Greenpeace-Chef Martin Kaiser zu den Ergebnissen der Kohlekommission
- Im Gespräch
Die Kohlekommission hat sich geeinigt: Bis 2022 gehen viele Kraftwerke vom Netz, Hambi bleibt. 2038 ist spätestens Schluss mit Kohle. Dazu Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser.
Es war ein zähes Ringen: Die Kohleländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen haben auf die Bremse gedrückt, die Wirtschaftsvertreter den Umweltschutzverbänden stures Festhalten an ideologischen Positionen vorgeworfen. Doch nach 21 Stunden hat die Kohlekommission tatsächlich einen Kompromiss errungen, den alle Seiten mittragen können, zumindest größtenteils.
Die aus Umweltschutzgesichtspunkten wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
- Es gibt einen Fahrplan für den Kohleausstieg.
- Bis 2022 sollen 12,5 Gigawatt installierte Kraftwerksleistung abgeschaltet werden – das sind drei Gigawatt Braunkohleleistung mehr als bisher geplant.
- Kohlekraftwerke dürfen nicht neu genehmigt, gebaut oder in Betrieb genommen werden.
- Vor allem im Westen sollen Kraftwerksblöcke abgeschaltet werden, etwa in Neurath und Niederaußem. Die Umweltverbände hatten einen genauen Plan gefordert, wann welches Kraftwerk abgeschaltet wird, doch das steht leider nicht im Konzept.
- Der Hambacher Wald ist gerettet.
- Für die Jahre 2023 bis 2030 konnten keine Zwischenziele ausgehandelt werden. Allerdings werden zwischen 2022 und 2030 Braunkohlekapazitäten in Höhe von sechs Gigawatt vom Netz genommen – und zwar „linear und stetig“, wie es im Papier heißt es. Was eigentlich die Abschaltung weiterer alter Braunkohlekraftwerke auch in der Lausitz ab 2025 zwingend erforderlich macht.
- Nimmt die Bundesregierung diese Vorgabe ernst, können Dörfer wie wie Proschim in der Lausitz, Pödelwitz im Mitteldeutschen Revier oder Keyenberg im Rheinland vor der Abbaggerung bewahrt werden.
- Dickes Manko: Das letzte Kohlekraftwerk soll erst 2038 vom Netz gehen. Zwar soll 2032 überprüft werden, ob das Ausstiegsdatum vielleicht auf 2035 vorgezogen werden kann – aber das ist beides zu spät, damit Deutschland seinen Beitrag zum Pariser Klimaschutzabkommen leisten kann.
Wie sind diese Ergebnisse zu bewerten? Ein Interview mit Martin Kaiser, Greenpeace-Geschäftsführer und Mitglied der Kohlekommission.
Greenpeace: Die Kohlekommission hat sich tatsächlich auf einen Fahrplan für den Kohleausstieg verständigt. Bevor wir in die Details gehen: Wie ist das generell zu bewerten?
Martin Kaiser: Das ist eine historische Zäsur, und ich bin stolz, wie weit es die Umweltbewegung und der Druck Zehntausender Demonstranten geschafft haben: Die Kommission hat endlich einen Fahrplan ausgehandelt, wie Deutschland kohlefrei werden soll. Der Einstieg in den Ausstieg ist gemacht. Neue Kohlekraftwerke wird es nicht mehr geben.
Nach Jahren im klimapolitischen Wachkoma bewegt sich Deutschland wieder. Das Land wird nach der Atomkraft auch aus der klimaschädlichen Kohleverstromung ausstiegen. Auch wenn uns manches nicht schnell genug geht – ich glaube, keiner von uns Umweltschützern hätte sich vor zehn Jahren wirklich vorstellen können, dass wir heute so weit gekommen sind.
In weniger als 20 Jahren steigt Deutschland aus der Kohle aus. Spätestens 2038, wahrscheinlicher bereits 2035 wird das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen. Der Hambacher Wald kann gerettet werden. Das sind gute Ergebnisse.
Dennoch ist es ein Kompromiss. Was daran ist gut, was ist schlecht?
Ganz einfach: Der Anfang ist gut, das Ende nicht. Bis 2022 sollen im Westen fünf Braunkohlekraftwerksblöcke vom Netz genommen werden, vor allem im Rheinischen Revier. Damit können der Hambacher Wald und die betroffenen Dörfer gerettet werden. Da ist die Kohlekommission sehr weit auf die Forderungen der Umweltschützer eingegangen; mit diesem Teilergebnis sind wir sehr zufrieden.
Das ist ein ganz wichtiges Signal an unser Land, aber auch an die anderen Staaten. Deutschland macht jetzt und nicht erst in zehn Jahren Ernst beim Klimaschutz.
Und nun zum großen Aber: Was ist schlecht?
Der Abschlussbericht der Kohlekommission hat einen gravierenden Fehler: Das Tempo stimmt nicht. Erst im Jahr 2038 das letzte Kohlekraftwerk abzuschalten, ist für den Klimaschutz zu spät. So kann Deutschland seinen Beitrag zum Pariser Klimaschutzabkommen, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen, nicht erreichen.
