Interview: Wie geht es nach Lützerath weiter?
- Ein Artikel von Sabine Beck / Ortrun Sadik
- mitwirkende Expert:innen Martin Kaiser
- Im Gespräch
Das Dorf Lützerath ist nun dem Erdboden gleichgemacht. Wie geht es jetzt weiter mit dem Klimaschutz, der Klimapolitik und der Klimabewegung? Fragen an Greenpeace-Chef Martin Kaiser.
35.000 Menschen haben letztes Wochenende in Lützerath gezeigt, dass sie in Deutschland eine Energieversorgung wollen, die im Einklang mit den Klimazielen von Paris steht. Jetzt geht es um die politische Aufarbeitung: Was bedeutet das Ende von Lützerath für den weiteren Klimaschutz und die Klimapolitik? Und was für die Klimabewegung? Ein Interview mit Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace.
Greenpeace: Lieber Martin - wie bewertest du die Vorgänge in Lützerath?
Martin Kaiser: Das Dorf Lützerath mitten in der Klimakrise zu räumen, ist ein klares klimapolitisches Versagen der Regierung Scholz. Statt den Konzern RWE konsequent in eine zukunftsfähige Richtung zu lenken und die Kohle unter dem Dorf im Boden zu lassen, hat der Staat eine alte, das Klima weiter zerstörende Energieform gegen die junge Generation verteidigt, deren Zukunft laut Bundesverfassungsgericht eigentlich prioritär geschützt werden sollte.
Klimaminister Robert Habeck sagt ja, Lützerath sei nur ein Symbol der Klimabewegung, und zwar ein Falsches. Was meinst du dazu?
Da liegt der Klimaminister falsch: Lützerath ist kein Symbol, sondern ein realer Ort, an dem sich der Erfolg der Klimapolitik entscheidet. Wenn die 280 Millionen Tonnen Braunkohle unter dem Dorf für die Stromproduktion verbrannt werden, belastet das über alle Maßen das Klimaschutzbudget Deutschlands und schädigt damit die Zukunftschancen der nächsten Generationen. Die Frage ist doch: halten wir das Pariser Klimaschutzabkommen ein oder rennen wir von der Klimakrise mitten in eine Klimakatastrophe? Die Kohle unter Lützerath darf nicht noch zusätzlich verbrannt werden.
In den Medien wurde viel von Gewalt gesprochen. Du warst ja in den letzten Tagen selber mit vor Ort. Wie hast du die Gewalt vor Ort erlebt?
Ich bin schockiert über die Gewalt von einigen Polizist:innen, die wir in Lützerath beobachtet und erlebt haben und verurteile diese aufs Schärfste. Da wurde Menschen, die friedlich in Sitzblockaden saßen, auf den Kopf geschlagen und Menschen zu Boden gedrückt, die gar keinen physischen Widerstand geleistet haben. Die Solidarität von Greenpeace gilt den mutigen Klimaschützer:innen, die friedlich für Klimagerechtigkeit und gegen die Klimaverbrechen von RWE demonstrieren.
Mittlerweile ist Lützerath geräumt und abgerissen: Wie soll es jetzt weitergehen?
Um die friedlich Demonstrierenden nicht in die Politikverdrossenheit zu führen, müssen Bundeskanzler Olaf Scholz und Klimaschutzminister Robert Habeck im Jahr 2023 Klimaschutz endlich zur höchsten politischen Priorität erklären. Sie müssen aufhören, wöchentlich Entscheidungen gegen das Pariser Klimaschutzabkommen zu treffen. Beispiele sind die fossilen LNG Terminal, fossiler blauer Wasserstoff aus Norwegen und der Kohleausstieg in NRW bis 2030: Habeck und das NRW-Wirtschaftsministerium argumentieren damit, dass das Vorziehen des Kohleausstiegs im Rheinischen Revier, in dem auch Lützerath liegt, mindestens 280 Millionen Tonnen CO₂ einsparen soll. Aber der reale Effekt ist wahrscheinlich das genaue Gegenteil. Der Deal erlaubt dem Konzern RWE, jetzt durch die Verlängerung der Laufzeit einiger Kraftwerke sogar mehr Braunkohle zu verbrennen. Braunkohle, die in Zukunft wahrscheinlich gar nicht verfeuert worden wäre. Mit so etwas muss endlich Schluss sein. Wir müssen jetzt Treibhausgase einsparen und auf Pariskurs kommen. Sofort.
Wie sollte Klimaschutz nach Lützerath konkret aussehen?
Konkret müssen erneuerbare Energien jetzt ganz schnell ausgebaut und Kohlestrom ersetzt werden. Allen voran die Windkraft in Bayern. Wir brauchen ein 100 Milliarden Euro Klima-Investitionspaket für diese Priorität. Damit können Sonnen- und Windkraft sowie Erdwärme sowohl im Privat- wie auch im Industriebereich bereitgestellt werden. Auch für das Problemkind Verkehrssektor liegen die nötigen Maßnahmen längst auf dem Tisch: wir brauchen Tempolimit, Quoten für E-Autos und eine Neuzulassungssteuer. Eine weitere Maßnahme wäre, die Mehrwertsteuer für Obst und Gemüse zu streichen, um einen Anreiz für eine klimafreundlichere Ernährung zu geben. Oder endlich einen Einschlaggstopp für alte Laubwälder durchzusetzen, um deren CO2 Speicherfunktion zu nutzen. Olaf Scholz muss zudem sein falsches Engagement für neue fossile Gasbohrungen weltweit beenden.
Trotz massiver Proteste und Demonstrationen mit mehreren Zehntausend Menschen ist Lützerath nun dem Erdboden gleichgemacht. War alles umsonst?
Auf gar keinen Fall! Die Proteste haben die Regierung aus dem klimapolitischen Schlafmodus geweckt. Dass so viele Menschen so lange und so viel protestiert und friedlich demonstriert haben, hat nicht nur national, sondern auch international enorm viel Aufmerksamkeit auf die verfehlte Klimapolitik Deutschlands gelenkt und die Dringlichkeit verdeutlicht: Wir brauchen entschiedenes politisches Handeln, um weltweit auf dem 1,5 Grad Pfad zu bleiben. Eines ist klar: Das ist ein großer Erfolg für die Klimabewegung und für die Klimagerechtigkeit. Darauf muss jetzt die Ampel reagieren.
Vor allem die Grünen haben ja an Glaubwürdigkeit verloren - was können sie jetzt tun?
Wenn die Grünen ihr mit Lützerath ramponiertes Image als Klimaschutzpartei kitten wollen, müssen sie wissenschaftsbasierten Klimaschutz gegenüber den Koalitionspartnern nun endlich durchsetzen. Ein “weiter so” darf es auf keinen Fall geben.