Warum ein Tempolimit sinnvoll ist
- Hintergrund
Ein Tempolimit ist eine schnelle und kostenfreie Methode, den Verbrauch und die CO2-Emissionen von Autos zu senken - und es gibt weitere Vorteile.
Die deutschen Verkehrsminister:innen der vergangenen Jahre kamen aus verschiedenen Parteien. Doch egal ob Schwarz-Gelb, Rot-Grün, Schwarz-Rot oder die Ampel regierte, in einem Punkt waren sich alle einig: Ein Tempolimit war für sie tabu. Günther Krause (CDU, 1991-1993) schasste gar seinen zuständigen Abteilungsleiter, nachdem der sich für Tempo 130 auf Autobahnen ausgesprochen hatte.
Die Politik scheut das Tempolimit wie der Teufel das Weihwasser, sagt Bernhard Schlag, Verkehrspsychologe an der TU Dresden. Steckt die Angst dahinter, von den autoversessenen Deutschen an der Wahlurne abgestraft zu werden? Schlag verneint. Es ist ein Mythos, dass die Bevölkerung ein Tempolimit ablehnt. Die Politik habe leider so lange mit der Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung gewartet, dass ein solcher Schritt nun umso schwerer umzusetzen sei. Umfragen zeigen inzwischen eine hohe Akzeptanz - selbst die Mehrheit der ADAC-Mitglieder spricht sich für ein generelles Tempolimit aus. Greenpeace-Aktive forderten bereits 2007 eine allgemeine Höchstgeschwindigkeit. Damals stellten sie an deutschen Autobahnen Verkehrsschilder mit „120 km/h Höchstgeschwindigkeit – Klimaschutz“ auf. Mit Rückendeckung der Klimawissenschaft: Das Tempolimit sei aus wissenschaftlicher Sicht eine fantastische Maßnahme, sagt Patrick Plötz vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung. Es adressiere sofort den gesamten fossilen Pkw-Bestand und koste überhaupt kein Geld. Plötz: "Man hat gleichzeitig weniger Unfälle, besseren Verkehrsfluss, weniger Schadstoffbelastung - alles kostenlos und sofort umsetzbar. Das ist also ein Traum von einer Maßnahme."
Deutschland gehört zu den wenigen Ländern auf der Welt, in der jeder rasen darf, was der Turbo hergibt. Neben Deutschland sind nach wie vor weltweit ohne generelles Tempolimit: Die britische Insel Isle of Man, die indischen Bundesstaaten Vanuatu, Pradesh und Uttar sowie Nepal, Myanmar, Burundi, Bhutan, Afghanistan, Nordkorea, Haiti, Mauretanien, Somalia und der Libanon. Dies wird bei deutschen Unternehmen sogar als förderlich für das Image von Autos "made in germany" angesehen. Tatsächlich würde ein Tempolimit den Trend zu immer schnelleren und leistungsstärkeren Autos abbremsen - gleichzeitig könnten jedoch zukunftsweisende Technologien beschleunigt werden. Denn bei Elektroautos steigt der Energieverbrauch bei hohen Geschwindigkeiten deutlich an, damit sinkt die Reichweite. Dennoch gibt es weiterhin kein Tempolimt in Deutschland, Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) behauptete zu Amtsantritt gar, es wäre wegen Schildermangels nicht umsetzbar. Auf etwa 40 Prozent der Autobahnen existieren allerdings Einschränkungen der Geschwindigkeit, zeitweise oder ganz.
