Neuer IPCC-Bericht: Drastische Warnungen vor der Klimakrise
- Hintergrund
Der neueste IPCC-Bericht ist niederschmetternd: Die Erderhitzung kommt schneller und schlimmer als erwartet, die Auswirkungen der Klimakrise werden noch verheerender sein, als bisher angenommen. Derzeit, so der Bericht, liege die Welt auf einem Kurs von 2,7 Grad Erderwärmung. “Wenn wir global tatsächlich bei drei Grad landen werden, drohen Deutschland etwa sechs Grad Erwärmung”, warnt der renommierte Klimaforscher Stefan Rahmstorf. Mit katastrophalen Auswirkungen. Aber Aufgeben ist keine Option. Denn die Klimawissenschaftler:innen sagen auch, dass die Menschheit das Schlimmste noch verhindern kann, wenn jetzt radikal Treibhausgase gesenkt werden. Und dass es sich lohnt, gegen jedes zusätzliche Zehntel Grad Erderwärmung anzukämpfen.
Hitze, Dürre, Starkregen und immer bedrohlichere Wetterextreme: Die Klimawissenschaftler:innen warnen. Leider, mal wieder, mit drastischen Worten und in einem dringenden Appell zum Handeln. Es drohe das Überschreiten kritischer Kipppunkte im Klimasystem, auf die die Menschheit sich trotz aller Bemühungen für mehr Klimaschutz mit zunehmender Geschwindigkeit zubewegt. Je stärker sich das Klima erwärmt, desto größer werden die Wahrscheinlichkeiten und Risiken unvermeidbarer, irreversibler oder abrupter Veränderungen. Noch nie waren die Warnungen der Wissenschaftler so schlimm, noch nie hat ein Bericht die Folgen der Klimakrise so klar und deutlich benannt.
IPPC - was ist das?
IPCC ist die Abkürzung für Intergovernmental Panel on Climate Change (zu deutsch Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) und bezeichnet den Weltklimarat der Vereinten Nationen. Hier werden alle Forschungsergebnisse zu Klimakrise und Erderwärmung zusammengetragen und bewertet. Ziel ist es, der Politik den Stand der Wissenschaft zu Erderwärmung, Klimakrise und Anpassungsmaßnahmen aufzubereiten, um so die wissenschaftliche Grundlage für politische Entscheidungen zu bieten. An diesen Sachstandsberichten des IPCC arbeiten tausende Wissenschaftler auf der ganzen Welt. Bisher sind sechs Sachstandsberichte und mehr als zehn Sonderberichte veröffentlicht worden. Der neueste 6. IPCC-Bericht wurde am 20. März 2023 der Öffentlichkeit vorgestellt.
Der jetztige Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC 6) ist die komprimierte Zusammenfassung der in den letzten Jahren veröffentlichten Fachberichte zu den physikalischen Grundlagen, den Folgen der Erderhitzung und den möglichen Reduktionspfaden. Seine Ergebnisse sind niederschmetternd: Die Erde erwärmt sich schneller als erwartet, die Folgen sind einschneidender als befürchtet, die Klimakrise beschleunigt sich und das Schlimmste wird erst noch kommen. Trotzdem, so die Wissenschaftler, kann eine radikale Kurswende eine noch katastrophalere Entwicklung immer noch abwenden. Deswegen muss die Menschheit alles ihr Mögliche tun, um die 1,5 Grad-Grenze in Reichweite zu halten. Die kommenden Jahre bis 2030 sind die entscheidenden Schlüsseljahre.
Die Ergebnisse des IPCC 6 im Einzelnen:
Die aktuelle Situation
Es besteht kein Zweifel: Menschliche Aktivitäten, insbesondere die Emission von Treibhausgasen, haben die globale Erwärmung verursacht. Die globale Oberflächentemperatur liegt bereits jetzt, im Zeitraum 2011-2020, um 1,1 Grad Celsius über dem Niveau von 1850-1900.
Die vom Menschen verursachte Klimakrise führt bereits zu vielen Wetter- und Klimaextremen in allen Regionen der Welt. Besonders betroffen sind die Ärmsten der Armen, die am wenigsten zum derzeitigen Klimawandel beigetragen haben.
