Gasbohrung in Reichling: Idyll in Gefahr
- Ein Artikel von Georg Thanscheidt
- Unterwegs
Noch diesen Sommer soll in Oberbayern nach Gas gebohrt werden. Ein Betroffener zeigt uns die Schönheiten seiner Heimat, die durch diesen klimapolitischen Irrsinn in Bedrängnis geraten.
Michael Darchinger steht an der Abbruchkante und ist außer sich. Gut 20 Meter unter ihm schlängelt sich der Lech durch sein grünes Tal. Durch das Laub der Buchen und die Nadeln der Fichten schimmert eine Kiesbank herauf, die eine natürliche Badestelle bildet. Hellblau wölbt sich der Himmel darüber, hinter flirrendem Dunst ist in der Ferne das Zugspitzmassiv zu erahnen.
Seit fast zwei Jahren sieht Michael, 59 Jahre alt, seine Heimat, den Ort, an dem er sesshaft und glücklich geworden ist, in Gefahr. Ende September 2022 erlaubte Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) dem Unternehmen Genexco aus dem Ruhrgebiet, auf dem Gebiet der Gemeinde Reichling im oberbayerischen Landkreis Landsberg am Lech nach Gas zu suchen. Mit dem Geld eines in Kanada börsennotierten Unternehmens will Genexco bereits hier einen 40 Meter hohen Bohrturm errichten und in gut 3000 Meter Tiefe nach Gas bohren. Die Genehmigung hierfür hat das dem Wirtschaftsministerium unterstellte Bergamt Süd Ende Juni erteilt - die Vorbereitungen für die Probebohrung können jederzeit beginnen.
Trinkwasserquellen gefährdet?
Wenn da nur nicht die Sache mit dem Trinkwasser-Notfallkonzept wäre. Ein solches muss das Unternehmen auf Drängen des Wasserwirtschaftsamts nämlich vorlegen, bevor die Bohrung beginnen kann. Der Grund dafür liegt genau zwischen dem Punkt, an dem Michael jetzt steht und auf die Lech-Schleife blickt und dem für die Bohrung vorgesehenen Areal kurz hinter dem Ortsausgang von Reichling: In der Mitte zwischen Bohrplatz und Abbruchkante liegen die Trinkwasserquellen der Gemeinde.
Der Bereich der Quellfassung ist eingezäunt. Sattes Grün umrankt die Messpunkte. “In diesem extra eingezäunten Bereich liegen unsere Trinkwasserquellen. Dort steht das Wasserhäusl der Gemeinde”, sagt Michael, als Greenpeace Bayern ihn auf seiner Tour durch seinen Heimatort begleitet. “Und da oben soll dann der Bohrturm stehen”, sagt er und zeigt hangaufwärts. Von unten ist der geplante Bohrplatz auf einer gerodeten Schonung nicht zu erkennen. Aber es sind nur etwa 400 Meter Luftlinie. An vielen Stellen am Hang tritt Wasser aus und fließt in das Bett eines Baches, der sich hangabwärts zum Lech schlängelt. Auf das Pumpwerk zu, das es wieder über 1500 Meter Länge und 92 Meter Höhe zu den Bürger:innen von Reichling befördert. Zum Trinken, Kochen, Duschen.
Es sind die einzigen Trinkwasserquellen von Reichling. Deswegen muss Genexco einen Plan vorlegen, woher Wasser für die Bürger:innen kommen soll, falls das Trinkwasser durch austretende Chemikalien, versickerndes Lagerstättenwasser oder giftigen Bohrschlamm verunreinigt werden sollte. Es sind diese Sorgen, die Michael Darchinger und viele andere Bürger:innen umtreiben. Sie wehren sich mit einer Bürgerinitiative gegen das Vorhaben, auch der Gemeinderat und der CSU-Landrat haben sich dagegen ausgesprochen. Greenpeace Bayern unterstützt den Protest und hat als Zeichen des Widerstands ein mehr als vier Meter hohes X neben dem geplanten Bohrplatz errichtet.
