Afrikas Textilmüll ist unsere Verantwortung
Greenpeace-Recherche
Die Fashion-Industrie hat ein gewaltiges Plastikproblem. Statt es zu lösen, wird es durch Altkleiderexporte in Länder wie Ghana, Kenia und Tansania gebracht und verschmutzt dort die Umwelt.
- Recherche
Nicht selten wandern ganze Säcke und sogar unbenutzte Textilien in Altkleidercontainer – doch minderwertige Billigklamotten aus Plastik machen Second Hand-Ware zu einer Umweltkatastrophe in Afrika. Eine Greenpeace-Recherche zeigt das Ausmaß, Aktive protestieren gegen Fast Fashion anlässlich der Fashion Week.
Bereits in den frühen Morgenstunden herrscht auf dem Kantamanto-Markt im westafrikanischen Ghana Hochbetrieb. Mitten in der Hauptstadt Accra befindet sich einer der größten Second Hand-Märkte der Welt. An etwa 5.000 Ständen werden gebrauchte Kleidungsstücke angeboten, gehandelt und weiterverarbeitet, etwa 30.000 Menschen arbeiten hier auf dem Markt. Die Textilien stapeln sich meterhoch, nur kleine enge Gänge führen durch die Stände. Der Handel quillt in die anliegenden Straßen, wo die Ware unter freiem Himmel angeboten wird, ohne Stände oder andere Infrastruktur direkt auf dem Boden und der Straße. Was nicht schnell verkauft oder weiterverarbeitet werden kann, wird weggeworfen. Denn es gibt kaum Lagerplätze und ständig kommt mehr Ware, die Kleiderberge wachsen.
Tonnenweise Second Hand-Kleidung landet täglich in Accra, bekannt als Oburoni Wawu (“Die Kleidung der toten weißen Männer”), das meiste ist Fast Fashion. Altkleider, die in Länder außerhalb der EU exportiert werden. Jede Woche treffen rund 100 Container mit hochgerechnet 15 Millionen Artikeln in Tema ein, dem Importhafen in Ghana. Etwa 70 Prozent davon gehen vom Hafen an den Kantamanto-Markt. Doch der Großteil der aus der EU in Drittstaaten exportierten Altkleider ist oder wird zu Müll, vor allem in Ghana.
Textilmüll aus Ghana kehrt zurück nach Europa
Eine Woche lang haben Aktivist:innen von Greenpeace Afrika und Greenpeace Deutschland im Oktober 2023 auf dem Katamanto-Markt aussortierte Kleidungsstücke gesammelt, die für die Verbrennung oder Müllhalden vorgesehen waren. “Diese Klamotten waren nicht mehr verkäuflich”, sagt Viola Wohlgemuth, Expertin für Ressourcenschutz bei Greenpeace; sie war für Greenpeace Deutschland vor Ort. “Die Händler:innen klagen, dass anstelle von brauchbaren Textilien immer mehr Wegwerf-Kleidung der Fast Fashion-Industrie kommt. Immer öfter müssen sie mehr für einen Textil-Ballen zahlen, als sie am Ende verdienen. Second Hand ist ein Glücksspiel geworden. Beim Öffnen eines Ballens zeigte ein Händler, dass über die Hälfte der Kleidung nicht für den Markt in Ghana brauchbar war.” Die vierteilige Videoreihe “Kleider machen Müll: Die Realität hinter der Fast Fashion-Industrie” zeigt das Ausmaß der Überproduktion.
Die gesammelten Textilien haben die Aktivist:innen in einem Container nach Deutschland verfrachtet und analysiert. Das Ergebnis ist erschreckend: Bei der Recherche fielen 4,6 Tonnen Textilien an, etwa 19.000 Kleidungsstücke. Infrarot-Analysen zeigen, dass über 96 Prozent der Textilien aus synthetischen Fasern bestehen. So erhöhen Textilien als Plastikprodukte in Ländern wie Ghana die Plastikvermüllung massiv.
