Die TTIP-Leaks
Geheimdokumente im gläsernen Lesesaal für alle einsehbar
- Hintergrund
Am Brandenburger Tor stellt Greenpeace einen gläsernen Leseraum auf, in dem die TTIP Verhandlungstexte öffentlich einsehbar sind. Wird das TTIP-Abkommen unterzeichnet, beeinträchtigt das die Bürger:innen Europas und der USA massiv und auf lange Zeit.
Es ist noch schlimmer als befürchtet: Die Anfang Mai 2016 von der Pressestelle Greenpeace Niederlande veröffentlichten Teile der bislang geheimen TTIP Verhandlungspapiere zeigen: Wird das TTIP-Abkommen unterzeichnet, hat das massiv und auf lange Zeit Auswirkungen auf die die Bürger:innen Deutschlands, Europas und der USA . Zahlreiche deutsche und europäische Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz sind durch TTIP in akuter Gefahr.
Freie Fahrt für Konzerne: Mit TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) soll der Schutz der Menschen und der Umwelt hinter den Interessen von Unternehmen zurückgestellt werden.
Entgegen aller bisherigen Aussagen der Verhandler wird in den öffentlich gewordenen Dokumenten klar: Es soll bei TTIP auch eine so genannte zurückgewandte Beurteilung von bestehenden Regularien geben. Und falls diese Regularien den Handel behindern, sollen sie auch zurückgenommen werden können (Chapter Regulatory Cooperation, Article 15 und 16).
Demokratie braucht Transparenz
Alle TTIP-Verhandlungsrunden fanden bislang unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Zivilgesellschaft aus rund 500 Millionen EU- und 300 Millionen US-Bürgern hat keinerlei demokratisches Mitspracherecht an dem Abkommen, das in alle Lebensbereiche eingreift.
„Dieser Vertrag geht jeden von uns an. Jeder muss nachlesen können, was uns mit TTIP drohen würde“, so Jürgen Knirsch, Greenpeace-Experte für Handel. „Hinterzimmerdeals wie TTIP passen nicht zu Demokratien. Die Verhandlungen müssen gestoppt und eine offene, transparente Diskussion begonnen werden.“
Selbst den gewählten Volksvertretern sind die Hände gebunden. Es gibt zwar nach zahlreichen Protesten und jahrelangem Aufschub inzwischen für Bundestagsabgeordnete in Berlin einen Leseraum für die TTIP-Dokumente. Dort dürfen aber weder Fotos, noch Notizen und schon gar keine Kopien der Texte gemacht werden. Den Politikern ist es bei Strafe verboten, über die Inhalte, die sie dort nur unter Aufsicht einsehen durften, zu reden: Weder mit Experten, noch mit Journalisten und schon gar nicht mit den Bürgern, die sie vertreten.
Mehr Transparenz schafft auch der von Greenpeace in unmittelbarer Nähe zum Reichstag aufgestellte gläserne Leseraum. Dort liegen rund 250 Seiten der bisher geheimen Dokumente für jedermann einsehbar. Damit liegen die Fakten offen, um einen echten demokratischen Diskussionsprozess über eine Entscheidung zu starten, die unser aller Leben beeinflussen wird.
Große Unterstützung fand diese Forderung auch in der Bevölkerung: Über 37.500 Menschen haben Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Protestmail geschickt und sie aufgefordert, sich für eine sofortige Beendigung der intransparenten TTIP-Verhandlungen und für eine offene, demokratische Debatte einzusetzen. Unter www.ttip-leaks.org kann man die Dokumente online einsehen.
Erstmals werden US-Positionen deutlich
Der brisante Inhalt der Texte erklärt auf jeden Fall, warum die Verhandlungsführer so wenig wie möglich davon in Umlauf bringen wollen. Doch hier geht es nicht um die Befindlichkeiten von Politikern, die ungestört das weltgrößte Handelsabkommen diskutieren möchten. TTIP greift allein in Europa massiv in das Leben von über einer halben Milliarde Menschen ein. Die Bevölkerung hat ein Recht auf Information! Aus Protest gegen die undemokratische Geheimhaltung projizierten Greenpeace-Aktivist:innen heute Morgen Teile des bislang geheimen Verhandlungstexts auf den Reichstag in Berlin: „Demokratie braucht Transparenz“
Eine Analyse der Dokumente zeigt, dass das Kapitel über die regulatorische Kooperation die Absenkung möglich macht: Beide Vertragspartner sollen Mechanismen entwickeln, die rückwirkend eine Aufhebung von Standards und Gesetzen ermöglichen – wenn diese den Handel behindern.
Die USA liefern auch Kriterien, nach denen eine Einstufung als Handelshemmnis erfolgen soll: hauptsächlich über das Risikoprinzip. Demnach können beispielsweise die Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel oder das EU-Chemikalienrecht REACH durch TTIP geschwächt werden. Die USA wollen, dass Stoffe nur dann verboten werden können, wenn vorher ihre Schädlichkeit belegt ist. REACH hingeben basiert auf dem Vorsorgeprinzip: Durch das Inkrafttreten 2007 müssen alle Chemikalien ab einer gewissen Menge in der EU registriert werden; ihre Unschädlichkeit muss nachgewiesen sein. Bislang sind mehrere Tausend Chemikalien in der EU nicht zugelassen worden, da eine schädliche Wirkung nicht auszuschließen ist. Dieses Prinzip sieht die USA als Handelshemmnis.
Einblick in Verhandlungsstrategie
Die Papiere bieten auch bislang unbekannte Einblicke in die Verhandlungsstrategie der USA: So setzen sie die EU massiv unter Druck, um ihre Agrarprodukte stärker auf dem hiesigen Markt zu verankern. Die EU solle ihre Tore für landwirtschaftliche Produkte aus den USA öffnen – nur dann würde es Exporterleichterungen für die europäische Autoindustrie geben.
Druck und Standardabsenkungen: Was bislang nur als Befürchtung der TTIP-Gegner galt, steht nun also schwarz auf weiß in den Verhandlungspapieren. Durch die Veröffentlichung können die Bürgerinnen und Bürger zum ersten Mal ungefiltert die Positionen der USA und der EU einsehen. „Bei den Verhandlungen soll hinter verschlossenen Türen ein mächtiger Rammbock gezimmert werden, der auch den fest verankerten Schutz für Umwelt und Verbraucher wieder aus dem Weg räumen kann“, erklärt Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch.