Warum das vorliegende Kohleausstiegsgesetz nicht den Vorgaben der Kohlekommission entspricht
- mitwirkende Expert:innen Martin Kaiser
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In wenigen Tagen soll der Bundestag über das Kohleausstiegsgesetz beschließen. Dieses Gesetz hätte in der Geschichte der Bundesrepublik einen besonderen Platz einnehmen können – als Fahrplan für einen sozial- und klimaverträglichen Kohleausstieg. Basierend auf einem Konsens aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft, der nur durch schmerzhafte Zugeständnisse aller Beteiligten in der sogenannten Kohlekommission erarbeitet werden konnte.
Doch im Gesetzestext, der nun zur Abstimmung vorliegt, findet sich von der viel beschworenen Gewährleistung von Klima und Umweltschutz kaum etwas wieder. Im Gegenteil. Wenn sich ein mühsam verhandelter Konsens zwischen sämtlichen Interessengruppen nicht in politischem Handeln niederschlägt – warum sollten sich in Zukunft noch Vertreter*innen der Zivilgesellschaft mit Politik und Industrie zusammensetzen wollen?
Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland, vertrat die Interessen des Umwelt- und Klimaschutzes am Runden Tisch und hat geholfen, den Kohlekompromiss auszuhandeln.
Greenpeace: Hätte die Kohlekommission ein solches Kohleausstiegsgesetz empfohlen?
Martin Kaiser: Ein klares Nein. Der sogenannte Kohlekompromiss, auf den sich die Kommission damals geeinigt hatte, war für uns schon nicht ideal, daraus hat Greenpeace auch nie einen Hehl gemacht. Der endgültige Kohleausstieg bis 2038 war uns beispielsweise deutlich zu spät. Außerdem ist der Abschalt-Fahrplan ab 2023 viel zu unkonkret geblieben. Diese Einwände finden sich so auch als Sondervotum im Abschlussbericht der Kohlekommission. Zu kritisieren gab es genug, aber auch Erfolge zu verbuchen, etwa dass keine neuen Kohlekraftwerke ans Netz gehen sollten, dass der Hambacher Wald bleibt, dass die Betroffenen in den Dörfern, die von der Abbaggerung bedroht sind, geschützt werden. Wir haben uns für einen fairen Strukturwandel in den Braunkohleregionen eingesetzt, um den Arbeiterinnen und Arbeitern eine Zukunft zu bieten. Es ist besonders bitter, dass der Gesetzesentwurf viele dieser Erfolge für den Klimaschutz jetzt zurücknimmt.
War so etwas abzusehen?
In dem Fall hätten wir uns die Mühe nicht machen müssen. Das Scheitern der Kohlekommission und das einseitige Aufkündigen des Kohlekompromisses durch die Bundesregierung stößt die Beteiligten deshalb so vor den Kopf, weil wir wirklich an dieses Instrument geglaubt haben; dass unterschiedlichste Interessengruppen am Runden Tisch zu einer Einigung finden, die dann auch wirklich politisch umgesetzt werden kann. Und wir mussten dafür beileibe einige Kröten schlucken. Die Fridays for Future haben uns für den Kohleausstiegstermin hart kritisiert – nicht zu Unrecht.
Warum hat Greenpeace die Empfehlungen aus der Kohlekommission dennoch unterzeichnet?
Das ist die Natur des Kompromisses – und wir haben auf die Zusage von Angela Merkel vertraut, den Kompromiss 1:1 umzusetzen. Zentraler Punkt für uns war immer, dass im Kohleausstiegsgesetz ein Mechanismus festgeschrieben wird, der den Kohleausstieg im Einklang mit den Zielen des Pariser Klimavertrags schneller ermöglicht. Aber genau diese Möglichkeit fehlt jetzt im Gesetzentwurf. Dieser Text trifft eine Vorentscheidung zulasten der Klimapolitik der Zukunft: Ein starrer Pfad, der nicht mit den Zielen von Paris vereinbar ist, soll festgezurrt werden. Das ist absolut inakzeptabel.
