Black Friday: NICHTS als Schnäppchen
- Im Gespräch
Im November locken Black Friday und Cyber Monday mit Schnäppchen. Doch wie wäre es, sich NICHTS zu gönnen? Interview mit dem Künstler Robert Heigl über einen ungewöhnlichen Verkaufsraum.
Ihnen zu widerstehen ist herausfordernd: Black Friday ködert mit Rabatten und auch die Werbung für das Weihnachtsgeschäft läuft auf Hochtouren. Angebote locken unaufgefordert überall. Nicht selten landen Produkte im – digitalen – Einkaufskorb, die zuhause angekommen ihren Glanz verlieren und die wir vor allem gar nicht brauchen.
Dabei sind Ressourcen endlich und unbegrenztes Wachstum ist nicht möglich. Der Erdüberlastungstag rückt jedes Jahr näher und zeigt, wann wir die nachhaltig nutzbaren Ressourcen eines Jahres aufgebraucht haben. Der weltweite Überkonsum schadet der Umwelt und befeuert die Klimakrise.
Gemeinsam mit dem Künstler Robert Heigl lädt Greenpeace ein, “NICHTS” zu kaufen. In der Ausstellung “NICHTS für Dich” wird gefragt, was wirklich glücklich macht. Außerdem erwartet Käufer:innen ein breites Angebot an Produkten – von einem Hauch von “NICHTS” bis gar “NICHTS”. Ein Interview mit Robert Heigl über die Herausforderung, nichts zu kaufen.
Greenpeace: Wann hast du dir das letzte Mal NICHTS gekauft?
Robert Heigl: Im Zuge der Ausstellungsvorbereitung tatsächlich häufiger: Ich habe drei Verlängerungskabel benötigt und sie mir geliehen. Ein Aushang für die Ausstellung hatte bei der letzten Veranstaltung einen Kratzer abbekommen. Ich habe mich entschieden, ihn nicht neu drucken zu lassen, sondern den Kratzer in Kauf zu nehmen. Der Aushang ist nun zwar nicht perfekt, aber er funktioniert. Ich habe aber auch neu und alt gemixt: Ich brauchte Stühle und habe sie aus alten Büchern gebaut.
Greenpeace: Aus alten Büchern gebaut? Das musst du erklären – oder hast du ein Foto?
Robert Heigl: Die Stützen an der Seite sind neu gekauft.
Greenpeace: Woher kam die Idee zu diesem Kunstprojekt?
Robert Heigl: In München wie auch in anderen Städten ist man ständig mit Werbung konfrontiert. Diese Omnipräsenz weckt immerzu Bedürfnisse, die ohne Werbung vielleicht gar nicht da wären. Und gleichzeitig haben wir die enormen Umweltprobleme: Ressourcen sind begrenzt, Produktion und Transport von Konsumgütern produzieren enorm viel CO2. Hinzu kommt die Müllproblematik. Das hat mich so wütend gemacht – und auch traurig. Die Idee kam also eigentlich über die Werbung. Ich dachte mir, dass wir die Kraft der Werbung doch ganz anders nutzen und Botschaften senden müssen wie: “Dir fehlt nichts”. Das wollte ich dann noch weitertreiben und habe mir überlegt, wie NICHTS als Produkt und in der Werbung aussehen würde. Daraus ist dann der erste Pop-up-Store in Traunstein entstanden, den ich gemeinsam mit einer Freundin, Lisa Klauser, ausgearbeitet habe.
Greenpeace: Was passiert in den Räumen – wie reagieren die Menschen?
Robert Heigl: Sie reagieren ganz unterschiedlich. Wir treten in dem Laden als Schauspieler:innen auf und bleiben in der Rolle der Verkaufenden. Manche spielen bis zum Schluss mit. Andere stellen sofort Fragen und wollen wissen, was das Projekt will. Die beantworten wir dann natürlich. Und einige Wenige kommen rein und teilen uns mit, dass sie das Projekt doof finden und sagen: Woher soll denn unser Wohlstand kommen, wenn wir nichts kaufen.
Greenpeace: Auf den Wohlstand komme ich später noch zu sprechen. Zunächst noch was anderes: Am NICHTS hängen Preisschilder. Weshalb?
