Nachhaltigkeit in deutschen Kleiderschränken
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Die deutschen Kleiderschränke sind leerer als vor sieben Jahren. Oder besser gesagt: weniger voll. Zu dem Ergebnis kommt eine repräsentative Umfrage, die Greenpeace anlässlich des Earth Overshoot Days am 28. Juli 2022 in Auftrag gegeben hat. Im Schnitt besitzt nun jede:r Deutsche 87 Kleidungstücke, acht weniger als 2015. In absoluten Zahlen sind das 340 Millionen Teile, die nicht mehr in Schubladen liegen oder auf Kleiderbügeln hängen.
Doch die Menge an Kleidung, die sich (nach wie vor vielfach unbenutzt) in deutschen Schränken befindet, ist nur ein Indikator für ein verändertes Konsumbewusstsein. Greenpeace Deutschland vergleicht in der aktuellen Umfrage die Selbstauskünfte der Bevölkerung mit ähnlichen Fragestellungen aus den Jahren 2015 und 2019. Die gute Nachricht: Es hat sich was getan. Das Bewusstsein der Deutschen für einen nachhaltigeren Umgang mit Mode ist in den letzten sieben Jahren spürbar gestiegen. Nachhaltigkeit ist bei der Kaufentscheidung erstmals wichtiger geworden als der Preis. Auch die Bereitschaft das eigene Verhalten zu ändern, ist durch alle Altersgruppen hinweg gestiegen. So sind heute schon zwei Drittel der Bevölkerung bereit, weniger neue Kleidung zu kaufen - und die überwiegende Mehrheit von 89% hat vor, vorhandene Kleidung länger zu tragen.
Zudem ist der Klima- und Umweltschutz für deutlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung ein wichtiger Beweggrund für einen nachhaltigeren Umgang mit Mode geworden. Dieses neue Bewusstsein hat bereits Eingang im deutschen Alltagsverhalten gefunden: Denn selbst wenn immer noch hauptsächlich neu gekauft wird und viele Kleider nur wenig und kurz getragen werden, haben die Deutschen dennoch bereits 6,5% weniger Kleider im Schrank als noch 2015, und sie behalten die einzelnen Stücke deutlich länger bevor aussortiert wird.
Reparaturen sind rückläufig
Die schlechte Nachricht ist in erster Linie eine frustrierende Erkenntnis: Es könnte mehr sein. Wo nachhaltige Konsumentscheidungen den Menschen leicht gemacht werden, finden sie zwar großen Anklang; wo sie fehlen, rutscht der Trend allerdings ins Negative.
Das lässt sich vor allem beim Thema Reparaturen beobachten. Um der Wegwerfmentalität zu begegnen und hin zu einem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen zu gelangen, braucht es unkomplizierten Zugang zu einfachen Ausbesserungsdienstleistungen. Doch die fehlen an allen Ecken und Enden. Hinzukommt, dass insbesondere Turnschuhe so designt sind, dass sie sich kaum reparieren lassen, selbst wenn Konsument:innen das wünschen. Das führt dazu, dass über zwei Drittel der Befragten zwischen 18 und 29 Jahren noch nie ein Paar Schuhe zur Schusterei gebracht hat. Reparatur und Recycling müssen beim Design schon mitgedacht werden. Dafür braucht es eine entsprechende Rahmengesetzgebung: das Recht auf Reparatur, das Greenpeace von der Bundesregierung fordert.
Junge Frauen sind die Nachhaltigkeits-Trendsetter
Anders sieht es beim Thema Secondhand aus: 45 Prozent der Befragten geben durch alle Altersstufen an, Kleidung auch gebraucht zu kaufen. Dieser positive Trend korreliert deutlich mit dem ist wachsenden Angebot: Online- und Offline-Plattformen kommen mittlerweile auch ausgefalleneren modischen Gebrauchtwünschen nach, Vintage-Fashion hat den Muff von Wühltisch und Kleiderkammer längst verloren.