Anfang April 2024 hat sich Wissing erneut gegen ein Tempolimit auf Autobahnen ausgesprochen und behauptet, Wenn flächendeckend auf Autobahnen ein Tempolimit von 120, auf Landstraßen von 80 und innerorts von 30 gelte, habe das in Deutschland keine Akzeptanz: "Das wollen die Leute nicht". Greenpeace-Verkehrsexpertin Marissa Reiserer stellt fest, dass er damit erneut an den Fakten vorbei argumentiert: „Selbst bei ideologisch unverdächtigen ADAC-Umfragen spricht sich eine Mehrheit der Bevölkerung für ein Tempolimit aus. Es ist also schlichtweg falsch, wenn Verkehrsminister Wissing behauptet, die Menschen würden das nicht wollen. Volker Wissing lehnt alles ab, was den Rückstand des Autoverkehrs beim Klimaschutz verkürzen kann, aber selbst legt er keinerlei wirksame Maßnahmen vor, um die Treibhausgase zu reduzieren. Damit riskiert er, dass die seit Jahren katastrophale Klimabilanz des Verkehrs auf Dauer die des ganzen Landes ruiniert.“ Im vergangenen August hatte der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung erneut bescheinigt, dass sie nicht auf Kurs ist, um das Klimaziel für das Jahr 2030 zu erreichen. Bis dahin müsste Deutschland 65 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen als 1990. Probleme bereiten insbesondere der Verkehr und Gebäudesektor.
"Die von uns gegen ein Tempolimit vorgetragenen Argumente", hatte schon 1991 der von Günther Krause entlassene Ministerialdirektor notiert, "halten einer ernsthaften Überprüfung nicht stand". Lang ist hingegen die Liste der guten Gründe für ein Tempolimit. Hier finden sich einige:
Ein Tempolimit verbessert die Verkehrssicherheit
Ein Tempolimit kann Menschenleben retten. So hat beispielsweise Frankreichs drittgrößte Stadt Lyon nach Einführung von Tempo 30 auf den meisten städtischen Straßen eine positive Bilanz gezogen: zwei Jahre Tempolimit hat für ein in Drittel weniger Unfälle und fast 40 Prozent weniger Verkehrstote und Schwerverletzte gesorgt. Seit dem 30. März 2022 gilt auf über 80 Prozent der Straßen in Lyon Tempo 30, ähnlich wie auch in Paris, Grenoble, Lille und anderen europäischen Großstädten wie Amsterdam. Das erklärte Ziel bei der Einführung des Tempolimits in der französischen Metropole war, die Verkehrssicherheit zu erhöhen, den Verkehrsfluss zu beruhigen und zu einer besseren Aufteilung des öffentlichen Raums zu gelangen. Außerdem sollte Fußgänger:innen und Radfahrenden das Vorankommen erleichtert werden. Für Anlieger sollte auch die Lärmbelästigung reduziert werden.
Landstraßen sind die gefährlichsten Straßen Deutschlands: Etwa 58 Prozent aller Unfalltoten in Deutschland verloren dort im Jahr 2020 ihr Leben, 1592 Menschen. Auf Autobahnen starben 317 Menschen. Insgesamt jeder zehnte Unfall mit Personenschaden basierte auf einer nicht angepassten Geschwindigkeit. Eine von Umweltverbänden gefordertes Tempolimit von 80 km/h für Landstraßen würde eine bessere Anpassung an die oft kurvenreiche und unebene Straßenlandschaft bieten und das Risiko von Unfällen reduzieren – insbesondere bei Überholmanövern. Eine moderatere Geschwindigkeit ermöglicht zudem eine bessere Sicht und Reaktionsfähigkeit, was die Verkehrssicherheit insgesamt erhöht.
Die hohen Geschwindigkeitsdifferenzen auf deutschen Autobahnen führen regelmäßig zu Aggressionsdelikten wie dichtem Auffahren, Rasen und Drängeln. Das kann tödlich enden: Im Jahr 2018 sind bei Unfällen auf den deutschen Autobahnen 424 Menschen ums Leben gekommen. Laut Statistischem Bundesamt (Destatis), war nicht angepasste Geschwindigkeit für 196 beziehungsweise 46 Prozent der Autobahn-Verkehrstoten mitverantwortlich. Insgesamt starben 71 Prozent der Todesopfer auf Autobahnen auf Strecken ohne Tempolimit. Einen kleinen Überblick über Verkehrssicherheit und Tempolimit gibt es hier.