Warum trägt Greenpeace trotzdem das Ergebnis der Kommission mit?
Tun wir ja nicht. Wir tragen zwar das Gesamtergebnis mit, weil wir es für einen ganz entscheidenden ersten Schritt zum Kohleausstieg halten. Aber beim Punkt Enddatum hat Greenpeace ein Sondervotum eingelegt. Erst im Jahr 2038 aus der Kohle auszusteigen, ist für uns inakzeptabel.
Greenpeace fordert, dass Deutschland bis 2030 aus der Kohle ausgestiegen sein muss. Macht es für das Klima wirklich so einen großen Unterschied, ob nun 2030, vielleicht 2035 und eben erst 2038 das letzte Kraftwerk vom Netz geht?
Ja, das macht es leider – mit dem Klima kann man eben nicht verhandeln. Wenn eine gewisse Konzentration an Kohlendioxid in der Erdatmosphäre überschritten ist, setzen sich Prozesse in Gang, die den Klimawandel unabänderlich und die Folgen für uns Menschen katastrophal werden lassen. Das ist keine ideologische Position von Umweltschützern, das ist eine naturwissenschaftliche Tatsache. Darum ist es so wichtig, die Erderhitzung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen.
Es konnten ja leider keine konkreteren Abschaltpläne oder Reduktionsziele für die Jahre zwischen 2023 und 2030 ausgehandelt werden. Warum nicht?
Die betroffenen Ost-Bundesländer haben bei diesem Punkt extrem auf die Bremse gedrückt. Wir haben wirklich über viele Stunden hart verhandelt, konnten da aber keine konkreteren Ergebnisse erzielen. Aber: Dadurch, dass der Bericht der Kommission von einem „stetigen Kohleausstieg“ spricht, ist eigentlich klar, dass auch Ostdeutschland ab 2025 Kraftwerksblöcke abschalten muss. Was heißen würde, dass auch dort Dörfer wie Proschim und Pödelwitz von der Abbaggerung bewahrt werden können. Allerdings hat sich die Kommission dazu nicht konkret einigen können und die weitere Ausgestaltung der Bundesregierung überlassen. Die muss sich nun mit RWE und LEAG einigen, wie die Reduktionen im Detail umgesetzt werden können.
Die betroffenen Regionen, die Kraftwerksbetreiber, private Stromkunden und auch die stromintensive Industrie erhalten sehr viel Geld. Sind diese Gelder gerechtfertigt?
Ja. Wir haben in allen Fällen heraushandeln können, dass die Gelder direkt an den Klimaschutz gekoppelt sind. Entschädigungen für Kraftwerksbetreiber sind zum Beispiel nur bei kurzfristigen Abschaltungen zu zahlen und entsprechen dem rechtlichen Rahmen. Und dass die betroffenen Regionen Gelder dafür bekommen, sich zukunftsfähig aufzustellen, begrüßen wir sehr. Das ist allemal eine sinnvollere Verwendung von Steuermilliarden, als wenn das Geld als Strafzahlungen an die internationale Gemeinschaft geht, weil Deutschland sein Klimaziel 2030 verfehlte.
Was bedeutet der Kommissionsbeschluss für das fast fertige, neue Kraftwerk Datteln im Ruhrgebiet?
Es darf nicht mehr in Betrieb genommen werden – worüber ich persönlich sehr froh bin.
Wie geht es jetzt weiter?
Der Kommissionsbericht geht an die Bunderegierung. Die muss nun zum einen die Details mit der Industrie aushandeln: Wann geht welches Kraftwerk wirklich vom Netz? Und zum anderen muss sie die Vorschläge der Kommission gesetzlich festschreiben – am besten in einem Kohleausstiegsgesetz.
Einige Klimaschützer, beispielsweise von Ende Gelände, haben angekündigt, mit ihren Protesten weiter zu machen. Wie steht Greenpeace dazu?
Wir begrüßen das. Denn für mehr Tempo beim Kohleausstieg muss es weiterhin Druck von der Zivilgesellschaft geben. Die Details des Kohleausstiegs müssen weiter verhandelt werden, vor allem für die Zeit nach 2022. Für 2023, 2026 und 2029 sind Überprüfungen anberaumt: Man muss gucken, ob Klimaziele, Strukturwandel und Versorgungssicherheit jeweils eingehalten werden. Je mehr Menschen weiterhin für Klimaschutz demonstrieren, umso mehr wird da in Punkto Klimaziele nachgebessert werden.
Da ist ja noch einiges offen – eigentlich hat mit dem Vorliegen des Abschlussberichts heute Morgen um 5.15 Uhr die Arbeit wieder neu begonnen! Auch Greenpeace wird sich mit allen Mitteln dafür einsetzten, dass die von Braunkohle bedrohten Dörfer erhalten bleiben und das letzte Kohlekraftwerk noch deutlich vor 2038 vom Netz geht.
Abschlussbericht Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“
Anzahl Seiten: 336
Dateigröße: 4.64 MB
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