Aber es geht nicht nur um das Wohl der Menschen, wie Michael betont. Das Wasser des Gewässers mit dem märchenhaften Namen Bachrunzelbach und des Lechs haben einen einzigartigen Lebensraum für Tiere und Pflanzen geschaffen. “Hier gibt es Gelbbauchunken, Uhus rufen in den Wäldern, seltene Fledermausarten nisten in der Gegend. Das Wasser fließt über wertvolle, aber instabile Kalkterrassen Richtung Lech und lässt immer neue faszinierende Landschaften entstehen", schildert er. So gerne er - besonders im Winter - im Lech badet, eigentlich ist er dafür, den Zugang zu dem sensiblen Ökosystem zu beschränken. “Vielen fehlt einfach die Wertschätzung für die Natur”, sagt Michael.
Lech-Auen sind FFH-Schutzgebiet
Denn das Areal der Lech-Auen ist zwar als sogenanntes FFH-Gebiet geschützt - die Abkürzung steht für Flora-Fauna-Habitat -, ist aber frei zugänglich. Das Habitat zwischen Hirschau im Süden und Landsberg im Norden erstreckt sich auf fast 3000 Hektar, ein weiteres europäisches Schutzgebiet schließt sich an. Hier findet man seltene Orchideen, der Kammmolch und die Groppe sind hier heimisch. Schwarzmilane und Fischadler erheben sich in die Lüfte. Auch die Uferbereiche des Bachrunzelbachs sind geschützt und die sensiblen Areale reichen im Bereich der Landstraße nach Rott bis zu 150 Meter an die geplante Bohrstelle heran.
Von dort aus ist auch das Wahrzeichen von Reichling deutlich erkennbar: die Pfarrkirche St. Nikolaus. Wie in einem bayerischen Bilderbuch erhebt sich die “welsche Haube” - so benannt nach dem italienisch-byzantinischen Ursprung des Zwiebelturms - des Gotteshauses über Maibaum, Feuerwehrhaus und Rathaus, untergebracht im ehemaligen Schulhaus. Ein kleiner Teich komplettiert das Idyll der 1700-Einwohner-Gemeinde. Vor 24 Jahren hat Michael dort ein etwa 300 Jahre altes Haus gekauft, in dem er mit seiner Familie wohnt. Im Garten steht ein Nussbaum und viele Apfelbäume. Hinter den Obstbäumen schimmert der Alpenkamm, eine schwarz-weiße Katze springt durchs Gras.
Aiwanger hofiert Gas-Konzern
“Das Schlimmste ist die Ohnmacht”, sagt Michael. “Da kommt vor zwei Jahren einfach so ein Bergbauunternehmen ums Eck und man hat das Gefühl, die nehmen sich Rechte raus, die sonst niemand für sich in Anspruch nehmen kann.” In der Tat ist das Bergrecht in seiner Fassung von 1980 sehr unternehmensfreundlich. Die Ankündigung im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung, es zu “modernisieren”, wurde bisher nicht umgesetzt. Klimaschädliche Bohrungen wie vor Borkum oder hier in Bayern sind in diesem rechtlichen Rahmen schwer zu stoppen, weil das Gemeinwohl und der Schutz seltener Tiere und Pflanzen Profit-Interessen untergeordnet ist. Und wenn man dann noch fossilen Firmenden roten Teppich ausrollt - wie Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger -, wird es noch schwerer. “Da fabuliert er davon, dass die Bürger sich die Demokratie zurückholen sollen und drückt uns gegen unseren demokratisch geäußerten Willen die Gasbohrung nei”, schimpft Michael.
Gerade vor diesem Hintergrund gibt es Attraktionen in Reichling, die fast schmerzhaft-schön sind. Wie die Aussicht vom 743 Meter hohen Wurzberg. Den “Balkon des Voralpenlands” wie ihn die frühere Bürgermeisterin von Reichling Margit Horner-Spindler getauft hat. Von dort sieht man den Gipfelkamm der Alpen - von der Grubenkarspitze übers Karwendel bis zum Einstein. Hinter dem Betrachter steht ein grauer viereckiger Stein der den Bau der ersten Hochdruck-Wasserleitung “zum Nutzen und Frommen der Gemeinde Reichling” vor 140 Jahren rühmt: “Was Reichling schon längst entbehrt wurde ihm durch diesen Bau beschert: gutes Wasser in Hüll und Füll, so viel nur jeder haben will.” Erinnerung und Mahnung zugleich.