TTIP - Handel mit Risiko
- Im Gespräch
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Überrollt uns bald die TTIP-Walze?
Ab dem 14.07.2014 gehen die Verhandlungen zwischen der EU und den USA über die TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) in eine neue Runde. Die Verhandlungen laufen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch zum geplanten Freihandelsabkommen und den Konsequenzen für Verbraucher:innen und Umwelt.
Was ist der aktuelle Stand der TTIP-Verhandlungen? Ist schon bekannt, was auf der Agenda für die sechste Runde am 14. Juli steht?
Man weiß - wie immer- relativ wenig. Die offizielle Agenda für die Verhandlungswoche führt die Themen Warenhandel, Handel mit Dienstleistungen, regulatorische Zusammenarbeit (Standards), öffentliches Beschaffungswesen, Umweltschutz und Arbeitsnormen, Energie und Rohstoffe, und die Chancen für kleinere und mittlere Unternehmen - also bis auf Investitionen nahezu alle Themen. Was genau zu den einzelnen Themen jedoch verhandelt wird, ist nicht bekannt. Die während der letzten Verhandlungsrunden von der EU veröffentlichten Papiere zu einzelnen Themen sind weitgehend inhaltsleer.
Während dieser Handelsrunden berichten die EU-Kommission und die amerikanische Seite auf öffentlichen Veranstaltungen über den Stand der Verhandlungen, aber in der Regel wird auch dann nicht viel Konkretes mitgeteilt. Man verhandelt also alles Mögliche parallel und geheim.
Warum wird das Abkommen überhaupt verhandelt? Wer hat dabei die größten Interessen?
Die Idee eines Transatlantischen Abkommens gibt es schon seit mehreren Jahrzehnten, sie ist immer mal aufgeflackert und wieder eingeschlafen. Ende 2011 wurde noch einmal eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um die Idee zu prüfen. Diese hat dann Anfang 2013 empfohlen, dass ein bilaterales Abkommen jetzt Sinn macht, und ab dann ging alles sehr schnell.
Offiziell sagen beide Seiten, wenn wir jetzt ein Handels– und Investitionsabkommen schließen, wird das Handels – und Investitionsvolumen sich für beide erhöhen, das fördert den Wohlstand, sichert Arbeitsplätze und bringt bessere Löhne. Die Preise sinken, weil es mehr Produktauswahl und Konkurrenz gibt. Dazu gibt es eine Reihe von Hochrechnungen, die die Wohlfahrtswirkungen des Abkommens belegen sollen. Aber selbst diejenigen, die die Segnungen eines Abkommens bestätigen sollen, sind hinsichtlich ihrer Aussagen und Methoden widersprüchlich. Und dann gibt es inzwischen auch Studien, die zu ganz anderen – sprich negativen – Ergebnissen kommen.
Es gibt Unternehmen und deren Verbände, die interessiert sind, jeweils auf der anderen Seite des Atlantiks mehr Waren umzusetzen und Investitionen zu tätigen. Die haben das Ganze vorangetrieben. Ob TTIP aber auch im Interesse der Verbraucher oder der Umwelt ist, ist eine ganz andere Frage.
Ein weiterer Grund ist sicherlich, dass die Welthandelsorganisation (WTO) zwar 2001 eine neue Handelsrunde startete, diese aber nicht zum Abschluss bringt. Nun sagen die EU und die USA, wenn die WTO nicht vorankommt, machen wir das unter uns aus. Und die WTO kann dann später unsere Standards übernehmen. Dieses Argument ist sehr fragwürdig, denn die WTO besteht aus 160 gleichberechtigten Mitgliedern und es ist fraglich, ob die anderen Mitglieder sich alles aufdrängen lassen, was die EU und die USA als Handelsstandards entwickeln.
Was ist besonders bedenklich, wenn es zu dem Abkommen der EU und der USA über gemeinsame Handelsstandards kommt?
Geplant ist, Zölle zu senken, die sind zwischen beiden Handelspartnern aber bereits relativ gering, es wird von einem Durchschnittssatz von 3,5 bis 4,0 Prozent bei den Gütern gesprochen.
Die viel gefährlichere Seite ist, dass es bei TTIP auch um die Aufhebung von sogenannten nichttarifären Handelsbarrieren geht. Das sind alle Maßnahmen, die unabhängig von Zöllen, den Handel beeinträchtigen können. Z.B. Einfuhrverbote für gefährliche Chemikalien, aber auch Auflagen für Produkte oder auch Siegel bzw. Label für biologische Produkte wie Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft. Das kann als nichttarifäres Handelshemmnis gesehen werden. TTIP soll da eine Harmonisierung schaffen.
Nun wäre es zu begrüßen, wenn beide Seiten sich auf den jeweils höchsten Standard verständigten und die Seite mit dem niedrigeren Standard sich anpassen müsste. Aber es besteht eher die Gefahr, dass eine Vereinbarung herauskommt, die sich am niedrigsten Standard orientiert, und der ist häufiger in den USA zu finden. Nun ist es nicht so, dass alle Standards der USA schlecht sind. Die Schadstoffbelastung von Spielzeug zum Beispiel in den USA hat engere Grenzwerte. Aber in den meisten Fällen, zum Beispiel im Verbraucherschutz, der Umwelt und Landwirtschaft und der Bewertung von Energiequellen, würde das eine Herabsenkung der europäischen Standards bedeuten.
