Verkehrsminister mitverantwortlich für vorzeitige Todesfälle
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Die Regierung trägt eine Mitschuld an verfrühten Todesfällen durch zu viel Stickoxid aus Diesel-PKW. Greenpeace-Aktivisten lassen den Bundesverkehrsminister das nicht vergessen.
Handeln hat Konsequenzen. Nicht-Handeln aber genauso: Seit Beginn des Abgasskandals starben in Deutschland 19.807 Menschen vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung durch Stickstoffdioxid. Von dem Zeitpunkt an, da bekannt wurde, dass VW illegale Abschalteinrichtungen benutzt, um Abgasuntersuchungen zu täuschen, hätte die Bundesregierung schnell und entschieden im Sinn des Verbrauchers handeln müssen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) war allerdings bislang zu wenig mehr als öffentlicher Empörung bereit und lässt die Autoindustrie bis heute weitestgehend gewähren. Damit trägt auch er Verantwortung für die Opfer der schlechten Luft in deutschen Städten.
Greenpeace-Aktivisten lassen ihn das nicht vergessen. Am frühen Morgen projizierten sie die Zahl der vorzeitigen Todesfälle seit jenem 18. September 2015 an die Fassade des Bundesverkehrsministeriums – die Größenordnung einer Kleinstadt. Die Zahl basiert auf Angaben der Europäischen Umweltagentur: Sie geht von rund 10.610 Fällen im Jahr aus, in denen hohe Stickoxidwerte zu einem verfrühten Tod führen. „Die fortgesetzte Untätigkeit des Verkehrsministers grenzt an unterlassene Hilfeleistung“, sagt Niklas Schinerl, Greenpeace-Experte für Verkehr und Energie. „Die Industrie muss die Autos wirklich sauber bekommen. Sonst führt kein Weg an Fahrverboten vorbei.“
Schwache Erwartungen an den Dieselgipfel
Beim sogenannten „Dieselgipfel” spricht Dobrindt am Mittwoch mit Vertretern der Automobilbranche und Ministerpräsidenten über Lösungen für das Dieselproblem. Einige Vorschläge sind bereits bekannt. So bieten Hersteller Software-Updates für Dieselmotoren an, um deren Stickoxidausstoß zu reduzieren. Makulatur, weiß Schinerl: „Software-Kosmetik alleine kann die Gesundheit der Menschen nicht schützen.“
Vergangenen Freitag hat das Stuttgarter Verwaltungsgericht entschieden, dass verglichen mit Fahrverboten „alle anderen Maßnahmen von ihrem Wirkungsgrad her nicht gleichwertig“ sind. Dies gelte auch für die sogenannte Nachrüstlösung. Interne VW-Unterlagen aus dem vergangenen Jahr, über die das ZDF berichtet hatte, zeigen, dass Autos nach einem Update auf der Straße noch immer das Drei- bis Fünffache des erlaubten Werts ausstoßen.
Das wäre kein Fortschritt und fände in der Bevölkerung auch wenig Akzeptanz: Laut einer heute veröffentlichten Emnid-Umfrage im Auftrag von Greenpeace erwarten 86 Prozent der Befragten, dass nachgerüstete Autos die Grenzwerte auf der Straße einhalten. Das können die Hersteller offensichtlich nicht leisten.
Wenig Vertrauen in die Bundesregierung
Zwei Drittel der Befragten glauben, dass die Bundesregierung zu wenig tut, um die Autobranche zukunftsfähig zu machen. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass andere Regierungen weiterdenken: China, der weltgrößte Automarkt, führt ab dem kommenden Jahr eine schrittweise steigende Quote für E-Autos ein. Länder wie Großbritannien, Frankreich und Norwegen wollen Autos mit Verbrennungsmotor mittelfristig gleich ganz verbieten. Und Deutschland? „Die deutschen Hersteller laufen Gefahr, den Anschluss an die moderne Verkehrswelt zu verlieren“, sagt Schinerl.
Der Verbrennungsmotor ist ein Auslaufmodell – je eher die deutschen Automobilhersteller das einsehen, umso wettbewerbsfähiger bleiben sie. Die Bundesregierung kann mit Druck das Innovationspotenzial der Branche wecken: Indem sie endlich ein Enddatum für den Verbrennungsmotor festlegt.