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Volkswagen in Wolfsburg
© Greenpeace

Was Volkswagen über die Erderhitzung wusste…

…und was der Konzern mit diesem Wissen gemacht hat. Beides zeigt eine Greenpeace-Recherche in VWs Konzernarchiv. Mit empörenden Ergebnissen. 

Kaum eine Vorstandsrede kommt heute ohne Bekenntnis zum Klimaschutz aus. Doch warum dauerte es so lange, bis etwa ein Konzern wie Volkswagen sich öffentlich zur Klimakrise positioniert? Müssen die Forschungsabteilungen nicht schon seit Jahrzehnten im Bilde und der Vorstand informiert gewesen sein? Hatte ein Unternehmen nicht schon viele Jahre Zeit, auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu reagieren. Antworten auf solche Fragen suchte Greenpeace direkt bei Volkswagen, im Archiv des Konzerns und in Interviews mit früheren Vorstandsmitgliedern. Wie die Recherche ablief, welche Ergebnisse sie lieferte und was daraus folgt, erklärt Mobilitätsexperte Benjamin Gehrs im Interview:

Benjamin Gehrs

Benjamin Gehrs, Jahrgang 1980, kennt die Autobranche und das Recherchehandwerk aus seiner früheren Arbeit als Journalist bei einer Autozeitschrift. Bei Greenpeace arbeitet er seit zwei Jahren als Investigativ-Campaigner in der Verkehrskampagne.

Greenpeace: Du hast zwei Tage lang im Konzernarchiv von Volkswagen recherchiert. Wie muss man sich das vorstellen? 

Benjamin Gehrs: Das Konzernarchiv liegt auf dem Werksgelände in Wolfsburg, nicht in einem staubigen Keller, sondern in einem der zahllosen älteren Gebäude dort. Es bewahrt die wichtigsten Dokumente der Unternehmensgeschichte auf. In der Vergangenheit haben dort etwa Historiker zur Rolle von Volkswagen während der NS-Zeit geforscht. Für die Unterlagen gilt eine 30-jährige Sperrfrist, das heißt es lassen sich heute nur Dokumente bis Anfang der 1990er Jahre einsehen. Ich hatte einen eigenen kleinen Arbeitsraum mit PC, über den ich zum einen auf digitalisierte Dokumente zugreifen konnte, Protokolle der Vorstandssitzungen etwa. Zum anderen lassen sich darüber die analogen Akten nach Schlagworten durchsuchen. Was man an Akten sehen will, bringen einem die Mitarbeiter:innen dann. Fotos oder Kopien waren verboten, aber ich durfte an meinem eigenen Rechner Notizen machen und wichtige Passagen abschreiben.

Mit welcher Fragestellung hast du dort recherchiert? 

Die ursprüngliche Fragestellung war sehr weit gefasst: Wir wollten wissen, über welche Informationen zu den Umweltauswirkungen seiner Autos der VW-Konzern in den 1970er und 1980er Jahren verfügte. Woran hat er im Bereich Umwelt geforscht? Und welchen Einfluss hatten die gewonnen Informationen auf die Entscheidungen des Vorstands? Im Verlauf der Recherche habe ich dann realisiert, dass es zum Thema CO² und Klimawandel interessante und auch brisante Informationen im Archiv gibt. Von da an habe ich mich auf die Rekonstruktion der Abläufe in der internen und externen Kommunikation zu diesem Thema konzentriert. Die Informationen finden sich nicht alle chronologisch geordnet in einer Akte. Ein Gesamtbild ergibt sich erst, wenn man Daten von Dokumenten aus verschiedenen Akten abgleicht.

Zeigte sich der Konzern hilfsbereit?

Ja, sehr. Das Konzernarchiv hat von Anfang an signalisiert, dass es das Thema der Recherche interessant findet und bereit ist, seine Türen für mich zu öffnen. Das ist nicht selbstverständlich. Es handelt sich nicht um ein öffentliches Archiv, bei dem ich vielleicht einen Anspruch darauf habe, Dokumente einsehen zu dürfen. Nach meiner Einschätzung und Erfahrung geht Volkswagen mit seiner Vergangenheit insgesamt transparenter um, als das beispielsweise andere Autobauer tun. 

Was_wusste_VW.pdf

Was_wusste_VW.pdf

Bereits vor knapp 40 Jahren war der Vorstand von Volkswagen über die Abläufe und Ursachen des Klimawandels informiert. Die Chefetage in Wolfsburg kannte die drohenden Folgen dieser Entwicklung - und sie wusste, dass die Autos von VW diese Folgen mit verursachen. Dennoch hat der Konzern den Anteil von Diesel und Benzinern an der Klimakrise wider besseres Wissen relativiert und Maßnahmen zum Klimaschutz aktiv verhindert.

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Ganz knapp zusammengefasst: Was sind die zentralen Erkenntnisse deiner Recherche? 

