Fleischkonsum sinkt, doch Industrie setzt auf Billigfleisch
- mitwirkende Expert:innen Matthias Lambrecht
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Weniger als fünfzig Kilo pro Kopf und Jahr – unter diese Grenze wird der Fleischkonsum 2023 voraussichtlich sinken. Doch die Fleischindustrie macht weiter wie gehabt, setzt auf Masse statt Klasse und Billigfleischangebote, um den Verzehr anzukurbeln. Dabei muss sich die Branche massiv verändern, wenn sie zukunftsfähig sein will. Das fordern auch Greenpeace-Aktive zum Auftakt des Fleischkongresses in Mainz.
Mit dem Erreichen der 50-Kilo-Marke setzt sich der Trend der vergangenen fünf Jahre fort: Der Tierbestand wird immer kleiner, die Menschen essen weniger Fleisch. Vor fünf Jahren lag der Konsum noch bei 60 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Schweinefleisch bleibt weiterhin am beliebtesten bei den Deutschen – gleichzeitig jedoch sinken die Zahlen hier am deutlichsten. Seit dem Jahr 2013 ist der Verzehr um 30 Prozent zurückgegangen. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Deutschland immer noch eine unvorstellbar hohe Zahl an Tieren geschlachtet wird: Im Jahr 2022 waren es rund 750 Millionen Tiere. 51,2 Millionen Schweine, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde sowie 701,4 Millionen Hühner, Puten und Enten.
Wie ist Deutschland zur Produktionsstätte von Fleisch geworden?
Vor zwanzig Jahren baute die Landwirtschaft in Deutschland die Schweinehaltung weit über den Bedarf aus. Begründet wurde dies mit der enormen Nachfrage in Asien. Tatsächlich haben sich die Schweinebestände allerdings vor allem innerhalb der EU verschoben: Die Niederlande, Frankreich und Dänemark reduzierten die Bestände, während Deutschland seine ausbaute – dank niedrigerer Umwelt- und Tierschutzstandards und dadurch geringeren Erzeugungskosten. So setzte Deutschland etwa die EU-Düngevorgaben ungenügend um - Landwirt:innen konnten also mehr Gülle aus Tierställen ausbringen als die Konkurrenz aus dem benachbarten Ausland. Im Gegensatz zu anderen Ländern war der vorgeschriebene Mindestplatzbedarf für Tiere niedriger sowie tierquälerische Praktiken wie enge Kastenstände für Sauen, die betäubungslose Kastration von Ferkeln und das Kupieren der Schwänze erlaubt. Erst im Jahr 2021 verbot auch Deutschland die betäubungslose Kastration und schärfte die Düngeverordnung erst im Sommer 2023 nach, als Strafzahlungen aus Brüssel in Millionenhöhe drohten.
Industrielle Tierhaltung durch Proteste und sinkende Nachfrage unter Druck
Mit der Verbreitung der Schweinepest in einigen deutschen Betrieben schloss sich die Vermarktungsmöglichkeit in asiatischen Ländern und die Preise für Schweine brachen ein. Gleichzeitig sank der Konsum im Inland aufgrund andauernder Skandale, wie um die Arbeitsbedingungen in den Fleischfabriken, und des zunehmenden Bewusstseins für gesundheitliche und ökologische Folgen des enormen Fleischkonsums. Die Fleischproduktion ist für fast ein Fünftel der weltweiten Treibhausgase verantwortlich und einer der größten Naturzerstörer. Der Umbau zu einer besseren Tierhaltung geht jedoch nur schleppend voran, auch wenn der Lebensmittelhandel angekündigt hat, ab 2030 kein Billigfleisch mehr abzunehmen. Gegenwärtig jedoch, das zeigt der Greenpeace-Supermarktcheck, stammen immer noch 87 Prozent des Frischfleisches aus den Haltungsformen 1 und 2 – also von Tieren, die häufig unter gesetzeswidrigen und qualvollen Bedingungen gehalten werden.
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor für die Schweinehalter:innen: Greenpeace hatte im Jahr 2017 nachgewiesen, dass die Schweinehaltung in Deutschland gegen den Tierschutz und somit gegen die Verfassung verstößt. Das Land Berlin reichte daraufhin beim Bundesverfassungsgericht eine Normenkontrollklage ein. Mit dem im Jahr 2024 erwarteten Urteil könnten die zwei schlechtesten Haltungsformen bei Schweinen rechtswidrig werden.
Protest bei Deutschem Fleischkongress
In dieser Gemengelage trifft sich die deutsche Fleischwirtschaft. Statt jedoch die künftigen Herausforderungen anzugehen, versucht sie auf einem Kongress vor allem, die Reihen zu schließen und Kritik abzuwehren. So beschäftigt sich eine Veranstaltung mit Kommunikations-Kampagnen für “(selbst)bewussten Genuss von Fleisch und Wurst - mit dem Ziel, Fleisch-Bashing zu stoppen; nur ein Panel überhaupt mit Alternativprodukten. Eine Berichterstattung über den Kongress ist eigentlich nur durch der Branche nahestehende Medien gewünscht, wie eine Freie Journalistin erfahren musste.
