Klage abgewiesen / Klimaklagen aber grundsätzlich zulässig
- Ein Artikel von Ortrun Sadik
- mitwirkende Expert:innen Anike Peters
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Klimaklägerin Silke Backsen ist enttäuscht. „So eine halbherzige Entscheidung“, sagt die Bio-Landwirtin von der Insel Pellworm. „Das Gericht hat nicht das getan, was gut für unsere Zukunft ist. Mit diesem Urteil wird keine Tonne CO2 eingespart. Wir sind schon jetzt von der Klimakrise betroffen – ganz konkret. Wie schlimm soll es denn noch werden?“
Doch Rechtsanwältin Roda Verheyen bewertet das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts etwas positiver. Dass erstmals ein deutsches Gericht festgestellt hat, dass Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern durch die Folgen der Erderwärmung verletzt sein können, sei ein Teilerfolg. „Das ist für die Zukunft juristisch verwendbar. Zum heutigen Zeitpunkt nahm das Gericht zwar noch keine Verletzung an, für die Zukunft lässt sich das jedoch nicht ausschließen. Festzuhalten bleibt: Klimaschutz ist Grundrechtsschutz. Die deutsche Klimaschutzpolitik muss sich danach richten.“
Berufung zugelassen
Nach fünfstündiger Verhandlung endete der heutige Verhandlungstermin zur Klimaklage von drei Bauernfamilien und Greenpeace zwar mit einer Abweisung der Klage. Doch das Berliner Verwaltungsgericht entschied auch, dass Klagen auf mehr Klimaschutz grundsätzlich zulässig sein könnten. Berufung wurde zugelassen. Ob die in Anspruch genommen wird, entscheiden die Kläger nach Vorlage des schriftlichen Urteils.
Die beklagte Bundesregierung hatte beantragt, die Klage abzuweisen, weil es sich beim Klimaschutz um einen politischen Auftrag handelt, und die Grundrechte grundsätzlich nie von der Erderhitzung verletzt werden könnten. Dem ist das Gericht nicht gefolgt. Allerdings, so die Urteilsbegründung, könne das Gericht momentan nicht erkennen, dass das 2007 beschlossene Klimasschutzziel genau im Jahr 2020 erreicht werden müsse. Das Gericht bat um Verständnis – es müsse den Handlungsspielraum der Regierung in diesem speziellen Fall wahren.
Klage auf Einhaltung der Klimaziele
Greenpeace hatte im Herbst 2018 gemeinsam mit drei Familien, die von ökologischer Landwirtschaft leben, Klage gegen das zögerliche Vorgehen der Regierung beim Klimaschutz beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht. Die Bauernfamilien aus Brandenburg, dem Alten Land bei Hamburg und von der Nordseeinsel Pellworm sind schon heute von der Erderhitzung betroffen, beispielsweise durch aus dem Süden zuwandernde Schädlinge und den steigenden Meeresspiegel.
Die Kläger*innen argumentieren, dass das Nichtstun der Bundesregierung in Sachen Klimaschutz ihre Grundrechte verletzt. Die Regierung hat ihr Klimaziel 2020 zu einem verbindlichen Rechtsakt gemacht, indem sie es wiederholt selbst anerkannt hat, zum Beispiel in Kabinettsbeschlüssen.
134 000 Unterstützer für die Klimaklage
Anike Peters, Klimaexpertin von Greenpeace und Initiatorin der Klimaklage kommentiert das heutige Ergebnis: „Das Gericht hat bestätigt: Klimaschutz ist Grundrechtsschutz. Wir werden jetzt prüfen, welchen Weg wir mit unserer Klage weiter einschlagen werden. Denn wir sind der Ansicht, dass das Gericht heute unter seinen Möglichkeiten geblieben ist.“
Die Verhandlung wurde im Vorfeld begleitet von einer friedlichen Solidaritätskundgebung vor dem Gerichtsgebäude mit rund 100 Teilnehmern. Von der Nordseeinsel Pellworm waren 40 Unterstützerinnen und Unterstützer mit einem eigens gecharterten Bus angereist, aus Brandenburg kamen Landwirte mit ihren Traktoren. Zeitgleich übergab Greenpeace am Bundeskanzleramt eine von 134,867 Unterstützerinnen und Unterstützern der Klimaklage unterzeichnete Petition.