Der VW-Vorstand wusste spätestens seit 1983 darüber Bescheid, dass die Millionen Autos, die der Konzern produzierte, die CO²-Konzentration in der Atmosphäre erhöhten und damit die Klimakrise verschlimmerten. Entsprechende Studien schickte die Forschungsabteilung an den gesamten Vorstand und warnte vor “weitreichenden Konsequenzen im Zusammenhang mit Klimaveränderungen”. Der damalige Entwicklungsvorstand wollte das Thema CO² sogar von sich aus in die öffentliche Debatte tragen, wurde aber von den anderen Vorständen ausgebremst. Trotz des nachweislichen Wissens hat Volkswagen In der Folge nichts gegen die Klimakrise unternommen. Im Gegenteil: Als es beispielsweise 1990 um Zusagen an die Bundesregierung zur Reduktion der CO²-Emissionen im Verkehr bis 2005 ging, hat Volkswagen sich dafür stark gemacht, das Ziel von 50 Prozent auf nur 25 Prozent zu senken - leider mit Erfolg.

Wie genau hast du das nachgewiesen? 

Der wichtigste Baustein ist die Recherche im Konzernarchiv gewesen. Zusätzlich habe ich aber auch zwei ehemalige Entwicklungsvorstände der 1970er und 1980er Jahre interviewt. Die Interviews zeigen, dass die Forschungsabteilung sogar noch länger über den Einfluss des Menschen auf die CO²-Konzentration in der Atmosphäre Bescheid wusste, nämlich schon seit Anfang der 1970er Jahre. Ich habe mir auch zeitgenössische Forschungsveröffentlichungen aus Uni-Bibliotheken besorgt und digitale Archive durchforstet. Alles zusammengenommen habe ich hunderte Texte ausgewertet. Alte Nachhaltigkeitsberichte von Volkswagen und Publikationen des Auto-Lobbyverbands VDA belegen zum Beispiel sehr deutlich, dass VW und die Autoindustrie insgesamt noch bis Anfang der 2000er Jahre versuchten, Zweifel am menschengemachten Klimawandel zu säen und den Anteil des Autos an ihm zu relativieren.

All das klingt skandalös, liegt aber auch weit in der Vergangenheit. Ist es nicht nur für Wirtschaftshistoriker:innen interessant? 

Einer der Berichte, die 1983 an den VW-Vorstand gingen, hat es sehr schön formuliert. Sinngemäß schrieben die Autoren: “Wenn wir trotz aller Unsicherheiten jetzt nicht anfangen, unser Verhalten anzupassen, könnten wir in der Zukunft zur Eile gezwungen sein und Handlungsoptionen verloren haben.” Genau an dem Punkt sind wir jetzt. Hätte Volkswagen früher gehandelt, stünde der Konzern heute nicht unter einem derartigen Veränderungsdruck und wir müssten heute nicht um das 1,5-Grad-Ziel bangen. Das Verhalten von Volkswagen steht exemplarisch für das Versagen der deutschen Wirtschaft beim Klimaschutz in den letzten Jahrzehnten. Obwohl der Konzern um die Gefahr wusste, die von Dieseln und Benzinern ausgeht, hat er seinen CO²-Fußabdruck seit Anfang der achtziger Jahre verdreifacht, indem er immer mehr und immer größere Autos baute. Verbrauchsarme Autos wurden aus dem Sortiment gestrichen oder gar nicht erst in Serie gebracht. Zukunftsweisende Konzepte wie Ridesharing spielten in den Nachhaltigkeitsberichten eine große Rolle, in der Realität aber nicht.

Was folgt für dich aus all dem? 

Für mich hat die Recherche vier Dinge klar gemacht: 

Erstens: Der Volkswagen Konzern hat in der Vergangenheit seine Verantwortung für den Schutz des Klimas ignoriert und er tut das ganz überwiegend noch immer. Hinter der frischen Fassade eines vermeintlich rücksichtsvollen E-Autobauers steckt noch immer ein Unternehmen, das gegen das 1,5°-Klimaziel und damit auf Kosten unserer Lebensgrundlagen wirtschaftet.

Zweitens: Die Bundesregierung unterschreibt zwar Verträge wie das Pariser Klimaabkommen, sie will oder kann aber die Konsequenzen dieses Abkommens nicht gegen die Lobbymacht der Autoindustrie durchsetzen. 

Drittens: Dahinter steckt eine perfide Strategie der Autokonzerne, die sich bis heute nicht geändert hat: Auch der amtierende VW-Chef Herbert Diess sagt gerne, Klimaschutz sei Aufgabe der Politik, die müsse das regeln. Gleichzeitig sorgen die Lobbyisten des Konzerns aber hinter den Kulissen dafür, dass die Politik dieses Problem eben nicht regelt.

Viertens: Leider müssen heute Gerichte dafür sorgen, dass Grundrechte eingehalten werden. Deshalb unterstützt Greenpeace die Klage gegen Volkswagen.

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