Protest: Greenpeace-Aktive bauen Windräder vor Bayerischer Staatskanzlei
- mitwirkende Expert:innen Saskia Reinbeck
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Klimaneutralität bis 2040 – das hat sich die bayerische Landesregierung auf die Fahne geschrieben. Passiert ist bisher viel zu wenig, deshalb hijacken Greenpeace-Aktive jetzt ihre Fahnenmasten.
Markus Söder, Ministerpräsident von Bayern, hat seinen Sitz in der Bayerischen Staatskanzlei: ein fürstliches Gebäude mit Säulen, Kuppel, viel Stuck, goldenen Mosaiken und einer obligatorischen Reiterstatue. Links und rechts des prunkvollen Baus stehen Fahnenmasten, an denen zu wichtigen Anlässen mal die bayerische, mal die deutsche, mal die EU-Flagge gehisst wird. Heute flattert hier nichts, aber das wird sich ändern.
Denn an diesem Mittwoch, kurz vor Sonnenaufgang, pirschen sich 26 Greenpeace-Aktive an die Staatskanzlei heran. Unentdeckt von den regelmäßig vorbeifahrenden Streifenwagen, gelangen sie an ihr Ziel. An die rund acht Meter hohen Fahnenmasten stellen sie in Windeseile mitgebrachte Leitern und beginnen mit dem Aufstieg. Die ersten Meter sind dank der Leitern schnell überwunden, dann beginnt die harte Arbeit. Mit Seilen und Karabinern ausgestattet, ziehen sie sich Zentimeter für Zentimeter an den glatten Metallstangen empor. Oben angekommen, befestigen sie sechs Rotoren und ein Banner. Geschafft. Die Sonne geht auf und strahlt über etwas, was man in Bayern sonst nicht so oft zu Gesicht bekommt: Sechs Windräder. Zwischen ihnen erstreckt sich ein 25 Meter langes Banner mit der Botschaft: “Windkraft statt heißer Luft, Herr Söder”.
Desaströse Bilanz der Söder-Regierung zum Windenergieausbau
Die 26 Aktivist:innen demonstrieren kurz vor der Landtagswahl mit den sechs Windrädern gegen den im Schneckentempo verlaufenden Windenergieausbau der bayerischen Landesregierung. Sechs Windräder wirken mickrig? Genau das ist der Punkt. Denn im Jahr 2023 wurden in ganz Bayern bisher lediglich sechs Windräder ans Netz angeschlossen. „Söder ist ein Ankündigungsmeister, der jedes Jahr aufs Neue versprochen hat, dass es mit dem Windkraftausbau vorangehen wird. In seiner Regierungserklärung 2021 hat er sogar behauptet: “Bayern ist ein Premiumland für Klimaschutz”. Das ist ein Mythos. So bildet Bayern beispielsweise beim Windenergieausbau im Bundesvergleich das Schlusslicht", sagt Greenpeace-Sprecherin Saskia Reinbeck.
Überhaupt lief es in keinem Söder-Jahr gut mit dem Windenergieausbau: Laut einer Greenpeace-Analyse des Marktstammdatenregisters der Bundesnetzagentur wurden im Freistaat seit der letzten Wahl 2018 nur 42 in Betrieb genommen und 30 Windräder neu genehmigt. Werfen wir zum Vergleich einen Blick auf die Daten zweier anderer süddeutscher Bundesländer, in denen die Windbedingungen ähnlich sind: In Baden-Württemberg, halb so groß wie Bayern, wurden im gleichen Zeitraum 110 Anlagen genehmigt (was immer noch zu wenig ist). Rheinland-Pfalz, mit nicht einmal einem Drittel der Fläche Bayerns, genehmigte sogar 165 Windräder. Im Bundesvergleich belegt Bayern bei der installierten Windkraftleistung pro Quadratkilometer den letzten Platz unter den Flächenländern.