Die Ergebnisse veröffentlichte Greenpeace parallel zur Fashion Week Berlin. Aktivist:innen brachten den Textilmüll aus Ghana zum Brandenburger Tor und protestierten mit einem 3,5 Meter hohen und 12 Meter breiten Berg aus gesammelten Textilien des Kantamanto-Markts. “Der Textilmüll aus Ghana kehrt zurück nach Europa und zeigt die globale Spur der Zerstörung durch Fast Fashion”, so Wohlgemuth. “Die Fashion-Industrie hat ein gewaltiges Plastikproblem. Statt es zu lösen, wird es durch die Altkleiderexporte in Länder wie Ghana, Kenia und Tansania gebracht.” Wohlgemuth hatte bereits im Jahr 2022 mit einer Recherchereise nach Tansania und Kenia die Entsorgung europäischer Second Hand-Kleidung problematisiert und Ergebnisse in dem Report “Vergiftete Geschenke” veröffentlicht.
Nicht recyclebar: Fast Fashion macht Kleidung zu Plastik-Wegwerfartikeln
Die billig produzierten Textilien kommen meist aus Europa, Asien und Nordamerika. Für unbrauchbare Kleidung haben Händler:innen in Ghana einen extra Namen, der den ganzen Tag überall auf dem Markt zu hören ist: “Borla” – im ghanaischen Pidgin-Englisch Müll. Mit den Kleiderbergen wachsen die Müllberge, die Deponien sind überladen. Immer wieder steigt Rauch auf, oft werden die Billigklamotten einfach verbrannt – unter freiem Himmel in Ermangelung moderner Verbrennungsanlagen, die entstehende Giftstoffe herausfiltern würden. Ganze Landstriche verschwinden auf illegalen Mülldeponien unter dem Textilmüll. Fast Fashion-Klamotten landen direkt in Flüssen oder werden in der Regenzeit dorthin gespült und gelangen schließlich ins Meer – und zersetzen sich dort zu Mikroplastik.
“Um an manchen Orten übers Wasser zu gehen, braucht es keine übernatürlichen Kräfte”, erinnert sich Wohlgemuth an ihre Recherchereise im Jahr 2022. “Etwa in Ostafrika, nahe des Gikomba-Markts, gibt es einen Abschnitt des Nairobi-Flusses, der derart voll mit weggeworfener Kleidung war, dass man darin stehen konnte. Das hat sogar Methode: Wenn Regenzeit ist, wird das ganze Zeug in den Indischen Ozean geschwemmt und ist wenigstens weg.”
Schon jetzt setzen synthetische Textilien weltweit jährlich eine halbe Million Tonnen Mikroplastikfasern in die Ozeane frei – das macht 35 Prozent des weltweiten Eintrags von Mikroplastik in die Meere aus. Außerdem lösen sich in den Gewässern Chemikalien und Färbemittel aus den Klamotten, die eine zusätzliche Bedrohung für die Unterwasserwelt darstellen. Die Auswirkungen sind auch für das Leben an Land katastrophal.
„Die Fast-Fashion-Industrie hat Kleidung zu nicht recyclefähigen Plastikwegwerfartikeln gemacht”, so Wohlgemuth, “wir tragen Plastiktüten und schmeißen unsere Klamotten genauso schnell wieder weg.“
Weltweit werben führende Modemarken für ihre nachhaltigen Kleidungsstücke. Doch in Wirklichkeit stellt die Branche weniger als ein Prozent der Kleidung aus recycelten Textilfasern her, gleichzeitig verursacht die Überproduktion der Fast Fashion-Industrie immer größere Müllberge im globalen Süden. Das Produktionsvolumen nicht recyclefähiger Textilien aus synthetischen Fasern steigt weiter an: Im Jahr 2014 produzierte die Modebranche 100 Milliarden Kleidungsstücke, 2030 sollen es bereits über 200 Milliarden sein.
Vergiftete Geschenke: unbrauchbare Winterkleidung und Billigklamotten
Länder wie Ghana, Tansania oder Kenia sind Leidtragende eines Wirtschaftssystems, das für einen völlig übersättigten Markt produziert und kein Konzept hat, was mit dem Überschuss an Plastikmüll geschehen soll. “Internationale Konzerne haben diese Länder zur Müllkippe ihrer linearen Geschäftsmodelle gemacht”, so Wohlgemuth.
Es dreht sich bei dieser Kleidung um Second Hand-Ware, wobei der Begriff dehnbar ist. Mittlerweile handelt es sich bei vielen der Kleidungsimporte, die etwa auf dem Markt in Dar Es Salaam, der größten Hafenstadt Tansanias, oder in Ghana wie Nairobi umgeschlagen werden, auch um unverkaufte Neuware aus europäischen Ländern. Dazu kommen Überbestände aus Asien. Auf Kisuaheli heißt diese Ware “Mitumba”: Bündel oder Ballen. Denn so werden die Kleidungsstücke verkauft: als großes Paket.