Die große Gefahr, die viele, auch Greenpeace, sehen, ist also dass es zu einer Absenkung der europäischen Standards kommt und damit vieles, was wir als Teil einer Umweltbewegung in den letzten Jahrzehnten erreicht haben, aufs Spiel gesetzt wird.
Es heißt, die USA arbeitet eher mit dem Risikoprinzip und die EU nach dem Vorsorgeprinzip.
Es gibt unterschiedliche Ansätze um Chemikalien oder gefährliche Technologien zu bewerten. In Europa dominiert das Vorsorgeprinzip. Das heißt, eine Maßnahme wird unterlassen, wenn negative Auswirkungen zu erwarten sind, oftmals ohne dafür einen eindeutigen wissenschaftlichen Beweis zu haben. Die Amerikaner betrachten zunächst jeden Stoff als sicher und handeln erst, wenn sich das Gegenteil herausstellt.
Diese beiden Herangehensweisen sind schlecht vereinbar. Sehr deutlich sieht man das am Beispiel der Kosmetika. Die Liste der EU besteht aus 1349 Schadstoffen, die für Kosmetika nicht erlaubt sind, die der USA aus 11. Da stellt sich die große Frage, wie geht man mit solchen extremen Differenzen um. Dabei ist zu befürchten, dass das Vorsorgeprinzip, das ein Teil der europäischen Verfassung ist, als Leitprinzip des Umweltschutzes gilt und die EU-Liste mit geprägt hat, Schaden nimmt.
Was hat das für konkrete Folgen für den Verbraucher?
Die Verbraucher/innen werden mit Waren konfrontiert, die nicht nach dem europäischen Standard bewertet worden sind. Das heißt nicht, dass die europäischen Standards immer die besten sind, auch diese sind noch verbesserungsfähig, aber der Verbraucher kann nicht mehr den höchsten Standard erwarten. Für die Umwelt würde das zukünftig auch bedeuten, dass Maßnahmen vollzogen oder Energiequellen genutzt werden, die nicht auf den besten Umweltstandards beruhen. Ein Beispiel ist die Fracking-Technologie in den USA: Es gibt ein starkes wirtschaftliches Interesse, diese auch in Europa zu betreiben. Das Thema wird derzeit auch in Deutschland diskutiert - soll Fracking verboten werden oder nicht?
Wenn es zu dem Abkommen kommt, wie kann sich der Verbraucher noch davor schützen?
Der beste Schutz ist es, es erst gar nicht zu diesem Abkommen kommen zu lassen. Bereits jetzt gibt es viele TTIP-kritische Reaktionen in der Politik, bei Verbänden und Gewerkschaften sowie in der Bevölkerung. Diese gilt es zu stärken und dafür Sorge zu tragen, dass in Europa auch die nationalen Parlamente über das Abkommen abstimmen dürfen. Dieses will die EU-Kommission verhindern, weil sie weiß, dass wenn 28 verschiedene Parlamente über TTIP entscheiden können, ein anderes Ergebnis getroffen werden kann als es der Kommission lieb ist.
Ein weiterer umstrittener Punkt in der TTIP-Debatte ist der sogenannte „Investor-Staat-Streitschlichtermechanismus“. Was bedeutet und welche Auswirkungen hätte er?
Der Investor-Staat-Streitschlichtermechanismus ist ein sehr kritischer Bestandteil der TTIP-Verhandlungen, der erlauben würde, dass Unternehmen Staaten verklagen können. Das ist bereits jetzt vor einem staatlichen Gericht möglich, neu wäre eine sogenannte private Streitschlichtung. Diese Streitfälle würden vor einem Gremium von drei Personen geführt, die entweder aus auf Streitschlichtung spezialisierten Anwaltskanzleien stammen oder an Universitäten zu Investitionsrecht lehren. Diese drei Streitschlichter prüfen in einem nicht öffentlichen Verfahren, für das es keine Revisionsmöglichkeit gibt, ob die Investition des klagenden Unternehmens durch eine staatliche Maßnahme beeinträchtigt wurde und ob das Unternehmen dabei fair und gerecht behandelt oder enteignet wurde. Enteignung heißt in diesem Kontext jedoch auch, dass sich Gewinnerwartungen durch Investitionen nicht erfüllt haben.
Ein konkreter Fall ist das Beispiel des Vattenfall-Kohlekraftwerks Moorburg in Hamburg. Der schwedische Staatskonzern ist 2009 vor ein privates Streitschlichtergremium getreten und hat Schadensersatz in Höhe von 1,4 Mrd. € verlangt, weil aus seiner Sicht die Umweltauflagen für das Kohlekraftwerk dafür gesorgt hätten, dass das Kraftwerk verspätet ans Netz gehen konnte. Das Kraftwerk ist bis heute noch nicht am Netz. Vattenfall hat dann einem Vergleich zugestimmt, durch den die Umweltauflagen für das Kohlekraftwerk abgeschwächt wurden und auf die Zahlung der 1,4 Mrd. € verzichtet.
Private Streitschlichtung gibt es zwischen vielen Ländern bereits, aber nicht zwischen den meisten EU-Mitgliedsstaaten und den USA. TTIP würde dieses System auch für den transatlantischen Investitionsbereich öffnen, was bedeutet, im Falle einer Schadensersatzforderung eines US-Unternehmens muss der Steuerzahler in der EU bezahlen.
Es geht auch darum, dass der Staat entmutigt wird, entsprechende Maßnahmen zu treffen, da dauerhaft das Schwert einer Schadensersatzklage über ihm schwebt.
Vielen Dank für das Gespräch.