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Transatlantische Handelspartnerschaft sägt an EU-Standards

Weniger Schranken für den Handel = weniger Schutz für Umwelt und Verbraucher. Davon profitieren werden vor allem Konzerne und Unternehmen.

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In Luxemburg hat der Rat der Europäischen Union der EU-Kommission das Mandat für das geplante Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) erteilt. Vermutlich werden am Rande des in Irland tagenden G8-Gipfels die Verhandlungen offiziell starten. Weniger Schranken für den Handel bedeuten gleichzeitig weniger Schutz für Umwelt und Verbraucher. Davon profitieren werden vor allem Konzerne und Unternehmen.

Im Februar 2013 beschlossen die EU-Kommission und die Vereinigten Staaten, ein bilaterales Freihandels- und lnvestitionsschutzabkommen unter dem Titel "Transatlantische Handels- und lnvestitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP)" zu starten . Die Verhandlungen sollen noch in der zweiten Amtszeit von Präsident Obama, also in den nächsten vier Jahren, abgeschlossen werden.



Die Bundesregierung setze sich "mit allen Kräften" dafür ein, dass die Verhandlungen rasch begonnen und erfolgreich geführt werden, so Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) Ende Mai: Der transatlantische Handel sei für Europa extrem wichtig. Und stolz twitterte der Minister am 12. Juni: Philipp Rösler @philipproesler: BReg hat heute umfassenden #EU Mandat f #Freihandelsabkommen mit USA zugestimmt, ohne Vorbehalte jetzt. Entscheidung Fr. #ttip #bmwi #fdp" und ließ dabei unerwähnt, dass der von Bundesregierung abgesegnete Entwurf weder von der EU-Kommission noch vom Wirtschaftsministerium bisher öffentlich gemacht wurde.



Die Verhandlungen zielen nicht nur auf den verbesserten Marktzugang, also den Abbau von Zöllen für Güter und Erleichterungen für Dienstleistungen. TTIP wird Regelungen für den Umgang mit Investitionen und daraus resultierenden Streitfällen festlegen. Und bei den TTIP-Verhandlungen geht es um Standards. Hinter dem Verhandlungspunkt "regulatorische Fragen und nicht-tarifäre Handelshemmnisse" verbirgt sich eine reale Gefahr für den Verbraucher und die Umwelt: Die Beseitigung von in Europa gültigen Schutzstandards, die den Handel beeinträchtigen können. So verwundert es nicht, dass seit Februar 2013 US-Lobbyisten der Agrar- und Lebensmittelwirtschaft auf die US-Regierung Druck ausüben, im Rahmen der TTIP-Verhandlungen die sie störenden Schutzstandards der Europäer zu beseitigen.



Einige Beispiele aus einer Übersicht von Statements US-amerikanischer Lobbygruppen: Die EU-Zulassungspraxis von gentechnischen veränderten Produkten wie auch die Auflagen für Kennzeichnungen und Rückverfolgbarkeit für derartige Produkte sind ihnen seit Jahren ein Dorn im Auge. So macht die American Soybean Association (ASA) die EU-Regelungen zu Gentechnik und Biokraftstoffen dafür verantwortlich, dass die europäischen Soja-Importe aus den USA zurückgegangen sind. ASA fordert, diese Regelungen während der TTIP-Verhandlungen auf den Prüfstand zu stellen.



Die Liste der US-Lobbygruppen ist lang, sei es die Biotechnologie-Industrie, die Verbände der Ölsaatenproduzenten, Maisanbauer, Futtermittelhersteller, Getreideexporteure oder Kartoffelproduzenten: Sie alle werfen der EU in ähnlichen Formulierungen vor, Entscheidungen zu treffen, die nicht wissenschaftlich basiert oder vom Vorsorgegrundsatz geprägt seien.



Dabei ist dieser Vorsorgegrundsatz (etwas zu unterlassen, wenn die Risiken nicht vorhersehbar und beherrschbar sind) eine im EU-Vertrag abgesicherte Leitlinie für den Verbraucherschutz und die Umweltpolitik. Am deutlichsten formuliert diesen Druck eine "Hersteller-Allianz für Produktivität und Innovation" (Manufactures Alliance for Productivity and Innovation): "Die TTIP-Verhandlungsführer müssen die Sicherheits-Standards für Biotech-Produkte zur Sprache bringen - mit dem Ziel, ungerechtfertigte Einfuhrbeschränkungen aufzuheben und die US-Ausfuhren zu erhöhen".