Trotz weltweiter Anstrengungen zur Anpassung an den Klimawandel nehmen die Schäden immer größere Ausmaße an. Die bisherigen Anpassungsmaßnahmen reichen nicht aus, um den immer schneller wachsenden Folgen der Klimakrise zu begegnen. In einigen Sektoren und Regionen kommt es sogar zu falschen Weichenstellungen bzw. zu Fehlanpassungen.
Um die Klimakrise in den Griff zu bekommen, reichen die angekündigten nationalen Klimaschutzbeiträge (NDCs) der einzelnen Staaten nicht aus. Zwischen Emissionsprognosen und umgesetzten Maßnahmen klaffen riesige Lücken. Die Finanzströme reichen bei weitem nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen.
Zukünftige Klimaänderungen und Risiken
Fortgesetzte Treibhausgasemissionen werden in naher Zukunft zu einer zunehmenden globalen Erwärmung führen, die nach den besten Schätzungen in fast allen Szenarien und Entwicklungspfaden bereist im Zeitraum 2030-2035 zu einem Plus von 1,5 Grad Celsius führen wird. Die weitere Zunahme der globalen Erwärmung wird mehrere Bedrohungen gleichzeitig verstärken. Hingegen könnte eine starke und anhaltende Verringerung der Treibhausgasemissionen innerhalb weniger Jahre laut der Wissenschaftler zu einer Verbesserung der Luftqualität und nach etwa zwei Jahrzehnten auch zu einer Verlangsamung der globalen Erwärmung führen.
Die prognostizierten langfristigen Auswirkungen der Klimakrise sind um ein Vielfaches höher als die derzeit beobachteten. Die Risiken und prognostizierten negativen Auswirkungen des Klimawandels eskalieren mit zunehmender globaler Erwärmung. Klimatische und nicht-klimatische Risiken werden sich zunehmend gegenseitig verstärken und zu komplexeren und schwieriger zu bewältigenden Interdependenz- und Kaskadenrisiken führen.
Die Wahrscheinlichkeit und die Risiken unvermeidbarer, irreversibler oder abrupter Veränderungen infolge der Klimakrise nehmen zu. Einige zukünftige Veränderungen sind unvermeidbar und möglicherweise irreversibel. Sie können durch Gegenmaßnahmen gerade noch begrenzt werden. Die Wahrscheinlichkeit abrupter Veränderungen steigt mit zunehmender globaler Erwärmung. Ebenso steigt mit zunehmender globaler Erwärmung die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, aber potenziell sehr großen negativen Auswirkungen.
Noch können wir uns anpassen, aber die Anpassungsoptionen, die heute machbar und wirksam sind, werden mit zunehmender globaler Erwärmung begrenzter und weniger wirksam sein. Mit zunehmender globaler Erwärmung werden Verluste und Schäden zunehmen und weitere menschliche und natürliche Systeme an ihre Anpassungsgrenzen stoßen.
Kohlenstoffbudgets und Netto-Null-Emissionen
Die Begrenzung der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung erfordert Netto-Null-Emissionen von anthropogenen CO2. Sprich: Möglichst bald darf die Menschheit nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als zeitgleich in natürlichen Prozessen wieder gebunden werden können. Wie lange das Erreichen der Netto-Null-Emissionen dauert und wie viele Treibhausgase die Menschheit bis dahin ausgestoßen hat, werden weitestgehend darüber bestimmen, ob die Erwärmung auf 1,5°C oder unter 2°C begrenzt werden kann. dazu bleibt uns nur noch dieses Jahrzehnt. Dabei ist klar: Die prognostizierten CO2-Emissionen aus der bestehenden und geplanten Infrastruktur für fossile Brennstoffe würden das verbleibende CO2-Budget für 1,5 Grad bereits sprengen (50 Prozent Wahrscheinlichkeit) und ungefähr dem für eine 2-Grad-Erhöhung entsprechen (83 Prozent Wahrscheinlichkeit).
Alle globalen Modellpfade, die die Erwärmung auf 1,5°C ohne oder mit begrenztem Overshoot begrenzen, und diejenigen, die die Erwärmung auf 2°C begrenzen, beinhalten rasche und tiefgreifende sowie in den meisten Fällen sofortige Verminderung des Ausstoßes von Treibhausgasen in allen Sektoren innerhalb dieses Jahrzehnts.
