Wie viele Windräder gibt es in Bayern?
- Hintergrund
Es herrscht Flaute im Freistaat: Unter den Flächenländern der Bundesrepublik ist Bayern bei der Windenergie immer noch Schlusslicht. Warum es so wenig Windkraft in Bayern gibt, weshalb und wo sie sinnvoll ist und wie Greenpeace Bayern Söder und Aiwanger auf die Finger schaut.
Die Halbjahresbilanz zum Ausbau der Windkraft in Bayern ist ernüchternd - jedes Mal aufs Neue: Greenpeace Bayern hat zuletzt Mitte Juli 2024 anhand der Daten des sogenannten Markstammdatenregisters analysiert, wie viele Windkraftanlagen in Bayern in Betrieb gegangen sind, wie viele genehmigt wurden und wo der Freistaat im Vergleich zu anderen größeren Bundesländern bei der installierten Leistung pro Quadratkilometer steht.
Das Ergebnis: Unter der Koalitionsregierung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) wurden im ersten Halbjahr 2024 lediglich vier Windkraftanlagen in Betrieb genommen. 16 wurden genehmigt. Das heißt, sie könnten in etwa zwei bis drei Jahren ans Netz gehen. Die Gesamtzahl der Windräder in Bayern betrug Mitte Juli 1151 (nur größere Anlagen ab 75 kW).
Noch schlimmer als bei den absoluten Zahlen in Bayern sieht es beim bundesweiten Vergleich aus. Hier ist der Wert “installierte Leistung in Kilowatt pro Quadratkilometer” eine sinnvolle Größe. Man will ja nicht Äpfel mit Birnen oder China mit Liechtenstein vergleichen. Und auch nicht Bayern mit Berlin. Deswegen landet der Freistaat bei der Rangliste der Flächenstaaten bei der installierten Leistung pro Quadratkilometer auf dem letzten Platz: Gerade einmal 38 kW pro Quadratkilometer Windkraft-Leistung sind in Bayern am Netz.
Schwarz-Grün in NRW weit vor Bayern
Spitzenreiter ist hier das windreiche Schleswig-Holstein mit 551 kW (und übrigens 49 gebauten Anlagen - zwölf Mal so viel wie Bayern). Brandenburg und Niedersachsen folgen auf den Plätzen 2 und 3. Das schwarz-grün regierte bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen hat es geschafft, mit 217 kW mehr als fünf Mal so viel Leistung zu installieren wie Bayern - hier wurden im ersten Halbjahr mit 225 Anlagen auch die meisten genehmigt.
Dabei hatten Söder und Aiwanger so hochfliegende Pläne: Die Staatsregierung hatte im Koalitionsvertrag auf Seite 67 das Ziel gesetzt, bis 2030 1000 neue Windenergieanlagen zu bauen. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste Energieminister Aiwanger (Freie Wähler) die Zahl der pro Halbjahr gebauten Windkraftanlagen mehr als versiebzehnfachen. Mit dem derzeitigen Tempo wird das Ziel erst in 125 Jahren erreicht. „Das ist eine katastrophale Bilanz für den Freistaat”, sagt Saskia Reinbeck, Energie-Expertin von Greenpeace Bayern. „Diese Zahlen zeigen die fehlende Ernsthaftigkeit und die fossile Verbohrtheit von Energieminister Hubert Aiwanger. Bei der Windkraft herrscht nach wie vor Flaute im Freistaat.”
Bisher erst vier neue Windräder in 2024
Im ersten Halbjahr des Jahres 2024 sind vier neue Windkraftanlagen in Bayern ans Netz gegangen. Mindestens 104 pro Jahr - also 52 pro Halbjahr - sind nötig, damit der Freistaat sein selbst gestecktes Ziel erreicht, ab dem Jahr 2040 klimaneutral zu sein.
Selbst wenn man alle Bundesländer ins Ranking aufnimmt, verbessert sich Bayern nur vom letzten auf den vorletzten Platz. Die Rote Laterne geht dann an Berlin mit 19 kW/qm - allerdings ziehen Hamburg (166 kW/qm) und Bremen (481 kW/qm) an der Heimstatt von Laptop und Lederhose vorbei.
Bayern wird daher voraussichtlich auch in den kommenden Jahren die notwendigen Ausbauzahlen für Windkraftanlagen nicht erreichen. Das zeigen die erteilten Genehmigungen für Anlagen, die in den nächsten zwei bis drei Jahren in Betrieb gehen sollen. Im ersten Halbjahr 2024 genehmigte Bayern nur 16 neue Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 90 Megawatt. Zum Vergleich: Die vom Wirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie „Energiesystemanalyse Bayern klimaneutral” kommt auf einen Bedarf von 406 MW pro Halbjahr. Sinken Bayerns Emissionen weiterhin mit dem durchschnittlichen Tempo der Jahre 2003 bis 2021, wäre der Freistaat erst im Jahr 2301 klimaneutral, hat Greenpeace Bayern berechnet.
