Interview mit Greenpeace-Politikexperte Stefan Krug: Welche Chancen bietet eine Jamaika-Koalition?
- mitwirkende Expert:innen Stefan Krug
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Nachdem die SPD noch am Abend der Bundestagswahl angekündigt hatte, in die Opposition zu gehen, bleibt für die noch zu bildende Bundesregierung wohl nur die schwarz-gelb-grüne Option: die sogenannte Jamaika-Koalition. Zwei konservative Parteien in der Regierungsverantwortung mit den Grünen – kann das funktionieren? Stefan Krug, Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace, erläutert vor den Koalitionsverhandlungen Schwierigkeiten und Chancen einer solchen Zweckgemeinschaft – und warum es gut für die Gesellschaft ist, wenn im politischen Diskurs die Standpunkte erst einmal hart aneinandergeraten.
Greenpeace: Christian Lindner hat in der sogenannten Elefantenrunde am Wahlabend erstmals zugesagt, das Pariser Klimaabkommen einhalten zu wollen, Bundeskanzlerin Merkel versprach in einer ZDF-Sendung, die deutschen CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Sind das gute Vorzeichen für eine schwarz-gelb-grüne Koalition?
Stefan Krug: Es war wichtig, dass die Kanzlerin vor der Wahl in mehreren TV-Auftritten bekräftigt hat, das nationale Klimaziel für 2020 zu erreichen. Auch die FDP, die gegen nationale Ziele ist, wird das akzeptieren müssen. Wichtig ist aber vor allem, dass Merkel auch die nötigen Maßnahmen dazu angeht, vor allem die zügige Abschaltung von Kohlekraftwerken. Dass Herr Lindner den Pariser Vertrag einhalten will, den Deutschland völkerrechtlich verbindlich unterzeichnet hat, ist unerheblich – das hängt weder von der FDP ab, noch ist der Vertrag je von ihr in Frage gestellt worden.
Wo sind die größten umweltpolitischen Streitpunkte zwischen den Parteien?
Die FDP ist auch im neuen Lindner-Gewand eine marktradikale Partei geblieben, die weiterhin behauptet, „der Markt“ könne alles regeln. Diese blinde Marktgläubigkeit wird selbst von der Union so nicht geteilt, aber vor allem mit den Grünen ist hier Streit programmiert. Die FDP ist gegen eine Quote für Elektroautos und den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor, gegen schärfere CO2-Ziele, gegen einen gesetzlich geregelten Ausstieg aus der Kohle oder strengere Vorschriften für die Tierhaltung. Alles dies sind aber Punkte, die die Grünen durchsetzen wollen, und das völlig zu Recht. Denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass wir Probleme wie Klimawandel, Artensterben oder die Vergiftung von Böden und Gewässern ohne strengere gesetzliche Vorgaben eben nicht in den Griff bekommen. Das werden sehr schwierige Verhandlungen.
Welche Ministerien müssten die Grünen für sich beanspruchen?
Umweltpolitik wird ja keineswegs nur im Umweltministerium gemacht. Wirtschaft und Energie, Verkehr und Landwirtschaft und natürlich Finanzen sind die Ministerien, deren Politik massive Auswirkungen auf die Umwelt haben. Deshalb sollten die Grünen darauf bestehen, deutlich mehr Einfluss in diesen Politikbereichen bekommen und sich nicht auf das Umweltministerium reduzieren lassen. Die FDP hat ja bereits Anspruch auf das Finanzministerium angemeldet, die Grünen sollten da nicht zurück stehen. Auch als kleiner Koalitionspartner sollten sie groß denken – also beispielsweise ein grün geführtes Wirtschaftsministerium und ein fusioniertes Umwelt- und Agrarministerium ins Gespräch bringen, das bei umweltrelevanten Entscheidungen anderer Ministerien beteiligt werden muss. Über den Zuschnitt der Ministerien muss in einer Jamaika-Koalition neu verhandelt werden.
Politik ist immer ein Kompromiss, und schwarz-gelb-grün scheint einer zu sein, mit dem keiner der Beteiligten so recht glücklich zu sein scheint. Gibt es dennoch genug Überschneidungen zwischen den Parteien für eine wirkungsvolle Umweltpolitik?
Ja, ich sehe durchaus Chancen für diese Jamaika-Koalition, auch wenn es ein schwieriger Ritt wird. Wenn wir die ökologischen Megaprobleme wie Klimawandel, Artensterben und Ressourcenverbrauch lösen wollen, müssen wir unsere gesamte Wirtschafts- und Konsumweise grundlegend umbauen. Das ist kein grünes Nischenprojekt, sondern eine Großunternehmung, für die die ganze Gesellschaft gewonnen werden muss. Insofern ist es gut und vielleicht sogar nötig, dass sich die zusammenraufen müssen, die eigentlich nicht zusammen wollten. Denn so kann ein breiterer gesellschaftlicher Konsens entstehen. Auch der Atomausstieg ist letztlich erst auf diese Weise vollendet worden.