Insbesondere junge Frauen zwischen 18 und 29 treiben die positiven Entwicklungen auf dem Modemarkt an, klar gegenläufig zum Industrietrend. Ihr Kleiderbestand hat sich schon um 20 Prozent verringert. Mehr als ein Drittel ergänzt ihre Garderobe nachhaltig durch das Leihen von Textilien - aus dem Freundeskreis oder bei kommerziellen Anbietern. Trotz dieses klaren Bekenntnisses der Konsument:innen zum nachhaltigen Wandel hat die Fast-Fashion-Industrie, ihr Produktionsvolumen im vergangenen Jahr noch einmal um fast drei Prozent gesteigert.
Vor allem seit der Pandemie drängen neue Player wie der chinesische Online-Gigant Shein auf den globalen Markt, die diesen Trend auf ein ganz neues Level heben. Fast Fashion hat bereits jede Woche neue Billigkollektionen in die Läden und Schaufenster gespült, nun werden wir konstant mit neuen Styles überflutet: “Ultra-Fast Fashion” nennt sich diese neue Generation - bei Shein erscheinen täglich mehr als tausend neue Teile im Onlineshop. Wirtschaftlich erfolgreich kann dieses lineare Ultra-Fast-Fashion-Geschäftsmodell bei solchen Schlagzahlen mit vielen Textilien unter 5 Euro aber nur aufgrund ökologischer und sozialer Ausbeutung sein. Die Greenpeace-Erhebung zeigt: Zunehmend weniger Menschen wollen das - und zwar insbesondere die, an die sich ein Großteil der Werbung richtet.
Eine Industrie, die sich dem Wandel verweigert, muss politisch in die Schranken verwiesen werden, sagt Viola Wohlgemuth, Greenpeace-Expertin für Konsum und Kreislaufwirtschaft: “Wir brauchen die passenden Gesetze, damit Leihen, Teilen, Reparieren und Secondhand das neue Normal werden.” Textilhändler müssten fortan zu Textildienstleistern werden: Das heißt, weniger verkaufen - und Verantwortung für die von ihnen hergestellte Ware übernehmen, und zwar über deren gesamte Lebensdauer.
Bislang passiert das nicht, darum erleben wir Auswüchse wie die Textilmüllberge in der Atacamawüste oder wilde Deponien am Ufer von Flüssen in Ostafrika. Das hat Greenpeace dieses Jahr im Report “Vergiftete Geschenke” aufgezeigt. Überschussproduktionen der Modeindustrie werden als vermeintliche Secondhandware nach Kenia und Tansania verschifft - bei Licht betrachtet handelt es sich beim überwiegenden Teil allerdings um nichts anderes als Exporte unrecycelbaren Mülls aus Kunstfasern. Was nicht schadstoffreich verbrannt wird, verschmutzt weiterhin Landschaft und Meere.
Kleidertauschpartys zum Earth Overshoot Day
Wir verlangen der Erde Jahr für Jahr mehr ab, als der Planet an Ressourcen nachhaltig bereitstellen kann - also was binnen Jahresfrist nachwachsen kann. Dafür gibt es eine Kennzahl: das Datum des Earth Overshoot Days. Jedes Jahr rückt dieser Termin früher im Kalender; danach betreibt die Menschheit ökologischen Raubbau an ihrem einzigen Zuhause. 2022 ist der Erdüberlastungstag so früh wie nie zuvor: am 28. Juli.
Am folgenden Wochenende wiesen Greenpeace-Aktive mit der Unterstützung vieler Freiwilliger auf die rücksichtslose Ausbeutung unserer planetaren Ressourcen hin und setzten etwas entgegen: In über sechzig deutschen Städten fanden Kleidertauschpartys statt, bei denen jede:r willkommen war, bis zu zehn ausgeliebte Teile miteinander zu tauschen. Denn das nachhaltigste Kleidungsstück ist immer eines, das nicht neu hergestellt werden muss.
Die Reuse-Revolution-Map: jetzt auch für Mode
Wo in Zukunft Kleidertauschpartys stattfinden, können Sie auf unserer jüngst erweiterten ReUse-Revolution-Map sehen. Nach wie vor finden sie dort Orte zum unverpackten Einkaufen, zusätzlich haben Sie nun die Möglichkeit nach Secondhandläden, Leih-, Tausch- oder Reparaturmöglichkeiten zu suchen – und eben Kleidertauschevents. Wie bei den plastikfreien Einkaufsmöglichkeiten können Sie die Karte selbst mit ihren Tipps erweitern und somit anderen Menschen beim nachhaltigen Konsum unterstützen.