Debatte um Klimaschutzgesetz: Volker Wissing auf Crashkurs
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Volker Wissing lehnt alles ab, was auf der Straße CO2 spart. Andere Sektoren können die Klimabilanz des Verkehrsministers nicht dauerhaft retten. Das neue Klimaschutzgesetz wird daran nichts ändern.
Wie der Zufall es manchmal will. Da twittert der Verkehrsminister zum dritten Jahrestag der Flutkatastrophe im Ahrtal, man stehe “fest an der Seite all jener, die so viel verloren und gegeben haben”. Aber zeitgleich stiehlt Volker Wissing sich aus der Verantwortung, seinen Teil dazu beizutragen, dass sich solche, vom Klimawandel mit verursachte, Katastrophen zukünftig nicht häufen. Seit Jahren liegt der Verkehr weit zurück beim Klimaschutz. Im April erst legte der Expert:innenrat Klimafragen seinen jüngsten Bericht zu den CO2-Daten vor und rügte dabei wie in den Jahren zuvor den Verkehr. Schritte, um die viel zu hohen Emissionen zu senken, aber will Wissing nicht ergreifen. Muss er nun auch offiziell nicht mehr. Denn einen Tag nach Wissings Ahrtal-Tweet unterschreibt der Bundespräsident das überarbeitete und massiv geschwächte Klimaschutzgesetz. Es enthebt den klimasäumigen Verkehrsminister der bisherigen Pflicht, mit einem Sofortprogramm dafür zu sorgen, dass die Emissionen im Verkehr sinken.
In der bisherigen Version des Klimaschutzgesetzes war von Energie über Landwirtschaft bis zu Verkehr jeder Bereich dafür verantwortlich, die für ihn festgelegten Klimaziele zu erreichen. Verfehlte einer dieser sogenannten Sektoren das jährliche CO2-Minderungsziel, musste das zuständige Ministerium bis zu einem festen Stichtag ein Sofortprogramm an Klimaschutzmaßnahmen vorlegen. Als Zuständiger für einen Bereich, der seit nunmehr drei Jahren seine Klimaziele reißt, hat sich Verkehrsminister Wissing besonders dafür eingesetzt, die Sektorenziele aufzuheben. Mit dem neuen Klimaschutzgesetz soll künftig eine Gesamtrechnung für alle Sektoren aufgemacht und in die Zukunft gerechnet werden. So hat es Steinmeiers Unterschrift nun besiegelt.
Zukunftsklage für den Klimaschutz
Hat Wissing Glück gehabt? Eher nicht. Erst kürzlich bescheinigten Expert:innen der Bundesregierung in einem Sondergutachten, nicht auf Kurs zu sein. Die angenommenen Einsparungen seien zu optimistisch. Es sei davon auszugehen, dass die beschlossenen nationalen Klimaziele für das Jahr 2030 nicht erreicht würden. Dabei hatte gerade der Verkehrsminister sich darauf verlassen, dass andere Bereiche, etwa die Industrie, den fehlenden Fortschritt im Verkehr wettmachen. Nun zeigt sich: Dahinter steckte Wunschdenken. Weil heute einfache Schritte zum Senken des CO2-Ausstoßes, etwa ein Tempolimit, nicht ergriffen werden, drohen künftig weit drastischere Einschnitte. Denn die Menge CO2, die noch ausgestoßen werden darf, um den Temperaturanstieg unter 1,5° zu halten, ist begrenzt. Deutschland hat also ein CO2-Budget, das es nicht überschreiten darf. Je mehr davon heute verbraucht wird, desto mehr müssen künftige Generationen ran - dann vielleicht mit Maßnahmen, durch die auch Grundrechte verletzt werden können. Gegen diese Ungerechtigkeit reicht Greenpeace, gemeinsam mit Germanwatch und Tausenden Mitklagenden, nun Klage ein.
Auch die Greenpeace-Aktivist:innen, die am 15. Juli vor dem Bundesverkehrsministerium in Berlin demonstrierten, halten die Novelle des Klimaschutzgesetzes für nicht verfassungskonform und fordern mehr Klimaschutz. Mit einer vier Meter großen, von Reifenspuren überzogenen Justitia protestierten sie gegen die Aufhebung der Sektorenziele.
