Der EU-Mercosur-Deal droht den Pestizid-Handel anzukurbeln
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Caipirinha-Zutaten: Eis, Cachaça, Rohrzucker, Limetten, 7 Pestizide. Eine Greenpeace-Untersuchung von Limetten enthüllt, wie europäische Pestizide um die Welt (und zurück) reisen
Morgens, 4.00 Uhr im Großmarkt Hamburg. Zwischen Bergen von Gemüse- und Obstkisten und den brüllenden Händler:innen, die ihre Ware anpreisen, laufen drei Greenpeace Aktivistinnen. Sie haben sich um diese Uhrzeit aus dem Bett gequält, um einen wichtigen Auftrag zu erfüllen: Limetten kaufen. Genauer gesagt konventionelle, also nicht-bio Limetten aus Brasilien von drei verschiedenen Marken. Auf der Suche nach diesen Zitrusfrüchten springen sie vorbeipreschenden Gabelstaplern aus dem Weg und feilschen mit Händler:innen. “Na, ihr macht wohl eine Cocktail-Party?”, fragt einer der Verkäufer. Die Antwort lautet ja – aber das kommt später. Zunächst haben wir mit diesen Limetten etwas ganz anderes vor.
Diese Aktion ist die womöglich größte EU-weite Limetten-Kaufaktion einer Nichtregierungsorganisation: Parallel zu den drei Frauen sind auch in Köln, Hannover, Leipzig und Stuttgart Greenpeace Aktive unterwegs. Sie gehen in Supermärkte, weil hier normale Konsument:innen ihre Limetten einkaufen, und in Großmärkte, weil hier Restaurants und Kneipen ihre Lebensmittel erfeilschen. Auch in Schweden, den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Österreich, Italien und Spanien werden fleißig Limetten gekauft, am Ende sind es über 52 kg.
Und was machen wir mit all diesen Limetten? Sie werden tabellarisch dokumentiert, verpackt und an ein akkreditiertes und zertifiziertes Labor geschickt. Denn diese kleinen Limetten erzählen eine große Geschichte. Eine Geschichte über den Pestizid-Kreislauf. Eine Geschichte über den Heuchel der EU. Eine Geschichte über ein Handelsabkommen, über das im Jahr 2023 gar nicht mehr diskutiert werden dürfte.
Giftcocktail EU-Mercosur. Limetten-Pestizid-Studie
Anzahl Seiten: 23
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HerunterladenDer Giftkreislauf der Pestizide - die wichtigsten Studienergebnisse
Alle bis auf eine der 52 Limettenproben enthielten Pestizidrückstände.
Mehr als die Hälfte aller in dieser Analyse gefundenen Pestizide sind nach der Klassifizierung des Pestizid-Aktions-Netzwerks (PAN) hochgefährliche Pestizide (Highly Hazardous Pesticides – HHPs). PAN stuft einen Wirkstoff als hochgefährlich ein, wenn er ein hohes potenzielles Risiko für die menschliche Gesundheit, Tiere oder die Umwelt darstellt.
Sechs der auf den Limetten gefundenen Wirkstoffe sind in der EU entweder nicht zugelassen oder verboten.
- In der EU gibt es aufwendige Zulassungsverfahren für Pestizide. Wird ein Wirkstoff als zu gefährlich eingestuft, darf er hier nicht eingesetzt werden bzw. seine Zulassung wird nicht verlängert. Dennoch lässt unsere Rechtslage zu, dass Chemiekonzerne wie Bayer und BASF eben diese gefährlichen Wirkstoffe in Deutschland weiter herstellen und ins außereuropäische Ausland verkaufen dürfen, etwa in den globalen Süden. Erhebungen zufolge gehört Brasilien seit langem zu den drei größten Pestizidverbrauchern der Welt. Welche verheerenden Auswirkungen der dortige hohe, wenig kontrollierte Pestizideinsatz hat, zeigen diese zwei Beispiele:
Im Bundesstaat Minas Gerais starben Berichten zufolge zwischen September 2022 und Februar 2023 Millionen von Bienen – allein in einer Stadt . Eine Untersuchung ergab, dass ihr Tod auf Pestizide zurückzuführen ist.
Hochrechnungen zufolge erlitten zwischen 2010 und 2019 56.000 Menschen in Brasilien Vergiftungen durch Pestizide, und im Durchschnitt starb alle zwei Tage ein Mensch an den Folgen einer Vergiftung durch landwirtschaftliche Chemikalien, die in brasilianischen Betrieben eingesetzt werden.
Auch Menschen in Europa bleiben von diesem “Kreislauf des Gifts” nicht verschont. Die Studie ist ein weiterer Beweis dafür, dass Pestizide, die in Europa hergestellt und nach Brasilien exportiert werden, am Ende wieder hier in Deutschland und ganz Europa auf unseren Tellern und in unseren Drinks landen.
Mehr als 90 Prozent der Proben mit Rückständen wiesen einen Giftcocktail aus bis zu sieben verschiedenen Pestiziden auf.