Zudem hatte die Kohlekommission vorgeschlagen, dass die bestehenden Braunkohlekraftwerke ihre CO2-Emissionen stetig verringern, mit einem bedeutenden Zwischenschritt im Jahr 2025. Statt einer kontinuierlichen Abschaltung soll es jetzt einen Ausstieg in drei Stufen geben, bei dem noch bis 2038 die klimaschädlichsten Braunkohlekraftwerke unter hoher Auslastung weiterlaufen können. Das ist empörend und widerspricht absolut dem Geist des Klimakompromisses.
Wie zeitgemäß ist dieses Gesetz in der derzeitigen Krise noch?
Das Gesetz zementiert völlig veraltete Reduktionsanforderungen. Um den Zielen des Pariser Klimavertrags gerecht zu werden, muss die Bundesregierung wesentlich ambitionierter handeln. Dieses Kohleausstiegsgesetz schützt vielleicht alte Seilschaften in der Industrie, aber nicht das Klima. Dass mit dem Gesetz nach wie vor Milliardenbeträge in die Kohleindustrie fließen, meist ohne Gegenleistung, ohne einen notwendigen Klimaschutzbeitrag – das widerspricht sämtlichen Überlegungen der Kohlekommission und dem Gebot der Stunde in der Corona-Pandemie. Unseren Ruf “Kein Geld für Gestern”, den wir ans Reichstagsgebäude projizierten, will die Bundesregierung wohl nicht hören.
Waren die Verhandlungen in der Kohlekommission also umsonst?
Ein Kohleausstiegsgesetz ist unbedingt notwendig, nach wie vor, und eines nach den Vorstellungen der Kohlekommission hätten wir als Umweltschutzorganisation auch mitgetragen. Insofern: nicht umsonst, weil wir ein – wenn auch nicht makelloses – Modell für einen sozialverträglichen, klimafreundlichen Kohleausstieg fertig in der Schublade haben. Das nun allerdings vorliegende Kohleausstiegsgesetz verdient den Namen nicht, es ist eine Art super teures Kohlebestandswahrungsgesetz. Dafür kann Greenpeace nicht stehen.
Die Bundesregierung offensichtlich schon.
Die Große Koalition hat sich hier nicht mit Ruhm bekleckert. Ich bin enttäuscht von der vermeintlichen Klimakanzlerin Merkel, die beim Atomausstieg und in der Coronakrise der Wissenschaft vertraut hat. Beim Kampf gegen die Klimakrise will sie aber nicht auf sie hören. Ich wäre allerdings auch enttäuscht von der SPD, wenn sie das Gesetz in dieser Form gemeinsam mit CDU und CSU durch den Bundestag jagt.
Was muss stattdessen passieren?
Wir brauchen ein Kohleausstiegsgesetz, das uns die Pariser Klimaziele erreichen lässt. Wir brauchen eine neue, eine echte Energiewende. Die Energiewende wurde bewusst und über lange Zeit von der Bundesregierung gegen die Wand gefahren. Der erwünschte Neustart wird mit diesem Kohleausstiegsgesetz unvermittelt zum Fehlstart.
Wir müssen jetzt aber entschieden handeln und uns schnellstmöglich unabhängig von fossilen Energien machen, um die Zukunft zu sichern. Geld muss für die Zukunft eingesetzt werden und nicht mehr für die Technik des vorigen Jahrhunderts. Ein solches Sonderprogramm hat die Chance, den Ausbau von Windkraft und Solarenergie wieder anzukurbeln und dauerhaft neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wir haben einen Neun-Punkte-Plan formuliert, der aufzeigt, wie mit 50 Milliarden Euro für die Bereiche Energie, Gebäude, Verkehr, Industrie und Naturschutz innerhalb von nur fünf Jahren 365.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten.
Wenn das Kohleausstiegsgesetz in seiner jetzigen Form vom Bundestag verabschiedet wird, werden sich die gesellschaftlichen Konflikte verstärken und wieder dort landen, wo sie nicht hingehören: auf die Straße, vor die Kraftwerke, vor die Türen der Konzerne.