„Zukunft nicht verwursten”, steht auf einem knapp 160 Quadratmeter großen Banner, das Aktivist:innen innen zum Auftakt des Fleischkongresses am 21. November an die Glasfassade des Veranstaltungsorts, der Rheingold-Halle in Mainz, gehängt haben. “Nur wenn sich die Fleischbranche grundlegend wandelt und endlich auf weniger und besseres Fleisch sowie pflanzliche Eiweißquellen setzt, hat sie in einer klimaverträglichen Gesellschaft noch einen Platz”, sagt Matthias Lambrecht, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace. “Billigfleisch verschärft die Klimakrise und zerstört wertvolle Natur. Die Lebensmittelindustrie muss aus der Erzeugung aussteigen – genauso wie die Energiewirtschaft aus der Braunkohle.”
An Transformation der Landwirtschaft führt kein Weg vorbei
Wie alle Sektoren muss auch die Landwirtschaft ihren Teil dazu beitragen, die großen Umweltkrisen in den Griff zu bekommen. Damit steht die gesamte fleischproduzierende Branche vor einer großen Transformation. Bislang jedoch verweigert die Fleischwirtschaft den Wandel anzugehen und verharrt in überholten Denkmustern. Doch mit ihrem “Weiter so wie bisher” schadet sie nicht nur Tier und Umwelt, sondern auch sich selbst. Denn bestimmte Prozesse lassen sich nicht mehr aufhalten, längst ist die Veränderung in Gang:
So treiben bei der Ernährung vor allem drei Aspekte den Wechsel von tierischen Produkten auf pflanzliche Lebensmittel voran:
- Wertegetriebene Transformation
Immer mehr Menschen möchten nicht, dass Tiere unter der Haltung leiden, etwa durch Züchtung auf Höchstleistung getrimmt werden, unter schwierigen Bedingungen transportiert werden. Dieser Punkt ist besonders jungen Menschen wichtig und wird bedeutender. Für sie ist es kein Verlust, völlig auf Fleisch zu verzichten, sondern ein Mehrwert.
- Umwelt- und klimagetriebene Transformation
Die Klimakrise wird sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen und der Anteil der Tierhaltung an den Klimagasen steigen. Die meisten pflanzlichen Lebensmittel lassen sich deutlich klimafreundlicher produzieren. Dies wird den Druck auf die Branche massiv erhöhen.
- Technikgetriebene Transformation
Derzeit werden in großem Umfang Lebensmitteltechnologien entwickelt, die Fleischprodukte sozusagen nachbauen: ähnlich in Geschmack und Struktur, jedoch ohne tierische Zutaten. Diese Lebensmittel sind nicht vergleichbar mit früheren Fleischersatzprodukten. Die Entwicklung etwa der Fermenter-Technologie oder der zellulären Techniken steht noch ganz am Anfang. Zu erwarten ist, dass derart hergestellte Lebensmittel in der Massenproduktion immer günstiger und vielfach tierische Produkte preislich schlagen werden.
“All dies blendet die Fleischindustrie aus und versucht vor allem, Kritik und Innovationen abzuwehren”, so Lambrecht. “Diese Blockadehaltung sollte die Fleischindustrie endlich aufgeben, sich der Realität stellen und den Wandel hin zu pflanzlichen Alternativen mitgehen.” Greenpeace fordert, dass sich die Branche verpflichtet, in naher Zukunft nur noch Fleisch von Tieren zu verarbeiten, die aus guter Haltung stammen, also Haltungsform 3 und 4. Aus einer Tierhaltung, in der Schweine im Matsch wühlen, Hühner scharren und Kühe sich austoben können – in der Tiere ihre arttypischen Verhaltensweisen ausleben können.
Landwirt:innen brauchen für Umbau der Tierhaltung Unterstützung
Gleichzeitig müssen Tierhalter:innen sozial verträglich bei der Transformation unterstützt werden. Die Politik muss dafür einen klaren Rahmen und Ziele vorgeben. Die im Koalitionsvertrag versprochenen Reformen des Tierschutzgesetzes etwa stehen weiter aus, bestehende Lücken in der Haltungsverordnung müssen noch geschlossen werden. Auch die ab 2024 geltende staatliche Kennzeichnung von Fleischprodukten gilt vorerst nur für frisches Schweinefleisch, das im Einzelhandel verkauft wird. Aspekte wie Transport, Schlachtung oder Tiergesundheit werden nicht berücksichtigt.
Es gilt auch, Einkommensalternativen aufzubauen wie die Erzeugung pflanzlicher Proteine, den Ausbau erneuerbarer Energien statt Futtermittelerzeugung. “Dazu müssen aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium klare Worte und auch endlich Taten kommen, um diesen Wandel effektiv zu unterstützen", fordert Landbrecht.