Auch der Verband der nordamerikanischen Fleischersteller sieht in den Verboten der EU für den Einsatz von Rinderwachstumshormonen und des Wirkstoffes Ractopamin, einem Wachstumsförderer, der in einigen Nicht-EU-Staaten in Tierfutter für Schweine und Rinder verwendet wird, "ungerechtfertigte Beschränkungen auf Seiten der EU, die sofort aufgehoben werden sollten". Auch die Vorgaben der EU, Fleisch auf Trichinen (parasitische Fadenwürmen, die beim Menschen zu Schwindel, Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall und bei geschwächten Organismen bis hin zum Tod führen können) zu testen, fallen nach der North American Meat Association unter die Rubrik ungerechtfertigte Beschränkungen.



Nicht nur der Suppenhersteller Campbell sieht in dem EU-Verbot für sogenannte Chlor-Hühner ein Handelshemmnis für seine Hühner-Produkte. Es ist in den USA gängige Praxis, geschlachtete Hühner in einem Chlorbad zu desinfizieren. Campbell fordert ein ernsthaftes Engagement der USA in den TTIP-Verhandlungen, um sicherzustellen, dass die EU-Maßnahmen zur Reduktion von krankheitserregenden Keimen den US-Export nicht beeinträchtigen.



Die strengeren Grenzwerte der EU für Rückstande von Pestiziden und verpflichtenden Rückstandsstandkontrollen werden von den Kartoffel-, Hopfen-, Soja-, Kirschen und Saatgutproduzenten als Handelshemmnisse thematisiert und in Frage gestellt.



Die EU-Kommission hat - allen bisherigen Beteuerungen hinsichtlich der Wichtigkeit von Transparenz und Einbeziehung der Zivilgesellschaft zum Trotz - keinen der drei Verhandlungsentwürfe öffentlich zugänglich gemacht. Der erste Entwurf wurde zuerst von Inside US Trade, einem US-Online-Fachinformationsdienst für Handelsfragen, und später vom europäischen NGO-Netzwerk für Handelspolitik Seattle to Brussels Network veröffentlicht, den zweiten machte die Internetseite Netzpolitik publik. Der dritte Entwurf lief erst am 13. Juni 2013 als geleaktes Dokument über die Mailing-Listen der Handels-NGOs.



Im Mai 2014 wird das Europäische Parlament neu gewählt, im Herbst 2014 werden die EU-Kommissare neu bestimmt. Somit ist es fraglich, inwieweit die bisherigen Aussagen der EU­Kommission - die bestehenden EU-Standards würden durch TTIP nicht angetastet werden - auch zukünftig Bestand haben werden.



Viele der vorgenannten Lobby-Angriffe haben bereits in den letzten Jahren die Streitschlichtungsorgane und Gremien der Welthandelsorganisation beschäftigt. TTIP liefert den US­Unternehmen jedoch die Möglichkeit, ihre Interessen gebündelter und gezielter zu artikulieren. Unter Attacke stehen dabei die Politikfähigkeit der EU und ihre Möglichkeiten, auf die Bedürfnisse und Wünsche der Bürgerinnen und Bürger einzugehen. Das Exportmodell "industrialisierte Landwirtschaft" mit gentechnisch veränderten oder hochgedopten Produkten soll mit aller Macht durchgesetzt werden, unabhängig davon, ob die Menschen in den 27 EU­ Mitgliedstaaten dies wollen oder nicht.



Einem Angriff ausgesetzt ist auch das Vorsorgeprinzip, ein Grundprinzip der europäischen und internationalen Umwelt- wie Verbraucherschutzpolitik. Handelsbeschränkungen sollen nur noch auf der Basis von solider Wissenschaft ("sound science") möglich sein. Aber wer bestimmt, was "sound science" ist, wer bezahlt die Untersuchungen, wem obliegt die Beweislast? Mit TTIP hat die Bedrohung der in der EU erzielten Verbraucherschutz- und Umweltstandards eine neue Dimension erhalten.

Nachtrag: 

Im Oktober 2014 hat der EU-Ministerrat die Verhandlungsposition der EU zu TTIP veröffentlicht. Das Papier legt offen, was die EU in dem Abkommen mit den USA erreichen will. Seit mehr als einem Jahr fordern wir die Veröffentlichung, die EU hatte sich jedoch beharrlich geweigert - obwohl die Papiere durchgesickert sind und seit Juni 2013 im Internet kursieren. 

Dass Verbraucher- wie Umweltschutz nicht einem schrankenlosen Handel geopfert wird, dagegen protestieren viele EU-Bürger. Eine selbst organisierte europäische Bürgerinitiative, an der sich derzeit 260 Gruppen aus 23 EU-Ländern beteiligen, sammelt Unterschriften gegen TTIP und CETA. Das Ziel - eine Million Signaturen - dürfte bald erreicht sein: Innerhalb knapp einer Woche haben 550.400 Gegner unterschrieben.



(Autor: Jürgen Knirsch)

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