Sicherheit braucht Klimaschutz
- Ein Artikel von Dagmar Pruin, Martin Kaiser
- Meinung
Die kletternden Temperaturen machen die Welt unsicherer, aber die Finanzierung von Klimaschutz und Anpassungen in den ärmsten Staaten steht trotzdem noch nicht. Ein Fehler.
Ein Beitrag von Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand Greenpeace Deutschland, und Dagmar Pruin, Präsidentin Brot für die Welt
Als am Abend des 12. Dezember 2015 der französische Außenminister Laurent Fabius mit einem Hammerschlag den Klimagipfel von Paris beendet, bricht Jubel aus wie bei einem Rockkonzert. Etwas Historisches ist geglückt: Delegierte aus knapp 200 Staaten haben zwei wegweisende Entscheidungen zur globalen Klimagerechtigkeit in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag festgeschrieben. Erstens: Für den Kampf gegen die Erderwärmung tragen alle Länder dieser Erde Verantwortung – diejenigen mit größerer Wirtschaftskraft und höherer historischer CO2-Schuld allerdings mehr als jene, die sich noch entwickeln müssen. Zweitens: Die Verabredung der Industrieländer, von 2020 an jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Klimaschutz und die Anpassung an die Folgen der Klimakrise zur Verfügung zu stellen, wird bis 2025 fortgeschrieben.
Neun Jahre liegt dieser Moment nun zurück. Schon vor der Wiederwahl von Donald Trump ist von der Pariser Euphorie so wenig geblieben wie von den Zusagen der Industrieländer. Gerade teilte der EU-Klimadienst Copernicus mit, dass das in Paris festgelegte 1,5-Grad-Ziel bereits in diesem Jahr aller Wahrscheinlichkeit nach gerissen wird. Die Unfähigkeit der Länder, die global weiter steigenden Emissionen zu begrenzen, hat Folgen: Überall auf der Welt schaffen inzwischen immer regelmäßigere Überschwemmungen, Stürme oder Dürren verheerende Zerstörungen und unmenschliche Bedingungen.
Erst 2022, mit zwei Jahren Verspätung, haben die Industriestaaten ihr Finanzversprechen gehalten. In den Jahren 2020 und 2021 haben sie das 100-Milliarden-Dollar-Ziel verfehlt. Dank kreativer Anrechnungsmethoden kamen sie im Jahr 2022 auf 115,9 Milliarden US-Dollar. Der Großteil der Mittel wurde in Form von Krediten bereitgestellt. Kaum ein Drittel der Mittel entfiel für Anpassungsmaßnahmen. Darüber hinaus ist es nicht gelungen, gerade die ärmsten Bevölkerungsgruppen in der Klimakrise zu unterstützen. Das belegt der Klima-Anpassungsindex, den Brot für die Welt in diesem Jahr zum zweiten Mal veröffentlicht hat. Er offenbart alarmierende Ungerechtigkeiten bei der Verteilung internationaler Finanzierung zur Klimaanpassung. Der Index bewertet die Verteilung der Finanzmittel nach dem Klimarisiko der Länder des Globalen Südens. Das Ergebnis: 90 Prozent der bewerteten Länder erhalten weniger Finanzmittel als ihnen bei einer gerechten Verteilung zustehen würde.
Wetterextreme bedrohen Sicherheit
Jeder Mensch wünscht sich Sicherheit. Doch diese ist zunehmend bedroht, durch die Klimakrise und ihre kurzfristig zuschlagenden Wetterextreme, die in Anzahl und Heftigkeit jedes Jahr und überall auf der Welt zunehmen.
Verschärfen wird sich die fragilere Sicherheitslage dadurch, dass Regionen, ja ganze Staaten unbewohnbar werden und innerstaatliche, aber vor allem zwischenstaatliche Fluchtbewegungen mit jedem Zehntel Grad zunehmen, mit all den daran anschließenden menschlichen Tragödien. Wenn 1,8 Milliarden Menschen ihre Heimat verlassen müssen, wie es Studien bei einer Erwärmung um vier Grad prognostizieren, wird die internationale Staatengemeinschaft darauf nicht vorbereitet sein.