Robert Heigl: Die Preisschilder sind Teil der Persiflage. Wir möchten zeigen, dass in der Logik des Kapitalismus alles seinen Preis bekommt und konsumierbar sein muss. Deshalb hat NICHTS jetzt auch einen Preis bekommen. Auf der anderen Seite möchten wir durch die Preise dazu einladen, darüber nachzudenken, ob NICHTS vielleicht auch sehr wertvoll sein kann. Denn nichts zu kaufen ist häufig so negativ bewertet in unserer Gesellschaft und wird mit Mangel assoziiert.
Greenpeace: Und wenn jemand das ausgestellte NICHTS kauft, was macht ihr dann mit dem Geld?
Robert Heigl: Ich bin nicht allein in dem Laden. Ehrenamtliche unterstützen mich. Die Einnahmen sind gering, aber das Bisschen, was reinkommt, erhalten sie als Aufwandsentschädigung.
Greenpeace: Black Friday, schlechte Laune – es gibt viele Anlässe, beim Kaufen über die Stränge zu schlagen. Was kann an die Stelle dieser Bedürfnisbefriedigung treten?
Robert Heigl: Ich möchte dazu einladen, darüber nachzudenken, ob es immer der Weg der kurzfristigen Bedürfnisbefriedigung sein muss oder ob es auch andere Wege gibt. Die sind vielleicht aufwändiger, führen aber womöglich zu einer nachhaltigeren Zufriedenheit. Für mich kann das zum Beispiel eine Reparatur sein, die zwar anstrengender ist und Zeit kostet, die mich aber zufriedener macht.
Wir haben verinnerlicht, dass es bei der Frustbewältigung oder Belohnung eine Kaufhandlung sein muss. Aber das ist ja nicht in Stein gemeißelt. Es kann auch der Austausch mit Freund:innen sein, also irgendwo hingehen zu können mit der Verärgerung. Es kann – so banal es auch klingt – der Aufenthalt in der Natur sein. Oder das Joggen oder Radfahren. Wir möchten einen Denkanstoß geben: Überleg nochmal neu. Stimmt es, was die Werbung dir suggeriert, dass du das und das machen musst, um dich zu belohnen, um dich gut zu fühlen?
Greenpeace: Wieso ist es so schwierig, nichts Unnötiges zu kaufen?
Robert Heigl: Werbung konditioniert uns stark: Du musst dieses oder jenes konsumieren, um glücklich zu sein, um dazuzugehören, um erfolgreich zu sein und so weiter. Da gibt es viele Suggestionen, die uns ständig präsentiert werden. Sich dem zu entziehen und zu anderen Handlungen zu kommen, ist nicht einfach.
Außerdem haben wir unseren teils recht anstrengenden Alltag: Wir haben einen Job, der uns 40 Stunden die Woche beschäftigt, managen ggf. eine Kleinfamilie, beschäftigen uns mit Problemen wie teuren Mieten usw. Der Konsum erscheint uns als der einfachste Weg, wenn uns die Zeit fehlt, darüber nachzudenken, ob ich jemanden kenne, der oder die mir das benötigte Produkt leihen kann. Deshalb bin ich auch immer sehr nachsichtig mit jenen, die den kurzen Weg gehen, weil ich merke, wie sehr uns der Alltag beschäftigt.
Greenpeace: Aber wenn ich herausgefunden habe, wer mir in der Nachbarschaft eine Nähmaschine oder Bohrmaschine leihen kann, wäre das doch gut investierte Zeit. Dann weiß ich es fürs nächste Mal und lerne sogar noch Menschen kennen. Denn neu kaufen erfordert doch auch Zeit.
Robert Heigl: Ja, das stimmt. Ich muss mich unter vielen Produktangeboten entscheiden, muss das Gekaufte auspacken, mich um den Müll kümmern, eine Bedienungsanleitung lesen und verstehen, muss einen Platz dafür suchen. Und wenn das Gerät nicht das macht, was ich will, muss ich es zurückbringen.
Wir haben jedoch gelernt, etwas Neues zu kaufen, wenn wir was brauchen, damit sind wir aufgewachsen.
