2002, 2013 und 2024. Die Klimakrise führt dazu, dass Vb-Wetterlage vermehrt in Clustern auftreten, also mehrere Vb-Tiefdruckgebiete kurz hintereinander kommen. Auch das wärmere Mittelmeer verstärkt die Regenfälle.
Versiegelung, Flussbegradigung und Abholzung
In deutschen Siedlungsgebieten sind fast 50 Prozent der Fläche versiegelt. Das Wasser kann hier also nicht im Boden versickern, sondern fließt über Dachrinnen, Straßengräben und Kanalisation ab. Zwar hat der Zuwachs an Versiegelung seit 2020 kontinuierlich abgenommen (weil auch den Stadtplaner:innen dämmert, dass man mit Betonwüsten der Klimakrise schlecht begegnen kann). Aus diesem Grund wurden in Baden-Württemberg, Hamburg und Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen Schottergärten verboten. Aber immer noch werden in Deutschland täglich fast 20 Hektar Boden neu versiegelt. Das entspricht mehr als 25 Fußballfeldern, jeden Tag.
Dass dabei auch immer näher an Flüsse und Bäche heran gebaut wird, macht die Sache bei einem Hochwasser nicht besser. Hinzu kommt, dass besonders seit den 1950er Jahren Flüsse und Bäche ausgebaggert, einbetoniert und begradigt wurden. In Deutschland ist davon nahezu kein Fluss oder Bach verschont geblieben. Doch den eingesperrten Wasserläufen fehlt es bei Hochwasser an Ausweichflächen. Mäander, Auenlandschaften und Polder konnten früher große Wassermassen aufnehmen und zeitverzögert abgeben. Heute rauschen die Wassermassen die Bäche und Flüsse hinab. Wo ihr Bett nicht reicht, treten sie über die Ufer und fließen durch Straßen und U-Bahnschächte.
Dass Hochwasser heute mehr Schäden verursachen als früher, liegt also auch daran, dass der Mensch falsch mit der Natur umgegangen ist. Seit einigen Jahrzehnten setzt dabei ein Umdenken ein. Flüsse werden wieder renaturiert, Überflutungsräume und Polder angelegt. Doch diese Unternehmen brauchen Zeit und Geld. Jedes Zögern rächt sich, denn der Klimawandel kommt schneller und trifft uns härter, als noch vor 20 Jahren erwartet.
Denn wir müssen uns vorbereiten, in allen Dörfern, Städten und Gemeinden, auf das, was da kommt. Gleichzeitig sollten wir alles in unserer Macht Stehende dafür tun, die Emissionen der Treibhausgase zu senken und die Klimakrise zu bremsen. Denn schon jetzt ist klar: Jahrhunderthochwasser werden immer häufiger kommen. Und immer heftiger werden.
Häufige Fragen zu Jahrhunderthochwassern
Was ist ein Jahrhunderthochwasser?
"Jahrhunderthochwasser" ist ein hydrologischer Fachbegriff, der vor allem dem Einschätzen von Gefahrenlagen und notwendigen Schutzmaßnahmen dient. Die Hochwasserzentralen unterteilen dabei in
-
Häufiges Hochwasser (HQhäufig): Ein HQhäufig bezeichnet einen Hochwasserabfluss, der im statistischen Mittel einmal in 5 bis 20 Jahren erreicht oder überschritten wird.
-
100-jährliches Hochwasser (HQ100): Ein HQ100 bezeichnet einen Hochwasserabfluss, der im statistischen Mittel einmal in 100 Jahren erreicht oder überschritten wird.
-
Extremhochwasser (HQextrem): Ein HQextrem bezeichnet einen Hochwasserabfluss, der ca. der 1,5-fachen Abflussmenge eines HQ100 entspricht.
H steht dabei für Hochwasser, Q für die Menge (Quantität) an Wasser, die an einer bestimmten Stelle eines Fließgewässers zu gegebener Zeit abfließt. (Analog sind HQ50 oder HQ10 Wasserstände, die alle fünfzig oder alle zehn Jahre zu erwarten sind).
Wie viele Jahrhunderthochwasser gab es in den letzten hundert Jahren?
Die “Liste von Hochwasserereignissen" bei Wikipedia listet zwischen 1924 und 2024 für Deutschland 28 starke Überschwemmungen auf. Natürlich betrifft der Begriff “Jahrhundertflut” immer ein ganz konkretes Gewässer. Gerade die kleineren Flüsse sind nicht alle bei jedem Hochwasser betroffen. An größeren Flüssen wie Donau oder Elbe treten sie häufiger auf.
Was die Liste aber auch deutlich zeigt: Sie werden in den letzten zwei Jahrzehnten immer häufiger und heftiger.
Warum treten Jahrhunderthochwasser mittlerweile so häufig auf?
Das liegt vor allem an der Klimakrise: Wärmerer Meere verdunsten mehr Wasser, was zu heftigeren Regenfällen führt. Jedes Grad Erderwärmung führt dabei zu sieben Prozent mehr Feuchtigkeit in der Atmosphäre.
Aber auch veränderte Wettermuster begünstigen Hochwasserereignisse. Mittlerweile bleiben aufgrund des Klimawandels immer häufiger Wetterlagen über einem Ort hängen, Starkregen, aber auch Hitze oder Kältewellen verharren so länger als bisher an einer Stelle.
Warum spricht man noch von Jahrhunderthochwasser, wenn es doch alle paar Jahre auftritt?
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis wie ein bestimmtes Hochwasser nur alle hundert Jahre auftritt, ist immer eine statistische Aussage. Deswegen können trotzdem in einem Jahrhundert drei davon auftreten, in anderen Jahrhunderten hingegen gar keine. Bis in die 90er Jahre kam der Begriff Jahrhunderthochwasser also - statistisch gesehen - halbwegs hin. Seitdem führt der Klimawandel zu einer starken Zunahme solcher Flutereignisse und der Begriff wird für dieses Ausmaß von Katastrophen leider hinfällig.
Wie häufig ist in Zukunft mit Jahrhundertfluten zu rechnen?
Prognosen gehen davon aus, dass das, was wir bislang Jahrhundertfluten nennen, um 2050 alle 9 bis 15 Jahre auftreten werden. Bis Ende des Jahrhunderts rechnen Forscher mit jährlich auftretenden sogenannten Jahrhundertfluten.