Deshalb ist es fatal, dass Deutschland unmittelbar vor der Weltklimakonferenz in einer tiefen Regierungskrise steckt. Schon im bisherigen Ampel-Haushalt 2025 war weniger Geld für humanitäre Hilfe, Klimafinanzierung und Entwicklungszusammenarbeit eingeplant als in den Jahren davor. Wenn Deutschland nicht einmal seine bisherigen Zusagen von sechs Milliarden Euro für Klimafinanzierung und zusätzliche 1,5 Milliarden für globalen Artenschutz in 2025 darstellen kann, ist das ein katastrophales Zeichen vor einer Klimakonferenz, bei der es um die zukünftige finanzielle Unterstützung derjenigen Länder geht, die am wenigsten zu den Ursachen der Klimakatastrophe beigetragen, aber die Hauptlast der humanitären und ökonomischen Folgen tragen müssen. Das widerspricht allen Prinzipien von Klimagerechtigkeit.
Es braucht eine schnelle und sozial gerechte Transformation
Schließlich ist für die Zeit nach 2025 viel mehr gefragt. Prävention in der Klimakrise braucht eine schnelle und sozial abgefederte Transformation weg von Kohle-, Öl- und Gasabhängigkeit und hin zu Energie aus Sonne und Wind. Sie braucht Gefahrenabwehr, Schutz der Häuser und kritischen Infrastruktur vor Wetterextremen. Und sie braucht finanzielle Unterstützung für diejenigen, die in ärmeren Ländern Haus und Hof verlieren.
Mehr Geld ist jetzt gefragt – deshalb sollte auch die Debatte nach neuen Einnahmequellen eröffnet werden. Und warum nicht bei einer massiven Besteuerung derjenigen Konzerne anfangen, die für die globale Klimakrise die Hauptverantwortung tragen, allen voran die Öl- und Gasindustrie. Auch eine klimabezogene Steuer für Superreiche sollte nicht mehr tabu sein. Der französische Ökonom Gabriel Zucman hat im Auftrag der brasilianischen Regierung ein Konzept erarbeitet. Danach müssten Privatpersonen mit einem Vermögen von über einer Milliarde US-Dollar mindestens zwei Prozent ihres Vermögens an Steuern entrichten. Weltweit gibt es etwa 3000 Milliardäre. Allein mit diesem Konzept würde die Steuer jährlich etwa 250 Milliarden US-Dollar einbringen. Wir müssen jetzt in eine klimagerechte Zukunft investieren. Und dazu müssen auch jene beitragen, die solche finanziellen Lasten tragen können. Das fordern mittlerweile über 20 Sozial- und Umweltorganisationen, darunter Greenpeace und Brot für die Welt in einem gemeinsamen Appell.
Klimainvestitionen sind günstiger als Nichthandeln
Wenn wir in diesem Jahrzehnt nicht in die Zukunft aller Länder und Gesellschaft investieren, also auch bei uns, werden die Folgen katastrophal. Wie und wann der deutsche Haushalt für 2025 auch zustande kommt, er muss berücksichtigen, dass Klimainvestitionen heute uns weit günstiger kommen als die Schäden durch Nicht-Handeln.
Wenn Donald Trump die USA erneut aus dem Pariser Klimaabkommen führt, hätte dies weitreichende Konsequenzen für den multilateralen Prozess. Es ist deshalb wichtig, dass Deutschland mit der EU auf der Klimakonferenz eine internationale Führungsrolle einnimmt, um das Vertrauen der ärmsten Staaten in den internationalen Prozess zu stärken.