Was ist bei Mehrfachbelastung zu befürchten? Stellen Sie sich einen Obstsalat vor: Eine einzige Limette, die mit einem einzigen Pestizid belastet ist, stellt ein Risiko dar. Die von uns getesteten Limetten enthielten jedoch bis zu sieben verschiedene Pestizide. Nimmt man zu den Limetten noch konventionelle Papayas und Mangos hinzu, vervielfacht sich das Risiko noch einmal und der Salat könnte zu einem Giftcocktail mit bis zu zwanzig verschiedenen Pestizidrückständen werden. Das ergab eine Studie von Greenpeace Deutschland aus dem Jahr 2021. Die EU legt jedoch nur Höchstwerte für einzelne Pestizide auf einem Lebensmittel fest, es gibt keinen Grenzwert für die Summe aller Pestizide. Eine Lösung könnte ein kumulativer Grenzwert sein, den Greenpeace bereits seit 2005 fordert.
Ein Drittel der nachgewiesenen Wirkstoffe findet sich auch in Pestiziden, die von den europäischen Chemiekonzernen BASF und Bayer in Brasilien verkauft werden.
Bayer hat 108 Pestizide (Handelsprodukte) in Brasilien zugelassen. Bei BASF sind es 147. Beim Vergleich der in diesen kommerziellen Produkten enthaltenen Wirkstoffe mit denen, die im Rückstandstest gefunden wurden, wurden in der Datenbank Agrolinkfito weitere Überschneidungen festgestellt. Das bedeutet, dass theoretisch von den Wirkstoffen, die bei der Rückstandsuntersuchung gefunden wurden, sechs von Bayer und vier von BASF stammen. Wir können nicht nachweisen, dass die auf den getesteten Limetten gefundenen Rückstände von Bayer- oder BASF-Produkten stammen, da die entsprechenden Wirkstoffe auch in Pestiziden anderer Firmen zu finden sind. Da beide Unternehmen jedoch wichtige Akteure auf dem brasilianischen Pestizidmarkt sind, können sie zur Pestizidbelastung von importierten Limetten beitragen.
Gift für den Amazonas-Regenwald, Gift fürs Klima, Gift für unsere Limetten. Gestatten: Das EU-Mercosur-Abkommen.
Mehr erfahrenWas hat das EU-Mercosur-Abkommen mit dem Greenpeace Limettentest zu tun?
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Pestizid-Situation in Brasilien schon jetzt kritisch ist. Sie könnte sich noch deutlich verschlimmern, und zwar durch das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den südamerikanischen Mercosur-Staaten, Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay, das einige EU Länder, wie die deutsche Bundesregierung, noch in diesem Jahr ratifizieren wollen. Wird das Abkommen abgeschlossen, werden die Zölle auf Pestizide abgeschafft, welche die EU in den Mercosur exportiert, und es droht ein Anstieg des Pestizidhandels. Außerdem würden die Einfuhrkontrollen für Obst und Gemüse aus den Mercosur-Staaten abgebaut und die Exportunternehmen könnten sich selbst bescheinigen, dass sie die EU-Politik in Bezug auf Rückstände von Pestiziden einhalten. Heißt: Die Menge und Anzahl der auf den Limetten gefundenen Pestizide könnte ansteigen. “Von diesem EU-Mercosur Giftvertrag profitieren Konzerne wie Bayer und BASF, aber sicherlich nicht die Menschen in Südamerika oder in Europa”, sagt Greenpeace Handelsexpertin Lis Cunha.
Das EU-Mercosur-Abkommen entlarvt die Doppelmoral der EU
Das Abkommen geht gegen die Nachhaltigkeitsziele der EU, die im sogenannten Green Deal enthalten sind. Dort steht als Ziel “den Gesamtverbrauch und die Risiken chemischer Pestizide bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren”. Ein weiteres EU Ziel lautet: "Die EU wird sich aktiv bei den Handelspartnern, insbesondere den Entwicklungsländern, engagieren, um den Übergang zu einem nachhaltigeren Einsatz von Pestiziden zu begleiten, um Störungen des Handels zu vermeiden und alternative Pflanzenschutzmittel und -methoden zu fördern."
Das EU-Mercosur-Abkommen würde jedoch den Handel und Einsatz von Pestiziden begünstigen und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit von Landwirt:innen, die ökologisches Obst und Gemüse anbauen wollen, schwächen.
Zudem schützt die EU zwar ihre eigene Natur und Bürger:innen durch ein Einsatzverbot vor gefährlichen Pestiziden – sie lässt aber zu, dass europäische Chemiekonzerne ihre Gifte ins außereuropäische Ausland verkaufen dürfen.
Giftcocktail aus Pestiziden
Das EU-Mercosur-Abkommen und der Pestizid-Cocktail
Ende Mai treffen sich die EU-Handelsminister:innen in Brüssel und beraten über das EU-Mercosur-Handelsabkommen. Anlässlich dieses Treffens veröffentlichen Greenpeace-Aktive heute die Limetten-Pestizid-Studie und demonstrieren vor dem Wirtschaftsministerium in Berlin. Und jetzt kommt auch endlich die Cocktail-Party ins Spiel! Die Aktivist:innen haben einen Cocktailstand quasi vor dem Büro von Wirtschaftsminister Robert Habeck aufgebaut. Serviert wird der “Merco Sour”: ein alkoholfreier Cocktail, wahlweise mit konventionellen Limetten, die mit Pestiziden behandelt wurden, oder Bio-Limetten, denn: “Minister Robert Habeck hat die Wahl: Er kann ein Wirtschaftsmodell aufrechterhalten, das unseren Planeten zerstört und wo wenige auf Kosten vieler profitieren. Oder er kann gegen das EU-Mercosur-Abkommen stimmen und sich für eine Neuverhandlung des Deals und damit für eine gerechtere Welt einsetzen”, sagt Cunha.