"Die 10H-Regelung abschaffen"
„Hubert Aiwanger muss jetzt deutlich mehr Tempo machen, um Bayern zügig von immer teureren fossilen Energien unabhängig zu machen. Der Wirtschaftsstandort wird durch eine sichere Versorgung mit erneuerbaren Energien attraktiver und wir Bürger:innen werden das bei den Abrechnungen für Strom- und Heizkosten spüren”, sagt Saskia Reinbeck. „Dazu muss Hubert Aiwanger endlich auch die 10H Regelung abschaffen, die Ausweisung der Flächen für Windenergie beschleunigen und auf zwei Prozent der Landesfläche erhöhen.”
Windräder vor der Staatskanzlei
Im August 2023 haben Aktivisti an den Fahnenmasten vor der bayerischen Staatskanzlei Windräder angebracht - an den Spitzen der sechs Masten wurden kleine weiß-blaue Rotoren befestigt. Ein öffentlichkeitswirksamer Hinweis vor der Landtagswahl im Oktober an Ministepräsident Markus Söder, endlich seine Wahlversprechen in Sachen Windkraft einzulösen. "Windkraft statt heißer Luft" stand auf dem größten der Transparente.
Warum gibt es so wenig Windräder in Bayern?
Die CSU mit ihrer Politik spätestens seit 2014 und die Freien Wähler, die mit der CSU seit 2018 eine Koalition bilden, sind politisch verantwortlich für den langsamen Ausbau der Windenergie in Bayern. Zum einen genehmigt Bayern schlicht und ziemlich ergreifend viel zu wenige Windräder. Im ersten Halbjahr 2024 waren es in Bayern 16, in Nordrhein-Westfalen im gleichen Zeitraum 225. Dabei hatte Hubert Aiwanger noch im Januar 2024 erklärt, dass der Freistaat nun bei den Genehmigungen aufs Tempo drücke: “Zusätzlich haben wir das Personal bei den Regierungen erhöht, um die Genehmigungsbehörden zu unterstützen. Bei uns werden Windräder so schnell genehmigt, wie in keinem anderen Bundesland”, sagte er in einer Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums. In der er das Land - und damit sich - rühmte, “Vorzeigeland beim Ausbau erneuerbarer Energien” zu sein. Natürlich in absoluten Zahlen und nicht im Verhältnis zur Fläche des größten Bundeslandes.
Am nachhaltigsten blockiert aber eine - in Teilen immer noch gültige - Regelung der bayerischen Bauordnung seit 2014 den Windkraftausbau: die sogenannte 10H-Regelung. Sie besagt, dass ein 150 Meter hohes Windrad 1,5 Kilometer (Höhe mal 10) Abstand zur nächsten Siedlung haben muss. Diese Regel hat die “Regionalplanung blockiert” und wirkt bis heute nach, da sie 2022 zwar gelockert, aber nicht aufgehoben wurde.
Ist Windenergie in Bayern überhaupt sinnvoll?
Windenergie ist nicht überall in Bayern sinnvoll. Aber da, wo sie sinnvoll ist, kann sie dazu beitragen, dass der Freistatt sich und seine Bürger:innen aus der Abhängigkeit von fossilen Energien befreit. Laut Wirtschaftsministerium ist die geringe Anzahl der Windräder “den geographischen und topographischen Bedingungen in Bayern geschuldet”, weshalb Aiwanger vor allem auf den Bau von Windrädern im bayerischen Staatsforst setzt. Wind im Wald ist aber nur unter bestimmten Bedingungen sinnvoll. Welche das sind, hat Greenpeace hier zusammengefasst.
Eine Studie von Dezember 2023 zeigt zudem, dass die Behauptung, die Gestalt der Landschaft verhindere den Ausbau der Windkraft in Bayern, nicht zutrifft. Bei einer durchgängigen Verringerung der Abstandsregel könnte die Windkraftkapazität im Freistaat fast versechsfacht werden. Bei einer Abstandsverringerung auf 800 Meter könnte die gesamte Stromerzeugung aus Gas durch Stromerzeugung aus Windkraft ersetzt werde - die Initiative Klimaneutrales Deutschland rechnet mit Einsparungen in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro.
Wo in Bayern könnten Windräder gebaut werden?