Ein Problem: Seit in Bayern 2014 die sogenannte 10H-Regel eingeführt wurde, ist der Ausbau quasi zum Erliegen gekommen. Diese gibt vor, dass die Anlagen zu Häusern einen Mindestabstand ihrer 10-fachen Höhe einhalten müssen. Das entspricht mindestens zwei Kilometern. Das Problem könnte leicht durch eine Abschaffung der Regelung geändert werden. “Die nächste Landesregierung muss besser werden und sich nach der Wahl auf den Ausbau der Windenergie stürzen, um die eigenen Klimaziele einhalten zu können”, sagt Reinbeck.
"Windkraft statt heißer Luft, Herr Söder!"
Mit den aktuellen Klimaschutzmaßnahme wird Bayern erst in 280 Jahren klimaneutral
Die Staatsregierung hat beschlossen, dass Bayern bis 2040 klimaneutral werden muss. Seit 2015 ist der Emissionsausstoß im Freistaat aber praktisch nicht mehr zurückgegangen, 2021 stieg er sogar wieder an. Würden Bayerns Emissionen weiterhin mit dem durchschnittlichen Tempo der Jahre 2003 bis 2021 sinken, wäre der Freistaat erst in 280 Jahren klimaneutral. “Das ist absolut unverantwortlich und eine klimapolitische Bankrotterklärung. Auch Herr Söder muss sich an seine Gesetze halten und das Klimathema in Bayern zur Priorität erklären – sonst schaffen wir das tatsächlich nicht mehr”, sagt Reinbeck.
Klimakrise in Bayern stark bemerkbar
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts (1951–2019) ist die durchschnittliche Lufttemperatur in Bayern bereits um 1,9 °C gestiegen. Nirgendwo ist der Klimawandel so stark messbar wie im Alpenraum. Hier sind die Temperaturen in den vergangenen 100 Jahren mit 2 Grad Celsius doppelt so stark angestiegen wie im globalen Durchschnitt. In circa 15 Jahren könnte es in den bayerischen Alpen keine Gletscher mehr geben. Gleichzeitig nimmt bei steigender Temperatur und damit einhergehender erhöhter Verdunstung auch die Trockenheit in den kommenden Jahren zu. Zudem werden Extremwetterereignisse wie (lokale) Starkregenfälle oder Unwetter mit massivem Hagel wie zuletzt in Bad Bayersoien häufiger und intensiver auftreten. “Ohne Klimaschutz wird sich die Erwärmung nahezu ungebremst fortsetzen und unter anderem die Anzahl von Hitzetagen in Bayern bis Ende des Jahrhunderts verfünffachen – aber die Landesregierung tut nach wie vor so, als wären wir auf einem guten Weg. Das ist eine Lüge”, sagt Reinbeck.
Greenpeace-Sofortprogramm für mehr Windkraftausbau in Bayern
Damit Bayern seine eigenen Klimaziele dennoch einhalten kann, hat Michael Sterner, Professor für Energiespeicher, Wasserstoff und Energiesystemtechnik an der Ostbayerischen Technischen Hochschule (OTH) Regensburg, im Auftrag von Greenpeace zehn sofort umsetzbare Maßnahmen für die Bereiche Wärme, Strom und Verkehr entwickelt. Wind ist neben der Sonne die wichtigste erneuerbare Energiequelle für Strom, denn Windenergie liefert nicht nur den höchsten Ertrag pro Fläche, sondern ist dabei auch noch besonders günstig. “Die neue Landesregierung kann das Ruder noch herumreißen. Dafür brauchen wir eine deutlich schnellere und weitreichendere Ausweisung von Windvorrangflächen", sagt Reinbeck. “Mithilfe unseres Klimaschutz-Sofortprogramms für die Bereiche Strom, Wärme und Mobilität kann die nächste Landesregierung den CO2-Ausstoß in Bayern in den kommenden fünf Jahren um rund 20 Prozent verringern. So können wir den Wirtschaftsstandort endlich modernisieren und sogar langfristig Geld sparen.”
Für die Umsetzung des Sofortprogramms kalkuliert die Studie mit etwa 550 Millionen Euro öffentlicher Förderung. Das entspricht niedrigen CO2-Vermeidungskosten von etwa 29 Euro pro Tonne – das Umweltbundesamt kalkuliert die gesellschaftlichen Kosten einer Tonne CO2 mit derzeit 237 Euro.
Klimaschutzsofortprogramm Bayern
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