Demos für Demokratie
"Was hat Greenpeace damit zu tun, Herr Kaiser?"
- Im Gespräch
Die im Januar 2024 veröffentlichte Recherche von Correctiv sorgt deutschlandweit für große Empörung. Nicht nur in Städten wie Hamburg, Berlin und München, sondern auch in kleineren Städten, in Westen wie im Osten der Republik, gehen Menschen für die Demokratie, für Solidarität und gegen jede Art von Diskriminierung auf die Straße. Die bisher größte Demonstration fand am 3.2. vor dem Reichstag in Berlin statt, mit 150.000 bis 300.000 Teilnehmer:innen. Den Aufruf der Initiative „Hand in Hand“ unterzeichneten mehr als 1800 Organisationen, darunter auch Greenpeace. Martin Kaiser, Geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland, im Gespräch.
Greenpeace: Warum ruft Greenpeace als Umweltorganisation dazu auf, sich an den Demonstrationen für Demokratie zu beteiligen?
Martin Kaiser: Greenpeace ist durch seine Internationalität, per se antirassistisch. Unsere Kollegen und Kolleginnen arbeiten in 55 Ländern auf der ganzen Welt. Doch auch innerhalb der Länderbüros ist Antirassismus Konsens. Uns allen ist bewusst: Jede:r von uns hat einen Migrationshintergrund - nämlich spätestens in dem Moment, wenn wir eine Landesgrenze übertreten.
Wir bei Greenpeace vertreten die Werte einer pluralistischen Gesellschaft, treten für Menschenrechte und gegen jede Art von Diskriminierung ein. Kräfte, die diesen Pluralismus und die Werte der Demokratie angreifen oder gar abschaffen wollen, müssen gesamtgesellschaftlich daran gehindert werden. Wir sehen es auch für uns als Teil dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, uns an den Demos zu beteiligen.
Die Mitte der Gesellschaft fühlt sich durch die erschütternden Ergebnisse der Recherche angesprochen und steht auf, um sich schützend vor unsere demokratischen Grundwerte zu stellen. Auf den Demos habe ich mit Menschen gesprochen, die noch nie in ihrem Leben auf einer Demonstration oder öffentlichen Kundgebung waren - die jetzt aber aktiv werden. Die Demonstrationen in ganz Deutschland machen Mut und geben Hoffnung. Vor allem auch denen, die bisher schwiegen oder aber selbst von den faschistoiden Ideen rechtsextremistischer Gruppen betroffen wären.
Die in den Medien viel zitierte Correctiv-Recherche bezieht sich unter anderem auf Rechercheergebnisse von Greenpeace Deutschland. Wie kam es zu der Zusammenarbeit ?
Martin Kaiser: Greenpeace hat Hinweise auf eine Veranstaltung des “Düsseldorfer Forums” im November 2023 im Landhaus Adlon am Lehnitzsee in Potsdam erhalten. Der konspirative Charakter der vorliegenden Einladungsschreiben – ausgedrückt beispielsweise durch die Erwähnung einer “Gesamtstrategie im Sinne eines Masterplans” – und die eindeutigen Hinweise auf das rechtsextremistische Spektrum hatten uns zu der Recherche veranlasst.
Wir wurden darauf aufmerksam, dass auch Correctiv zu diesem Thema arbeitet, aber mit der Recherche bereits deutlich weiter fortgeschritten war. Daher entschlossen wir uns, Correctiv mit unseren Rechercheergebnissen zu unterstützen.
Greenpeace-Mitarbeiter:innen leisteten dadurch einen Beitrag zu einer der wichtigsten Recherchen der letzten Jahre. Sind solche Aktivitäten denn überhaupt abgedeckt vom Vereinszweck von Greenpeace?
Martin Kaiser: Ja, das ist natürlich von unserer Satzung gedeckt. Und wir verstehen es als unsere Pflicht als gemeinnütziger Verein, die Demokratie gemeinsam mit anderen zu verteidigen. Der Vereinszweck von Greenpeace e.V. besteht in der “Förderung des Umwelt- und Tierschutzes sowie des Friedens und der Völkerverständigung”. Dazu zählt auch die Auseinandersetzung mit und das Aufdecken von rechtsextremistischen Kräften, die auf die systematische Ausgrenzung und die Vertreibung von Menschen abzielen. Solche Bestrebungen gefährden die Demokratie und somit den inneren und äußeren Frieden. Und selbstverständlich bewirken sie das Gegenteil jeder Völkerverständung!
Das gesellschaftliche Klima in Deutschland und ganz Europa wurde in den vergangenen Jahren trotz der rasanten Erderhitzung zunehmend kälter. Das gilt auch beim Thema Klimaschutz: Zunächst gewann es, zumindest von der Wahrnehmung her, deutlich an Schwung, nun droht ein Backlash. Woran liegt das?
Martin Kaiser: Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer ist, dass die Debatte um den notwendigen Klimaschutz von interessierter Seite zu einem Kulturkampfthema gemacht worden ist.
Was macht Dir Hoffnung?
Vor ein paar Tagen war ich zusammen mit Aktivist:innen von Greenpeace, AWO, Verdi und dem Paritätischen in der Spree vor dem Reichstagsgebäude eisbaden. Das war ein wahres Wechselbad der Gefühle: Einerseits - trotz Neoprenschicht - ein Kälteschock, denn die Spree war 3 Grad kalt. Andererseits eine Aktion, die mein Herz wärmte, denn es ist großartig, wenn sich Sozialverbände, Gewerkschaften und Umweltverbände zusammenschließen und der Politik ein deutliches Zeichen setzen.
Wir müssen als gesamte Gesellschaft für das Ökologische und das Soziale zusammen wirken, füreinander einstehen. Das Klimageld als sozialer Ausgleich für die richtige Verteuerung der CO2-Verschmutzung mag für manche Leute wie Kleingeld wirken, wird aber vielen Menschen helfen, in einer Phase der ökologischen Transformation mitzumachen. Das ist wichtig für den sozialen Zusammenhalt, es ist aber auch gelebte Solidarität: Niemand wird abgehängt. Davon brauchen wir jetzt und in Zukunft mehr statt immer weniger. Es ist wichtig, dass die Politik das anerkennt und umsetzt, nicht zuletzt im Hinblick auf die anstehenden Europawahlen im Juni. Wenn Politiker:innen von Zusammenhalt sprechen, dann müssen sie auch etwas dafür tun.