In solchen Overshoot-Szenarien kann die globale Durchschnittstemperatur kurzzeitig über den angestrebten Zielwert steigen, bevor sie wieder sinkt, indem weltweit negative Netto-CO2-Emissionen erreicht und aufrechterhalten werden. Dies würde im Vergleich zu Pfaden ohne Overshoot einen zusätzlichen Einsatz von Kohlenstoffsequestrierung erfordern, was größere Bedenken bezüglich der Machbarkeit und Nachhaltigkeit aufwirft. Overshoot-Szenarien sind ein Spiel mit dem Feuer und eine riskante Wette auf die Zukunft.
Klimakrise heute
Die Dringlichkeit kurzfristiger integrierter Klimaschutzmaßnahmen
Es gibt ein sich schnell schließendes Zeitfenster, um eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern. Eine klimaresiliente Entwicklung ist nur durch verstärkte internationale Zusammenarbeit möglich. Die Entscheidungen und Maßnahmen, die im Laufe des nächsten Jahrzehnts getroffen bzw. umgesetzt werden, werden Auswirkungen auf die Gegenwart und die nächsten Jahrtausende haben.
Eine frühzeitige Eindämmung und Anpassung an den Klimawandel würde die zu erwartenden Verluste und Schäden für Mensch und Ökosystem verringern und zahlreiche zusätzliche Vorteile bieten, insbesondere in Bezug auf Luftqualität und Gesundheit. Eine Verzögerung von Minderungsmaßnahmen würde die Infrastruktur mit hohen Emissionen blockieren, das Risiko von gestrandeten Vermögenswerten und Kosteneskalation erhöhen, die Durchführbarkeit verringern und Verluste und Schäden erhöhen.
Rasche und weitreichende Transformationen in allen Sektoren sind notwendig, um tiefgreifende Emissionsreduktionen zu erreichen und eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern. Diese Systemübergänge erfordern eine erhebliche Ausweitung eines breiten Spektrums von Minderungs- und Anpassungsoptionen. Machbare, wirksame und kosteneffiziente Minderungs- und Anpassungsoptionen sind bereits verfügbar.
Die Klimakrise ist t zutiefst ungerecht, aber Klimagerechtigkeit ist möglich. Beschleunigte und gerechte Maßnahmen zur Minderung des Klimawandels und zur Anpassung an seine Folgen sind entscheidend für eine nachhaltige Entwicklung auf der ganzen Welt, auch in den von der Klimakrise besonders betroffenen Regionen.
Ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen und eine klimaresiliente Entwicklung können durch die Priorisierung von Gleichheit, sozialer Gerechtigkeit, Inklusion und gerechten Übergangsprozessen gefördert werden. Eine verstärkte Unterstützung der Regionen und Menschen, die am stärksten durch Klimarisiken gefährdet sind, verbessert die Ergebnisse der Anpassungsmaßnahmen. Die Integration von Klimaanpassung in soziale Schutzprogramme erhöht die Widerstandsfähigkeit.
Es gibt viele Möglichkeiten, emissionsintensiven Konsum zu reduzieren, unter anderem durch Verhaltens- und Lebensstiländerungen, die sich positiv auf das gesellschaftliche Wohlergehen auswirken.
Wirksame Klimaschutzmaßnahmen werden durch politisches Engagement, eine gut koordinierte Multi-Level-Governance, institutionelle Rahmenbedingungen, Gesetze, Politiken und Strategien sowie einen verbesserten Zugang zu Finanzmitteln und Technologien ermöglicht. Ordnungsrechtliche und ökonomische Instrumente können weitreichende Emissionsminderungen und Klimaresilienz unterstützen.
Lokal denken, global handeln: Finanzierung, Technologie und internationale Zusammenarbeit sind entscheidende Voraussetzungen für einen beschleunigten Klimaschutz. Wenn die Klimaziele erreicht werden sollen, muss die Finanzierung sowohl für Anpassung als auch für Minderung um ein Vielfaches erhöht werden. Es fehlt weder an Geld noch an technischen Möglichkeiten.
Internationales Politikversagen?
Der sechste IPCC-Bericht führt uns die Folgen der Klimakrise schockierend genau und faktenreich vor Augen. Er ist ein Weckruf an die internationale Staatengemeinschaft. Und ja, die Wissenschaftler zeichnen ein Katastrophenszenario, wie es nicht schlimmer sein könnte. Alles Klima-Alarmismus? Nein, denn es ist durch hunderte von wissenschaftlichen Publikationen hieb- und stichfest belegt. Und bisher hat die Klimawissenschaft die Ernsthaftigkeit der Bedrohung immer wieder verschärfen müssen.