Ohne Klimafortschritt drohen europäische Strafen
Auch wenn das neue Klimaschutzgesetz den Verkehrsminister aus der Verantwortung entlässt, den CO2-Ausstoß im Verkehr zu senken, nimmt die europäische Ebene ihn dennoch in die Pflicht. Hier gelten weiterhin für bestimmte Sektoren, darunter auch Verkehr, nationale CO2-Vorgaben. Weil Deutschland in diesen sogenannten non-ETS-Sektoren nicht auf Zielkurs liegt – das UBA kalkuliert die Verfehlung auf 126 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente – drohen empfindliche Strafen.
Für die Überschreitung der EU-Ziele, die maßgeblich aus dem Verkehr rühren würde, müsste die Bundesrepublik Verschmutzungsrechte von anderen Mitgliedsstaaten kaufen. Dabei kämen Summen in Milliardenhöhe zustande. Senkt Deutschland seine Emissionen gerade im Verkehr nicht, könnten sowohl durch den Kauf von CO2-Zertifikaten als auch durch höhere Preise für Endverbraucher im ab 2027 geltenden ETS 2 hohe Kosten entstehen.
Mobilität geht auch anders: Erfolgsbeispiel Niederlande
Wie es bei der Mobilität konstruktiver geht, zeigt ein Blick in die Niederlande. Als das Oberste Gericht die Regierung dort 2019 zu mehr Umweltschutz verurteilte, beschloss diese ein generelles Tempolimit von 100km/h auf Autobahnen. Was damals drastisch klang, ist heute akzeptiert. Überhaupt machen unsere Nachbarn im Verkehr vieles besser. Beim Radfahren schon seit langem. Auf Wegen, die kürzer als fünf Kilometer sind, liegt der Anteil des Radverkehrs in den Niederlanden etwa doppelt bis dreimal so hoch wie in Deutschland, Strecken zwischen 5 und 20 Kilometer werden dort sogar viermal häufiger per Rad zurückgelegt. Autofahrten spielen dagegen auf der Kurzstrecke eine deutlich geringere Rolle als hierzulande.
Auch bei der Besteuerung von Autos haben uns die Niederlande einiges voraus. Beim Kauf von großen spritschluckenden Neuwagen wird dort seit gut 20 Jahren eine Neuzulassungssteuer fällig, die einen spürbaren Effekt auf den Autobestand hat. Lag der durchschnittliche CO2-Ausstoß von Neuwagen in den Niederlanden im Jahr 2001 mit 174g/km etwa so hoch wie in Deutschland (179g/km), so hat die Neuzulassungssteuer den Flottendurchschnitt inzwischen deutlich gesenkt. Während Neuwagen in Deutschland 2020 im Schnitt 114g CO2 pro Kilometer verursachten, waren es in den Niederlanden nur noch 88g.
Reformen im Mobilitätssektor dringend nötig
Ein Tempolimit und eine Neuzulassungssteuer sind nur zwei mögliche Maßnahmen, die Volker Wissing hätte ergreifen können, um die Klimabilanz im Verkehr zu verbessern. Es gäbe weitere: eine Reform der Dienstwagenbesteuerung etwa, ein Ende des Dieselprivilegs, eine angepasste Pendlerpauschale. Sie alle würden den ewigen Nachzügler Verkehr beim Klimaschutz vorbringen.
Und das bleibt weiter nötig. Weil Wissing bislang keinerlei eigene Vorschläge zum Klimaschutz im Verkehr auf den Weg gebracht hat, droht dieser in den kommenden Jahren zum Treibhausgas-Quelle Nummer 1 in Deutschland zu werden. Auf Dauer kann die viel zu hohen Emissionen im Verkehr kein anderer Sektor ausgleichen. Über das Jahr 2030 hinaus würden dann tatsächlich drastische Maßnahmen bis hin zu Fahrverboten nötig.
Das neue Klimaschutzgesetz verschafft Volker Wissing ein wenig Zeit, aber es entlässt ihn nicht aus der Verantwortung. Dafür wollen Greenpeace und Germanwatch gemeinsam mit Tausenden Mitklagenden mit der Zukunftsklage sorgen.