Interview mit Christoph Thies: Alles andere als alarmistisch
- Im Gespräch
Was ist vom aktuellen Bericht des Weltklimarats zum Thema Landnutzung zu erwarten? Greenpeace-Experte Christoph Thies gibt im Interview einen Ausblick.
In den kommenden Tagen legt der Weltklimarat IPCC in Genf seinen Sonderbericht zu „Klimaschutz und Landsystemen“ vor. Was dort drinsteht, ist in Teilen bereits bekannt – und ausgesprochen niederschmetternd. So bedeutet etwa der massenhafte Anbau von Soja als Futtermittel in der Viehzucht die Zerstörung von Wäldern und Savannen im gewaltigen Maßstab. Das hat Folgen: Das Verschwinden natürlicher Ländflächen treibt die Erde weiter in den Klimanotstand, weil sie als wichtige Kohlenstoffspeicher fehlen, durch die die Erderhitzung abgemildert werden kann.
Greenpeace-Waldexperte Christoph Thies erklärt im Interview, warum Wälder und Moore nicht der Profitgier geopfert werden dürfen – und was nach dem aktuellen Bericht des Weltklimarats nun passieren muss.
Greenpeace: In der kommenden Woche begleitest du die 50. Sitzung des Weltklimarates IPCC in Genf. Was wird dort passieren?
Christoph Thies: Der IPCC wird einen Spezialbericht zur Klimakrise und der Landnutzung verabschieden, Wissenschaftler:innen und Regierungsvertreter:innen verständigen sich in Genf auf die endgültige Fassung. Der Bericht untersucht, wie sich die Erderhitzung auf die Landflächen weltweit auswirkt, besonders auf die Wälder, die Bildung von Wüsten, die Erosion der Böden und die Sicherung der Welternährung. Es wird auch diskutiert, welche Maßnahmen zum Schutz des Klimas ergriffen werden können – etwa in der Landwirtschaft oder durch Waldschutz und Wiederbewaldung,
Welche Erwartungen hast du an den Ausgang der Konferenz?
Der Bericht wird deutlich machen, wie entscheidend Waldflächen, Landflächen und Moore für das Weltklima sind. Der IPCC legt damit eine erneute, dringende Aufforderung vor, jetzt endlich zu handeln, um den Klimanotstand noch abzuwenden.
Was ist neu an dem aktuellen Befund?
Noch nie hat es einen so umfassenden Bericht über den Zustand der Landflächen der Erde gegeben. Hier schreitet die Erderhitzung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts deutlich schneller voran als über den Ozeanen. Im Schnitt liegt der Temperaturanstieg über den Landflächen mit schon jetzt rund 1,5 Grad Celsius deutlich über dem globalen Durchschnitt von knapp einem Grad Celsius. Bislang ist in den Diskussionen über die Klimakrise die Beziehung zwischen Klima und Landflächen nur wenig beleuchtet worden, da ging es ja hauptsächlich um den Stopp der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas. Das muss sich jetzt ändern. Denn ohne ein Ende der Waldzerstörung und eine deutliche Senkung der Emissionen aus Landwirtschaft und Tierzucht werden wir keine Chance haben, die im Pariser Abkommen vereinbarte 1,5-Grad-Grenze bei der globalen Erwärmung einzuhalten.
In der Vergangenheit standen die Berichte des Weltklimarates immer wieder in der Kritik: Manche empfanden sie als zu alarmistisch, anderen gingen sie nicht weit genug. Wie aussagekräftig ist dieser Bericht?
Hinter diesem IPCC-Bericht stehen rund 60 Wissenschaftler:innen aus mehr als 30 Ländern, die alle Aussagen und Einschätzungen genau geprüft haben. Natürlich ist es dabei nicht immer möglich, dass sich alle Wissenschaftler:innen über jedes Detail einig werden. Aber die Berichte des Weltklimarats sind alles andere als alarmistisch, sondern vielmehr breiter wissenschaftlicher Konsens. Und deshalb können und dürfen wir diese enorme Menge an Erkenntnissen nicht ignorieren.
Die Klimaaktivistin Greta Thunberg ignoriert sie nicht. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos sagte sie: „Unser Haus steht in Flammen.“ Wie ernst ist die Lage auf unserem Planeten?
Die Lage ist sehr ernst, das wissen wir nicht erst seit gestern. Dieser IPCC-Bericht ist eine aktuelle Bestandsaufnahme, die unmissverständlich klar macht, dass wir keine Zeit mehr zu verlieren haben. Wenn wir die 1,5-Grad-Grenze einhalten wollen, müssen wir schnell und entschlossen handeln. Der Bericht ist daher ein dringender Aufruf an die Regierungen, jetzt alles zu tun, damit sich die Klimakrise nicht noch weiter verschärft.
Was muss jetzt weltweit geschehen, damit wir die 1,5-Grad-Grenze nicht überschreiten?
Wir müssen so bald wie möglich die Emissionen von fossilen Brennstoffen auf Null senken. Aber nicht nur das. Schon jetzt haben wir viel zu viel CO2 in der Atmosphäre, und die Natur kann uns am besten dabei helfen, die hohen Konzentrationen wieder abzusenken. Nur wenn die Landoberflächen der Erde bei naturnaher Bewirtschaftung in Zukunft deutlich mehr CO2 aufnehmen als emittieren, kann es gelingen, die Klimaziele zu erreichen.
Was muss die Bundesregierung jetzt tun, damit Deutschland seinen Beitrag zur Rettung des Planeten leistet?
Als reiche Industrienation steht Deutschland besonders in der Pflicht. Unser Land muss vorangehen – mit deutlich weniger Fleischkonsum, einer ökologischen Landwirtschaft mit weniger Tierhaltung, beim Waldschutz und mit einer naturnahen Waldwirtschaft. Die Bundesregierung muss dazu Anreize und Rahmenbedingungen schaffen. Der Import von Tierfutter, für dessen Anbau wertvolle Ökosysteme zerstört werden, muss umgehend verboten werden. Wirtschaftlich schwache Länder müssen wir bei Naturschutz sowie ökologischer Land- und Waldwirtschaft finanziell und logistisch unterstützen. Und die Bundesregierung muss endlich die vielfach global operierenden deutschen Unternehmen in die Verantwortung nehmen: Sie müssen per Gesetz dazu verpflichtet werden, über ihre gesamte Lieferkette nachzuweisen, dass sie nicht zur klimaschädlichen Zerstörung von Wäldern oder der Vernichtung von Arten beitragen.