Das ist ein Problem: Für die Abnehmer:innen, die die Ware unbesehen zum Weiterverkauf erwerben, ist nicht ersichtlich, wofür sie ihr Geld investieren. Manchmal ist es qualitativ gute Kleidung, die ihr Einkommen sichert; manchmal sind es verschmutzte und zerrissene Klamotten oder absolut unbrauchbare Produkte: viel zu warme Winterkleidung oder Übergrößen, die vielleicht in den USA Abnehmer:innen finden, aber kaum welche in Tansania, Kenia oder Ghana. Als “Gambling” bezeichnen die Zwischenhändler:innen das: Ihre Arbeit ist oftmals ein Glücksspiel.
Bei schlechter Mitumbaware handelt es sich im Grunde lediglich um getarnte Textilmüllexporte aus dem Ausland. Die Recherchen vor Ort hatten im Jahr 2022 ergeben, dass 30 bis 40 Prozent der eingeführten Kleidungsstücke nicht mehr verkauft werden können. Im Jahr 2019 importierte Kenia 185.000 Tonnen Altkleider, demnach wären davon 55.500 bis 74.000 Tonnen tatsächlich Textilabfälle.
Report: Vergiftete Geschenke
Anzahl Seiten: 15
Dateigröße: 5.16 MB
HerunterladenEin anderes Geschäftsmodell: Die Einfuhr von Textilien zu verbieten, ist keine Lösung
Das Problem ist vielgestaltig, darum gibt es auch keine einfache Lösung. “Deswegen sind wir hier”, sagt Viola Wohlgemuth. “Wenn wir als Greenpeace Forderungen stellen wollen, müssen sie von den Menschen hier kommen, und nicht aus dem europäischen Kontext.” Die Einfuhr von Mitumba-Ware zu verbieten und die lokale Industrie zu stärken, klingt erst einmal wie ein naheliegender Ansatz, gibt Wohlgemuth zu, sei aber kurzfristig der falsche Weg: “Das habe ich hier verstanden: Wenn man das wegnimmt, bricht ein ganzes Geschäftsmodell zusammen, in dem vor allem Frauen Arbeitsplätze finden – das geht nicht von heute auf Morgen, dafür ist diese neokolonialistische Abhängigkeit schon zu lange in Kraft.”
Viel wichtiger sei es, dass vor allem qualitativ hochwertige Ware ins Land kommt. Die Upcycling-Designerin Anne Kiwia, die in Tansania Stirnbänder aus gebrauchten Textilien herstellt, sagt: “Es geht nicht darum, dass wir hier eine eigene Textilproduktion aufbauen, die genauso billig produziert wie in Asien, um dann hier die Umwelt zu zerstören.” Sie sieht ein anderes Geschäftsmodell für die afrikanische Modeindustrie vor: “Das Tolle an Afrika ist unsere Kreativität: Wir müssen Vorreiter werden in Sachen nachhaltiger Upcycling-Mode.”
Ein internationales Gesetz gegen Textilmüllexporte
International erhält das Thema bereits Aufmerksamkeit, aber längst nicht genug. Vor kurzem wurde etwa die neue EU-Textilstrategie veröffentlicht, die einige wichtige Schritte enthält. Sie sieht beispielsweise ein Ausfuhrverbot von Textilabfällen vor und will die Produktion von langlebiger, haltbarer und reparierbarer Kleidung fördern. “Dies ist ein guter Anfang”, sagt Wohlgemuth, “aber erst einmal eine Idee und nicht rechtlich bindend. Das Ressourcenschutzgesetz beinhaltet inzwischen auch das Vernichtungsverbot von neuwertiger Kleidung. Um aber die immer verheerenden Auswirkungen der Fast Fashion-Industrie auf Mensch und Umwelt wirksam zu stoppen, muss die Modeindustrie international durch Gesetze reguliert und zur Verantwortung gezogen werden. Die richtungsweisenden Trends für die Modeindustrie können nicht länger von den Laufstegen aus Paris, Mailand, London oder Berlin kommen – sondern müssen endlich in den Regierungsvierteln Berlins und Brüssels entstehen. Neue Gesetze können und sollten die Modeindustrie zur Verantwortung ziehen.”
