Updates und Reaktionen zur Correctiv-Recherche
- Recherche
Basierend auf unseren Ausgangsrecherchen veröffentlichen NDR, WDR und SZ neue Erkenntnisse zu den Verbindungen der AfD mit dem Düsseldorfer Forum.
Seit dem journalistischen Paukenschlag der Enthüllung des rechtsextremen Treffens in Potsdam nehmen auch andere Redaktionen die Fährte auf: Sie helfen, die Recherchen von Correctiv und Greenpeace weiterzuführen und das Puzzle zu vervollständigen. So beleuchtete zum Beispiel Netzpolitik.org einen in der Neonazi-Szene vernetzten IT-Unternehmer aus Thüringen, oder die TAZ einen Bauunternehmer aus Stuttgart, der seit Jahrzehnten in rechtsextremen Kreisen unterwegs ist.
Neue Erkenntnisse von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung zeigen jetzt, dass die Verbindungen zwischen Alice Weidel und dem rechtsextremen Mörig-Clan offenbar enger sind, als bislang angenommen. Die Fraktionsvorsitzende hatte eine Verwicklung mit dem Treffen abgestritten. Laut Recherchen von NDR, WDR und SZ wurde Arne Friedrich Mörig, der Sohn des Organisators des Düsseldorfer Forum, seit 2022 von Weidel für Tätigkeiten im Bereich Social Media bezahlt. Nach Bekanntwerden des Treffens wurde die Zusammenarbeit mit Arne Friedrich Mörig eingestellt.
Darüber hinaus hat der Rechercherverbund zum Inhaber des auf dem Treffen verbreiteten „neutralen Kontos” für Spendengelder recherchiert. Thomas Grebien, Gernot Mörigs Schwager, ist aktives AfD-Mitglied und gründete 1990 die „Heimattreue Jugend” in Plön, eine Vorgängerorganisation der „Heimattreuen Deutschen Jugend”, die 2009 aufgrund ihrer neonazistischen Ideologie verboten wurde.
Für die Recherche haben wir NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung Rechercheergebnisse und Bildmaterial des Greenpeace Investigativteams zur Verfügung gestellt. Greenpeace und Correctiv hatten im Herbst 2023 Hinweise auf die Veranstaltung des Düsseldorfer Forum erhalten, darunter konspirative Einladungsschreiben. „Kein Geringerer als Martin Sellner” – so steht es in einem der Schreiben – werde auf dem Treffen einen „Masterplan” vorstellen.
Im „Düsseldorfer Forum“ entwerfen völkische Rechtsextreme, Anführer der Identitären, Abgeordnete von AfD & CDUler Pläne für die Machtübernahme und finanzieren rechtsextreme Projekte.
— Greenpeace Investigativ - We are out of here (@gpinvestigativ) January 10, 2024
Verfassungsschutz 🤷
CORRECTIV deckt's auf, wir durften beitragen👇 🧵https://t.co/zh1CTLo2Rb
Als Organisation, die auch dem Frieden und der Völkerverständigung verpflichtet ist, hat Greenpeace die Hinweise sehr ernst genommen. Im Investigativteam haben wir die vorliegenden Dokumente genau ausgewertet und Hintergrundrecherchen zu involvierten Personen und vorherigen Veranstaltungen des Düsseldorfer Forum angestellt. Per Online-, Telefon- und Vor-Ort-Recherchen konnten wir systematisch weitere Quellen erschließen. Gemäß dem Pressekodex haben wir gründlich abgewogen, ob der Einsatz verdeckter Methoden gerechtfertigt ist.
Am Veranstaltungswochenende konnten wir schließlich an- und abreisende Personen mithilfe zweier Kameras dokumentieren und anhand der Bildaufnahmen viele der Teilnehmer:innen eindeutig identifizieren. Einen Teil unserer Rechercheergebnisse, darunter das Bildmaterial, haben wir Correctiv zur Verfügung gestellt.