Bis zum Jahr 2032 müssen 2 Prozent der Fläche Deutschlands - und auch Bayerns - als Fläche für die Windkraftzeugung ausgewiesen werden. Welche das sind, ist bis 2027 in Bayern vor allem Gegenstand der Regionalplanung. Es werden Gebiete ausgewiesen, die zur Errichtung einer oder mehrer Windkraftanlagen geeignet erscheinen. Einen groben Überblick, welche Flächen dafür theoretisch in Fragen kommen, liefert die sogenannte Gebietskulisse Windkraft. Beim Betrachten dieses Energieatlas wird klar, dass die Gebiete sich sehr ungleichmäßig über den Freistaat verteilen. Stand 2021 standen - in absoluten Zahlen . die meisten Anlagen in Oberfranken (306 von 1611) und die wenigsten Niederbayern (65). In Oberbayern (141 Anlagen, davon 45 Kleinanlagen) wurde der Ausbau rund um Altötting kontrovers diskutiert. Am Jura-Höhenzug Hahnenkamm in Mittelfranken begreifen viele den Windkraftausbau als Chance. Bürger:innen und Kommunen an erneuerbaren Energien mitverdienen zu lassen - dieses Modell soll ab 2025 in Bayern auch den Ausbau der Windkraft befördern.
Windkraft in Bayern? Wir zählen nach!
Greenpeace Bayern wird ein waches Auge auf den Ausbau der Windenergie haben - und jeden noch so schleppenden Fortschritt mitten in München öffentlichkeitswirksam dokumentieren: Seit Anfang September 2023 steht ein zwei Meter hoher Windrad-Zähler im Herzen Münchens am Marienplatz. Er zeigt, wie viele oder besser, wie wenige Windräder im Jahr 2023 ans Netz gingen und neu genehmigt wurden. Zum Zeitpunkt des Aufstellens am 14. September 2023 waren es nur sechs Windräder, die dieses Jahr in Betrieb genommen und lediglich fünf, die bisher genehmigt wurden.
Die bayerische Staatsregierung hat sich zum Ziel gesetzt, Bayern bis 2040 klimaneutral zu machen. Die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) hat im Auftrag des Verbandes der bayerischen Wirtschaft (vbw) berechnet, was das für den Ausbau der erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren bedeutet: Jedes Jahr müssen 104 Windräder in Bayern ans Netz gehen. Außerdem muss pro Jahr die Fläche von 8.342 Fußballfeldern sowie 52.000 Hausdächer mit Photovoltaik-Anlagen bestückt werden. Hinzu kommen u.a. Gebäudesanierungen sowie der Ausbau von Netzen und Batteriespeichern. “Ein riesiger Kraftakt, von dem bisher leider noch nicht viel zu sehen ist”, sagt Greenpeace-Sprecherin Saskia Reinbeck.
Der Blick in die Zukunft zeigt: Wenn Bayern weiterhin in diesem Tempo Emissionen reduziert, dann wird das Bundesland erst im Jahr 2301 – also in rund 280 Jahren – klimaneutral sein. Es braucht mehr als das 10-fache Tempo, um bis 2040 die Emissionen auf netto Null zu reduzieren. Das bedeutet eine enorme Kraftanstrengung, die alle Sektoren betrifft.
Schon die Bilanz der ersten Legislaturperiode von Söder und Aiwanger war ernüchternd: Von 2018 bis 2023 wurden lediglich 30 neue Windenergieanlagen genehmigt. Im Vergleich dazu hatten andere süddeutsche Bundesländer im gleichen Zeitraum und mit ähnlichen Windbedingungen deutlich mehr ausgebaut: Baden-Württemberg, halb so groß wie Bayern, hat im gleichen Zeitraum 110 Anlagen genehmigt, Rheinland-Pfalz, weniger als ein Drittel der Fläche Bayerns, sogar 165 Windräder.
Es müssten ab sofort mindestens zwei Windräder pro Woche in Bayern ans Netz gehen, damit die Bayerische Staatsregierung das selbstgesteckte Ziel “Klimaneutralität bis 2040” noch erreichen kann. Das haben zuletzt auch über 400 bayerische Bürgermeister von Markus Söder gefordert. Dazu braucht es:
- Möglichst schnell mehr Flächen für Wind: Die Ausweisung der Flächen für Windenergie muss deutlich schneller und über die bisherigen Ziele hinausgehen. Es darf nicht zehn Jahre dauern, bis überhaupt die Flächen für Anlagen gefunden wurden. Daher fordert Greenpeace statt 1,8 Prozent 2 Prozent Flächen für Wind bis 2025.
- Ein klares Bekenntnis zum schnellen Ausbau von Windenergie von der Staatsregierung. Dazu gehört auch, Hürden wie 10H komplett auszuräumen, Genehmigungen deutlich zu beschleunigen und zu digitalisieren.
- Insgesamt mehr Personal: Jeder Landkreis braucht mindestens einen neuen Vollzeit-Windverantwortlichen, der für die Standards gerade steht und Landratsamt, Behörden und Landrat unterstützt.
Söders Energie-Mythen
Anzahl Seiten: 5
Dateigröße: 1.83 MB
HerunterladenKlimaschutzsofortprogramm Bayern
Anzahl Seiten: 17
Dateigröße: 1.34 MB
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