Alles zu spät? Im Gegenteil, wir haben es in der Hand. Die kommenden Jahre bis 2030 sind entscheidend. Es lohnt sich, gegen jedes Zehntel Grad zusätzlicher Erwärmung zu kämpfen. Mit mutigen Maßnahmen, mit sofortiger Reduktion der Treibhausgasemissionen können die Zusagen des Pariser Klimaabkommen noch erreicht werden. Wir dürfen die 1,5-Grad-Grenze nicht aus den Augen verlieren. Noch ist die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze in Reichweite. Aber ein "Weiter so" können wir uns nicht mehr leisten.
Und das gilt auch für die deutsche Politik. Die Ampelregierung von Scholz, Habeck und Linder muss endlich ihr lähmendes Hickhack um E-Fuels, Tempolimit und LNG-Überkapazitäten beenden. Die eindringlichen Warnungen der Klimawissenschaftler in den Wind zu schlagen, wäre politisches Staatsversagen. Noch ist die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze in Reichweite. Aber die Zeit drängt. Jetzt liegt es an den politischen Entscheidungsträgern, die drastischen Warnungen der Klimawissenschaftler:innen nicht wieder ungehört verhallen zu lassen. Im Grunde ist dieser sechste IPCC-Bericht ein auf die Kernaussagen verdichteter Hilferuf der Klimawissenschaftler:innen, ein wütender Aufschrei gegen die Untätigkeit von Politikern und Wirtschaftsführern, verpackt in einer beispiellosen Faktendichte.
Zum Weiterlesen:
Die deutschen Übersetzungen der IPCC-Sachstandsberichte
Weitere Informationen zum IPCC-Bericht von Greenpeace in Englisch finden Sie hier.
Fragen zum IPCC-Bericht
Was ist der 6. IPCC-Bericht
Im Klimarat der UN, dem Intergovernmental Panel on Climate Change, kurz IPCC genannt, fassen tausende Wissenschaftler der ganzen Welt die neuesten Forschungsergebnisse zu Klimawandel und Erderwärmung für die Politik zusammen. Diese Berichte werden Sachstandsberichte genannt, Am 20. märz 2023 stellt das IPCC seinen sechsten sachstandsbericht vor.
Was sind die Kernaussagen des IPCC 6?
Kurz: Die Klimakrise kommt schneller und schlimmer als bisher schon befürchtet. Das Erreichen dramatischer Kipppunkte steht kurz bevor, wenn die Mnschheit nicht schleunigst drastischen Klimaschutz umsetzt
Ist die Klimakrise noch zu stoppen?
Ja. Auch im IPCC 6 machen die Klimawissenschaftler klar: Das Schlimmste kann noch verhindert werden. Wie schnell die Menschheit den Ausstoß an Treibhausgasen verringert, bevor sie möglichst in diesem Jahrzehnt zur Klimaneutralität gelangt, ist entscheidend für die Lebensgrundlage jetzt und zukünftiger Generationen.
Was muss getan werden, um die Erderwärmung zu stoppen?
Möglichst schnell muss die Menschheit Klimaneutralität erreichen. Dann darf die Menschheit nur noch so viele Treibhausgase ausstoßen, wie im gleichen Zeitraum gebunden werden können. Das nennt man “Netto-Null-Emissionen”. Je schneller dieser Zustand erreicht wird, und je weniger Klimagase die Menschheit bis dahin noch ausstößt, desto weniger schlimm und beherrschbarer wird die Klimakrise ausfallen. Es lohnt sich, um jedes Zehntel Grad weniger Erderwärmung zu kämpfen.
Was sind Netto-Null-Emissionen bzw. was ist Klimaneutralität?
Beides ist das Gleiche und bezeichnet einen Zustand, bei dem die Menschheit in einem bestimmten Zeitraum nur noch so viele Treibhausgase ausstößt, wie gleichzeitig (hauptsächlich durch das Wachsen der Lebewesen an Land und im Wasser) gebunden werden können. Dieser Zustand muss noch in diesem Jahrzehnt erreicht werden. Je weniger Klimagase die Menschheit bis dahin ausstößt, desto geringer und handhabbarer wird die Klimakrise ausfallen.