Dokumente und Fotos zur Potsdam-Recherche
Darüber hinaus sind wir der Frage des „neutralen Kontos“ nachgegangen, das bereits in einem der Einladungsschreiben erwähnt wurde. Laut Correctiv-Recherchen erwähnte Gernot Mörig auf der Veranstaltung, dass das Konto von seinem Schwager betrieben werde, der beruflich als Banker tätig sei. Über Online- und Vor-Ort-Recherchen konnten wir den Stammbaum der Familie Mörig rekonstruieren und seinen Schwager identifizieren. Auch er ist in der AfD aktiv.
Die Reaktionen überschlagen sich
Seit der Veröffentlichung der Recherche zum Düsseldorfer Forum gab es zahlreiche Reaktionen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Noch am Tag der Veröffentlichung entledigten sich die Unternehmen Pottsalat und Hans im Glück ihres Investors Hans-Christian Limmer, der gemeinsam mit Mörig zum Treffen eingeladen hatte. Es folgte die Vorständin des Vereins Deutsche Sprache, Silke Schröder, die von ihrem Posten zurücktreten musste. Die CDU Potsdam fordert eines ihrer Mitglieder auf, die Partei zu verlassen. In Sachsen-Anhalt bereiten die Koalitionsparteien einen Antrag zur Abwahl Ulrich Siegmunds als Vorsitzendem des Sozialausschusses vor. Gegen den rechtsextremen Martin Sellner wird eine Einreisesperre geprüft. “Remigration”, von Rechtsradikalen als Chiffre für Massenabschiebungen verwendet, wurde zum Unwort des Jahres gekürt. Es scheint kein Nachrichtenformat zu geben, welches nicht über die Recherche berichtete. Der Verfassungsschutzpräsident, die Innenministerin, und Bundeskanzler Scholz beziehen sich mehrfach auf die Recherche. Nicht nur Politiker:innen, auch Organisationen und Prominente sind schockiert und rufen zu Protesten auf. Insbesondere im ländlichen Raum und Ostdeutschland sind die Proteste ein kraftvolles Signal. Christoph Bautz von Campact spricht mit Blick auf die letzten 2 Wochen von der "größten Protestwelle, die unser Land je erlebt hat".
Selbst im AfD-Parteivorstand, der das Treffen im Rahmen einer Pressekonferenz herunterspielte und Correctiv zu diskreditieren versuchte, führten die Recherchen offenbar zu deutlicheren Konsequenzen, als die Partei zugeben möchte. Kurze Zeit nach der Veröffentlichung entließ Alice Weidel ihren persönlichen Referenten Roland Hartwig, der Insidern zufolge als eine Art „inoffizieller Generalsekretär“ der Partei galt. Laut Correctiv-Recherchen habe er in Potsdam in Aussicht gestellt, dass die Partei Arne Friedrich Mörigs Influencer-Agentur künftig mitfinanzieren könne. Dazu sollte das Projekt zeitnah der Parteispitze vorgestellt werden.
Durch die Entlassung Hartwigs versuchte Weidel offenbar, Schaden von der Partei abzuwenden, betonte aber gleichzeitig, dass Hartwig „privat“ am Treffen teilgenommen habe. Als würde es kein Problem für eine Partei darstellen, wenn führende Figuren rein privat politische Pläne und Strategien mit Rechtsextremist:innen entwickeln und aufeinander abstimmen.
Drei Wochen nach der Veröffentlichung ist kaum abzusehen, was die Recherche und die daraus folgenden hunderten Protestaktionen noch bewirken werden. Es ist jedenfalls etwas in Gang gekommen – die Zivilgesellschaft ist aufgewacht, ein lebhafter Diskurs zum Schutz der Demokratie und einem konsequenteren Umgang mit ihren Gegner:innen ist in vollem Gange. Es lässt sich beobachten, dass die von organisierten Demokratiefeinden ausgehende Gefahr aktuell in der Breite ernster genommen wird, und auf vielen Ebenen darüber nachgedacht wird, wie ihnen der Nährboden entzogen und das Handwerk gelegt werden kann.
Um auf dem Laufenden über die aktuellen Entwicklungen zu bleiben, empfehlen wir den Correctiv-Liveticker zum Geheimplan; um selbst aktiv diese Gemeinschaftsaufgabe zu unterstützen, die 10 Tipps zum Schutz der Demokratie.