So sollte Kleidung einerseits nachhaltig produziert werden und qualitativ hochwertig sein, damit sie lange getragen werden kann. Andererseits muss die Modebranche auch für alle Schäden ihrer Profitgier die Verantwortung übernehmen: Ein entsprechendes Gesetz, eine erweiterte Herstellerverantwortung, sollte dafür sorgen, dass Unternehmen die Stationen ihrer Lieferkette transparent offenlegen und für Menschenrechtsverletzungen, Gesundheitsschäden sowie Umweltschäden bei Produktion, Verkauf und Entsorgung haften. Im Rahmen dieser Regelung sollten die Konzerne für alle Phasen der Produktion hin zur Entsorgung von Kleidung finanziell verantwortlich sein. Das Recht auf Reparatur muss zusätzlich dafür sorgen, dass Kleidungsstücke langlebiger werden. Für Konsument:innen sollte es mehr alternative Modelle wie Secondhand, Reparatur, Tauschen und Leihen geben, darüber hinaus helfen Siegel, die für eine nachhaltige und faire Produktion stehen.
Greenpeace fordert: Faire und Slow Fashion statt Fast Fashion!
Zur Verbesserung der Situation in Ländern wie Ghana, Kenia und Tansania fordert Greenpeace Umweltministerin Steffi Lemke auf, sich für ein starkes erweitertes Gesetz einzusetzen, das Hersteller:innen zur Verantwortung zieht.
Ein starkes Gesetz umfasst:
- Einführung des “Verursacherprinzips” – Unternehmen müssen weltweit Verantwortung für ihre Produkte übernehmen, für Müll wie Schäden aufkommen und diese künftig vermeiden.
- Verbot von Kleidung aus synthetischen Fasern aus Plastik
- Exportverbot von Textilmüll und unbrauchbarer Kleidung
- Ausschluss von umwelt- und gesundheitsschädlichen Chemikalien in der Produktion
- Zerstörungsverbot von gebrauchsfähigen Produkten
- Anforderungen an die Haltbarkeit, Reparatur, Wiederverwendung und Recyclingfähigkeit von Textilien, die Informationen müssen in einem digitalen Produktpass im Textil enthalten sein
“Viele der Klamotten, die hier ankommen, sind tatsächlich nichts anderes als Plastikmüll”, sagt Viola Wohlgemuth in Hinblick auf die – zum Teil unbekannte – Zusammensetzung der Textilien. “Wir haben festgestellt, dass die Exporteure häufig die Etiketten aus der Ware herausgeschnitten haben. Das bedeutet aber auch, dass wir – und entsprechend potentielle Recyclingunternehmen – gar nicht wissen können, was drinsteckt und somit können diese Textilien auch nicht wiederverwertet werden.” Dafür gäbe es Lösungen: etwa schwer zu entfernende QR-Codes, die über einen – noch einzuführenden – Produktpass abgerufen werden können. Nur diese Transparenz kann ermöglichen, dass Herstellende Verantwortung für ihre Produkte übernehmen und zwar über ihren gesamten Lebenszyklus.
“Das muss natürlich Hand in Hand gehen mit einem Ökodesign”, sagt Wohlgemuth. “Es dürfen schlicht keine Textilien mehr auf den Markt, die nicht recyclefähig sind. Ein Großteil der Textilien besteht allerdings aus Mischgewebe und ist damit nicht wiederverwertbar, wie ein Getränkekarton. Da gibt es kein Recycling, das kann nur auf die Mülldeponie gebracht oder verbrannt werden. Damit werden Ressourcen zerstört.” Gerade einmal ein Prozent der neu hergestellten Textilien werden aus alten Textilfasern hergestellt, damit ist die Branche von Kreislauffähigkeit so weit entfernt wie kaum eine andere. Der Rest wird aus neuen Rohstoffen hergestellt, mit wahnwitzigen Mengen Rohöl. „Produzieren - Kaufen - Wegschmeißen, dieses katastrophale Fashion-Modell wird niemals nachhaltig werden”, sagt Wohlgemuth. “Dieser Wahnsinn muss aufhören. Wir brauchen einen grundlegenden Wandel. Alternative Geschäftsmodelle wie Leihen, Reparatur und Second Hand müssen das neue Normal werden.”