Greenpeace: Das Parfüm ist alle, kein passendes Kleidungsstück für die Party gefunden, das Fahrrad sieht schäbig aus: Woran erkenne ich, was ich brauche?
Robert Heigl: Bei der Kleidung hatte ich kürzlich solch eine Situation. In der Einladung für das Kita-Abschlussfest meines Sohnes stand, dass man in Tracht kommen soll. Ich habe keine bayerische Lederhose im Schrank hängen und ich hatte keine Lust, mir eine Tracht zu organisieren. Das hat richtig was mit mir gemacht. Ich war unsicher, habe mich gefragt, ob ich dennoch hingehen kann, ob ich dann der einzige bin, ob ich mich dann blöd fühle oder es sogar für meinen Sohn unangenehm ist. Ich habe da wirklich viel drüber nachgedacht und bin dann zu dem Schluss gekommen, dass ich ohne Tracht hingehen kann. Und dann habe ich die Erfahrung bei der Feier gemacht, dass es völlig wurscht war, weil es niemanden interessiert hat. Es gibt aber auch Parties, bei denen ich es schön finde, mich zurechtzumachen. Dann gucke ich nach Second-Hand oder leihe mir was.
Was das Fahrrad betrifft: Nur, weil es nicht gut aussieht, brauche ich kein neues. Sich in die Abhängigkeit zu begeben von der Bewertung anderer, finde ich schwierig. Zumal das, was man annimmt, was andere denken, nicht einmal stimmen muss – wie meine Erfahrung beim Kitafest gezeigt hat. Ein schäbiges Rad hat noch was Gutes: Es wird in der Regel nicht gestohlen.
Greenpeace: Weihnachten naht: Wie kann ich NICHTS verpacken?
Robert Heigl: NICHTS verschenkt man am besten unverpackt, als Schleife empfehle ich ein Lächeln.
Greenpeace: Und wenn es doch ein materielles Geschenk sein soll. Hast du eine Empfehlung?
Robert Heigl: Ich finde wichtig zu würdigen, dass es Konsumanlässe gibt, die okay sind. Und dass es auch Geschenke gibt, die man auch verschenken sollte, weil jemand etwas sehr gerne haben möchte oder es braucht. Dabei kann man aber auch gucken, dass es etwas Dauerhaftes ist, das aus der näheren Umgebung kommt oder vielleicht auch gebraucht ist. Meine Freundin hat sich zum Beispiel sehr über das gebrauchte Laptop gefreut. Und ich wüsste nicht, warum ich meinem kleinen Sohn was Neues kaufen sollte. Gebrauchtes ist zudem viel günstiger.
Greenpeace: Die Wirtschaft schwächelt. Man bekommt schon fast ein schlechtes Gewissen, nichts zu kaufen, wenn von Konsumflaute die Rede ist.
Robert Heigl: Wenn ich die Ängste vergleiche: Weniger Wirtschaftswachstum auf der einen Seite und auf der anderen Seite eine Erderwärmung, die uns existenziell bedroht – wie auch die Übernutzung der natürlichen Ressourcen, die zu Artensterben führt. Wenn ich diese Ängste vergleiche, relativiert sich die Angst, dass das Wirtschaftswachstum nicht groß genug ist. Vielleicht müssen wir auch andere Maximen, andere Bewertungen für unser Handeln finden. Ich habe jetzt keine Lösung parat, aber ich denke, dass wir uns Schritt für Schritt vorantasten müssen, wie es auch anders aussehen kann.
Greenpeace: Was mache ich, wenn ich in Hamburg NICHTS kaufen will?
Robert Heigl: Wir haben einen Onlineshop. Auf nichtskaufen.de kann man NICHTS bestellen – ohne Versand, es ist sofort da. Ich bin aber auch buchbar. “NICHTS für Dich” ist ein Kunstwerk, das käuflich zu erwerben ist. Es gibt also auch die Möglichkeit mich zu beauftragen, den nächsten Pop-up-Store in Hamburg zu eröffnen. Und wenn beide Optionen erstmal nichts sind, schlage ich vor, einfach auf NICHTS zu warten.