Heißzeit 2018: Greenpeace-Aktivisten fordern auf der Zugspitze den Kohleausstieg
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Ist das schon der Klimawandel, wenn im Alten Land bei Hamburg dieses Jahr zuckersüße Aprikosen gepflückt werden? Ja und nein. Dieser Sommer in Europa ist besonders. Besonders heiß, besonders trocken. Von den klimaschädlichen CO2-Emissionen der vergangenen Jahrzehnte lässt sich eine Linie zum Hitzesommer 2018 ziehen – sie verläuft allerdings nicht gerade, sondern über langfristige Temperaturtrends. Deren Richtung steht unzweifelhaft fest. Es geht nach oben; die Welt wird immer wärmer.
Schuld ist der Mensch. Greenpeace-Aktivisten protestierten heute Morgen auf der Zugspitze, dem höchsten Berg Deutschlands, gegen die klimaschädliche Energiepolitik der Bundesregierung. Denn die hat den Kohleausstieg über Jahre und Legislaturperioden verschleppt und verantwortet dadurch nach wie vor immense CO2-Emissionen. Der Sommer 2018 gibt einen Vorgeschmack, wie die Rechnung dafür aussehen könnte. Die Zugspitze leidet schon länger unter dem Klimawandel: Von rund 300 Hektar Gletschereis, das den Gipfel einst bedeckte, ist noch ein Sechstel übrig. Die Gletscher schmelzen.
Klimawandel im vollen Gange
Der Klimawandel ist eine Katastrophe auf Raten und auch darum nicht leicht zu begreifen. Vor allem für Klimaskeptiker, die an kalten Wintertagen fragen, wo sie denn bliebe, die versprochene Erderhitzung. Wetter ist aber nicht dasselbe wie Klima; letzteres ist weit langfristiger und stabiler. Auch ein heißer Sommer wie dieser kommt eben vor. Er wird allerdings immer wahrscheinlicher. Wissenschaftler aus Oxford kommen zu dem Schluss, dass die diesjährige Hitzewelle in Europa durch den Klimawandel begünstigt wurde – die Wahrscheinlichkeit für die anhaltende Dürre hatte sich aufgrund der Erderhitzung verdoppelt.
Der Klimawandel steht nämlich nicht bevor, wir befinden uns mittendrin. Das Umweltbundesamt belegt, dass sich Europa zwischen 2002 und 2012 stärker erwärmte als der globale Durchschnitt: 1,3 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau (weltweit waren es 0,8 Grad). Werden die klimaschädlichen CO2-Emissionen nicht entscheidend verringert, steuert die Welt auf eine Erwärmung von 0,2 Grad Celsius pro Jahrzehnt zu. Mit verheerenden Folgen für ein so empfindliches System wie das Weltklima: Dürren, Überschwemmungen, Tropenstürme treffen viele der ärmsten, ungeschütztesten Regionen der Welt. Küstenregionen versinken in Fluten, ganze Länder versteppen, wird die globale Erwärmung nicht gestoppt. Die Landkarte der Welt würde neu geschrieben werden müssen.
Der Ausreißer wird zum Normalfall
Selbst ein reiches Land wie Deutschland, das sich vor den schlimmsten Folgen der Klimakatastrophe schützen kann, würde sich verändern. Sommer wie dieser könnten dann bald schon der Normalfall sein: mit Ernteausfällen, Waldbränden, Fischsterben. Manchen Auswirkungen kann man entgegentreten. Naturnahe Wälder mit ihrer gemischten Vegetation sind weniger feueranfällig als Monokulturen; Landwirte müssen ihre Tierbestände reduzieren – schon aus Klimaschutzgründen, aber auch weil das Futter nicht reicht: Viele Bauern mussten diesen Sommer Notschlachtungen vornehmen. Sie müssen aber auch sinnvoll auf die Temperaturerhöhungen reagieren und gegebenenfalls andere Nutzpflanzen anbauen. Weiterhin Ernteausfälle in Kauf zu nehmen und auf staatliche Entschädigungen zu hoffen, ist kein zukunftsfähiges Modell.
Doch das sind Schadensbegrenzungen. Das Hauptproblem ist groß, dafür leicht zu identifizieren und genauso leicht zu lösen, wäre der politische Wille da: Die Welt muss aufhören, für ihren Energiebedarf Kohle zu verbrennen. 45 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen stammten 2015 aus Kohleenergie. Das ist der größte Posten Kohlenstoffdioxid, den die Welt einsparen kann.
In Deutschland könnten ohne Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit die schmutzigsten Braunkohlekraftwerke sofort vom Netz gehen; ein großer Teil des produzierten Stroms wird ohnehin in Nachbarländer exportiert, während ein wachsender Prozentsatz des deutschen Strommixes aus Erneuerbaren Energien stammt – aus Windkraft und Solarpanels. Wie ein wirtschaftlicher und sozialverträglicher Kohleausstieg für Deutschland im Einzelnen funktioniert, erarbeitet gerade die sogenannte Kohlekommission, in der auch Greenpeace mitarbeitet. Die zugrundeliegende Absicht: Bis spätestens 2030 produziert kein deutsches Kohlekraftwerk mehr Strom.
Die Wahrheit schmerzt
Ein aufsehenerregendes Stück Recherchejournalismus im Magazin der New York Times führt derzeit weltweit Lesern die Dringlichkeit des Kohleausstiegs vor Augen, selbst wenn sie nicht am eigenen Leibe eine Hitzewelle erfahren. (Der Spiegel hat einen zusammenfassenden Kommentar auf Deutsch.) Die These des Autors Nathaniel Rich: Wir waren schon mal weiter. Bereits Ende der Siebziger waren die Auswirkungen ungebremster CO2-Emissionen auf das Klima umfänglich bekannt – und zum größten Teil aufhaltbar gewesen. Doch die Geschichte verlief anders.
Der Artikel schmerzt, und das soll er auch. Die Erderhitzung ist eine beispiellose Selbstsabotage der Menschheit – und zwar sehenden Auges. Ohne Anstrengung kommen wir aus dieser eigenverschuldeten Klemme nicht wieder heraus. Doch das Klimaabkommen von Paris wird von vielen Unterzeichnern nur halbherzig umgesetzt, auch Deutschland macht seine Hausaufgaben nicht. Dabei ist das in Paris unterzeichnete Versprechen, die Erderhitzung unter den kritischen 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu belassen, außergewöhnlich ehrgeizig. Die Zahl ist nicht willkürlich gewählt, noch bietet sie viel Spielraum. Die Erderhitzung aufzuhalten ist die derzeit dringlichste Aufgabe der Menschheit. Es ist nicht zu viel verlangt, das Ende der Kohle ein für alle Mal zu besiegeln – für eine Welt, die auch in Jahrzehnten noch lebenswert ist.
>>> Interaktive Deutschlandkarte: Starkregen, Dürre, Wasserstände, Feld- und Waldbrände