Das Ziel der Industrieländer, auch von Deutschland, ist es, die Basis der bisherigen Geberstaaten zu erweitern um Schwellenländer und hochemittierende Staaten. Ziehen die USA sich aus allen Zahlungsverpflichtungen zurück, wird es schwerer, Länder wie China zu überzeugen, sich für einen Beitrag zur Klimafinanzierung zu verpflichten. Daher ist es umso wichtiger, dass Deutschland zumindest zu seinen bereits gemachten Klimafinanzierungs-Versprechen steht.
Es ist die Aufgabe von Olaf Scholz, in den kommenden Tagen mit Unterstützung von Friedrich Merz sicherzustellen, dass Deutschland bis zum nächsten Jahr den versprochenen Aufwuchs auf sechs Milliarden Euro sicherstellt. Kippt dieses Ziel, wäre die Glaubwürdigkeit Deutschlands als verlässlicher Partner in der Klimakrise massiv geschädigt. In dem Interview „Klimapolitischer Ausblick“ geben Greenpeace-Expertinnen Sarah Zitterbarth und Sophia van Vügt einen Ausblick auf die Klimapolitik der nächsten Bundesregierung.
Es liegt im Interesse von uns allen, jetzt in die Prävention von Konflikten und Klimaextremen zu investieren und die internationale Zusammenarbeit dazu voranzutreiben. Vor diesem Hintergrund müssten die finanziell starken Staaten jetzt mehr Geld in eine internationale Kooperation investieren anstatt weniger. Stattdessen steigen sogar noch die globalen Investitionen in fossile Energien. Dabei sollte die Klimakrise mindestens genauso behandelt werden wie andere globale Krisen. Die Welt investiert mehr in militärische Aufrüstung als je zuvor. Auf 2.243 Milliarden US-Dollar addierten sich Militärausgaben im vergangenen Jahr. Jedes Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das wir in Verteidigung stecken, sollten wir mindestens auch in eine gestaltende, strategische Friedens- und Klimapolitik stecken. Damit könnten wir in der Welt weitaus mehr Sicherheit schaffen.
Wo Länder durch die Folgen der Erderhitzung in Bedrängnis geraten, entstehen instabile Verhältnisse. Die Armut nimmt genauso zu wie der Hunger oder Extremismus. Menschen sehen in der Flucht oftmals ihre einzige Chance auf ein Leben in Würde. In einer solchen Zeit darf sich Deutschland nicht weiter aus der Verantwortung stehlen und muss seiner Selbstverpflichtung nachkommen.
Gemeinsam für stabile Verhältnisse
Gerade jetzt brauchen wir nicht weniger Kooperation, sondern mehr. In die Entwicklung besonders verletzlicher Länder zu investieren, sorgt für stabile Verhältnisse. Die Wirtschaftskraft steigt. Gesellschaften werden widerstandsfähig. Menschen haben genug Raum, ihren Kindern eine gute Bildung zu ermöglichen und sich selbst an der Belebung demokratischer Strukturen zu beteiligen. Gerade jetzt heißt es oft, Deutschland müsse Fluchtursachen bekämpfen. Genau. Das ist der Auftrag. Und das bedeutet in erster Linie, zu den finanziellen Zusagen zu stehen und diese in den kommenden Jahren weiter auszubauen.
Klimaschutz bekämpft Fluchtursachen. Klimaschutz schützt Demokratie. Solange Politikerinnen und Politiker sich diesem Gedanken verweigern, tragen sie selbst dazu bei, die Demokratie immer weiter zu schwächen. Auch hier bei uns. Gerade für ein Land und eine von In- und Exporten abhängige Ökonomie wie Deutschland heißt das umso mehr, den Multilateralismus auszubauen statt zurückzufahren, ebenso wie den Aufbau strategischer Allianzen. Jetzt findet der Klimagipfel in Aserbaidschan statt, das auf dem Demokratie-Index Rang 154 einnimmt. Gerade in Baku sollte Deutschland zeigen, ob es verstanden hat, was gerade auf dem Spiel steht. Es ist weit mehr als nur das Klima.