Nach der Flutkatastrophe
- Nachricht
Während die Politik über einen Neustart des Heizungsgesetzes und den Klimaschutz im Allgemeinen debattiert, zeigen Greenpeace-Aktive mit einer erschütternden Installation die Folgen von verschlepptem Klimaschutz. So sieht die Klimakrise in Deutschland aus. Zu sehen erst in Berlin, danach bundesweit.
Dass 2023 unter Umständen das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen wird, lässt bei Klimaforschenden sämtliche Alarmglocken schrillen, dabei wird der Rekord vielerorts kaum zur Kenntnis genommen: Schon wieder ein wärmstes Jahr aller Zeiten? Die Nachricht wirkt vertraut - weil sie es ist: Laut des EU-Klimawandeldienstes Copernicus waren die Jahre 2015 bis 2022 die acht wärmsten Jahre, die je gemessen wurden.
Ein Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen. Erst im Mai 2023 veröffentlichte die Weltwetterorganisation (WMO) die Prognose, dass die kommenden fünf Jahre vermutlich die heißesten aller Zeiten werden; der Temperaturanstieg wird zusätzlich begünstigt durch das wiederkehrende Wetterphänomen El Niño. Die Situation ist dramatisch: Jedes Zehntelgrad Erderhitzung verändert das Klima - ab der kritischen Grenze von 1,5 Grad Celsius Erwärmung oberhalb der vorindustriellen globalen Durchschnittstemperatur drohen Klimaveränderungen, die unumkehrbar sind. Dass der Mensch diese Erderhitzung verursacht, ist seit Jahrzehnten bekannt, seit einigen Jahren treten uns die Folgen immer deutlicher vor Augen.
Flutwohnung auf Tour durch Deutschland
Dass die Klimakatastrophe keine abstrakte Bedrohung ist, die nur anderen passiert, versinnbildlicht eindrücklich eine Installation, die Greenpeace-Aktive am 7. Juli 2023 vor dem Paul-Löbe-Haus in Berlin aufgebaut haben. Am letzten Sitzungstag des Bundestags, eine Woche vor dem Jahrestag der Katastrophe an Ahr und Erft, lässt sich einen Steinwurf vom Reichstagsgebäude entfernt eine zerstörte Wohnung besichtigen, eingerichtet mit flutgeschädigten Originalmöbeln aus dem Ahrtal und der italienischen Region Emilia-Romagna, die im Mai dieses Jahres nach starken Regenfällen in Teilen überschwemmt wurde.
Im Mai reiste ein Greenpeace-Team aus Deutschland nach Italien, um die dort tätigen Aktivist:innen logistisch zu unterstützen. Dabei wurden ihnen einige der beschädigten Möbelstücke von Betroffenen überlassen. Die gemeinsame Idee: das zerstörte Hab und Gut für eine Aktion zu nutzen, die das Ausmaß und die Dramatik von Starkwetterereignissen für Menschen andernorts erfahrbar und erlebbar macht. Bildtafeln erzählen die Geschichten der Gegenstände und ihrer Besitzer:innen. Da ist der Witwer Ivo, der sich nicht zu seiner Tochter nach Imola bringen ließ, weil er sein Zuhause nicht verlassen wollte, und das Wasser Meter um Meter steigen sah. Oder die Psychologin Ivana, die seit 20 Jahren in Conselice lebt, und niemanden um Hilfe rufen konnte: “Ich war zwischenzeitlich so viele Tage ohne Strom, ohne Wasser, ohne Gas, ohne irgendetwas, ohne Telefon und Abwasser, völlig isoliert.”
Die menschengemachten Veränderungen des Klimas haben auch in Emilia-Romagna zu derart verheerenden Überschwemmungen beigetragen - insbesondere durch ungewöhnlich trockene Böden, die so starke Regenfälle nicht in kurzer Zeit aufnehmen können. „Die Klimakrise ist auch in Deutschland längst zur größten Bedrohung für Menschen geworden”, sagt Thilo Maack, Greenpeace-Experte für Biodiversität. „Extreme Regenfälle wie vor zwei Jahren im Ahrtal und dieses Jahr in der Region Emilia-Romagna sind Beleg genug. Die Bundesregierung muss Klimaschutz endlich zur Priorität machen und konsequent umsetzen.”
Während der Aktion debattiert der Bundestag über das nach langem Streit entkernte Gebäudeenergiegesetz, das nach einem Eilantrag der CDU nun erst nach der Sommerpause verabschiedet werden kann. In der jetzigen Form hilft das Gesetz dem Klimaschutz nicht, sagt Maack und fordert: “Damit nicht bis ins Jahr 2028 klimaschädliche fossile Heizungen eingebaut werden, muss der Bund die kommunale Wärmeplanung beschleunigen. Staatliche Zuschüsse darf es nur für umweltfreundliche Technologien wie Wärmepumpen geben, sonst sind die Klimaziele der Bundesregierung nicht zu schaffen.”
Am 19. Juli bauten Greenpeace-Aktivist:innen die Flutwohnung erneut auf, diesmal auf dem Jungfernstieg in Hamburg, in Sichtweite des Rathauses. Im August wird die Installation in mehreren deutschen Städten zu sehen sein, geplant sind Halte in Köln, Frankfurt am Main, München und Dresden. “Mit dieser zerstörten Wohnung bringen wir die Folgen der Klimakrise zur Politik und fordern eine Klimapolitik, die sich konsequent am 1,5 Grad-Ziel orientiert”, so Maack.
Greenpeace vor Ort im Ahrtal
Wie hart die Klimakatastrophe in Deutschland zuschlagen kann, zeigte sich in der Nacht auf den 15. Juli 2021 im Ahrtal. Nach heftigen Regenfällen kam es zu Überschwemmungen, mehr als 130 Menschen verloren in der Flut ihr Leben. Greenpeace-Ehrenamtliche und -Mitarbeitende beteiligten sich an den Aufräumarbeiten, außerdem untersuchten Greenpeace-Fachleute die Böden auf Giftstoffe.
Vor dem zweiten Jahrestag der Flutkatastrophe begutachteten Greenpeace-Aktive, inwieweit die verheerenden Überschwemmungen nach wie vor Spuren in der Region hinterlassen haben. So ist etwa das Naturschutzgebiet Ahrtalmündung noch immer stark mit Plastikmüll verschmutzt, insbesondere Flaschen und Getränkekisten aus einem überfluteten Getränkelager sind nach wie vor in dem sensiblen Lebensraum zu finden, in dem seltene Vögel wie der Flussregenpfeifer brüten. In dem Naturschutzgebiet sammelte die Gruppe über zwei Tage etwa sieben Kubikmeter Müll ein, darunter Flaschen, Kisten, Plastikteile, Medikamente, Ölbehälter, Spielzeug, Hausrat, Möbelreste und sogar eine Flaschenpost. “Wir setzen fort, was hunderte helfende Hände in unzähligen Freiwilligenstunden begonnen haben”, sagt Greenpeace-Sprecher Thilo Maack.
Kunststoffabfälle bauen sich in der Natur kaum ab, stattdessen werden sie durch Witterungsprozesse zu Mikroplastik zerrieben. Diese winzigen Partikel belasten Böden, gelangen in die Nahrungskette und schädigen die Gesundheit von Mensch und Tier. Jedes Stück Plastik, das aus der Rechnung genommen wird, verbessert die Lebensgrundlagen in dem von der Flut stark mitgenommenen Lebensraum. „Die Ahrtalmündung muss wieder ein Ort werden, an dem die Natur ungestört und unbelastet zur Ruhe kommen kann”, sagt Maack.