Ein Tempolimit ist Klimaschutz
Ein Tempolimit ist die einzige kostenlose Methode, die Emissionen des Verkehrssektors schnell zu senken. Das UBA berechnete 2020, dass ein Tempolimit von 130 auf Autobahnen 1,9 Millionen Tonnen CO2 einsparen würde. Bei 120 km/h wären es sogar 2,6 Mio. Tonnen, bei 100 km/h 5,4 Mio. Tonnen jährlich. Jeder Stundenkilometer mehr wirkt sich überproportional auf den Verbrauch aus, denn Luft- und Rollwiderstand steigen schneller als die Geschwindigkeit. Ein VW Golf etwa, der bei 100 Kilometern pro Stunde 6,5 Liter verbrennt, schluckt bei Tempo 220 mehr als 20 Liter. Im Porsche Cayenne Turbo (Normverbrauch: 11,5 Liter auf 100 Kilometer) gurgeln bei Vollgas und 270 Stundenkilometern irre 66,7 Liter pro 100 Kilometer aus dem Tank. Niedrigere Höchstgeschwindigkeiten in Städten und auf Landstraßen würden den Effekt weiter vergrößern.
Ein Tempolimit ist wirtschaftlich sinnvoll
Ein Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde in Deutschland würde nach einer Studie neben dem Klimaschutzeffekt auch einen erheblichen wirtschaftlichen Nutzen haben. Eine internationale Forschendengruppe ermittelte 2023 sogenannte Wohlfahrtsgewinne von mindestens 950 Millionen Euro pro Jahr: Besonders der eingesparte Treibstoff, weniger Unfälle, geringere Lieferkettenkosten und Einsparungen bei der Infrastruktur seien dafür neben dem Klimaschutzeffekt relevant. Die Expert:innen bewerten ein Tempolimit daher als Win-win-Situation: gut fürs Klima und mit erheblichem Gewinn für die Gesellschaft.
Ein anderer finanzieller Aspekt: Verglichen mit den meisten anderen Klimaschutzmaßnahmen im Verkehr, kostet ein Tempolimit einzuführen sehr wenig. Und eine Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen kann Deutschland viele Milliarden sparen. Denn auch die EU gibt etwa für den Verkehr Obergrenzen für den CO2-Ausstoß vor. Nach jetzigem Stand werden diese Grenzen im deutschen Verkehr deutlich gerissen. Die Bundesregierung müsste dann bei anderen Ländern CO2-Zertifikate zukaufen. Das läppert sich schnell zu hohen Milliardenbeträgen, wie eine Berechnung gerade erneut zeigte. Auch Greenpeace hat hierzu bereits Berechnungen durchgeführt.
Die durch ein Tempolimit gesparten Emissionen würde die drohenden Kosten deutlich schmälern. Insofern ist es wirtschaftlich schlicht unsinnig, diese kostengünstige Maßnahme gerade in Zeiten knapper Kassen nicht endlich umzusetzen.
Ein Tempolimit verringert Lärm und verbessert die Luft
Ein Tempolimit würde Luftschadstoffe und Lärm vermindern. Müssten Autos nicht mehr für die jetzigen Höchstgeschwindigkeiten konzipiert werden, könnten sie leiser, kleiner und leichter sein und allein deswegen weniger verbrauchen.
Eine niedrigere Geschwindigkeit bedeutet in der Regel auch weniger Lärm, da der Lärmpegel von Fahrzeugen mit zunehmender Geschwindigkeit steigt. Laut einer Studie des Umweltbundesamtes (UBA) in Deutschland kann eine Senkung der Geschwindigkeit um 10 km/h zu einer Lärmminderung um bis zu 3 dB(A) führen. Dies entspricht etwa einer Halbierung des Lärms. Ein Tempolimit kann die Luftqualität verbessern – niedrigere Geschwindigkeiten reduzieren den Verbrauch von Diesel oder Benzin und damit auch die Emissionen von Schadstoffen. Durch die Kombination von Lärmreduktion und Verbesserung der Luftqualität kann ein Tempolimit dazu beitragen, die Lebensqualität entlang von Straßen und Autobahnen zu erhöhen und die Gesundheit der Anwohner:innen zu schützen.
Mit Tempolimit sind Autos kaum langsamer
Ein Test der Auto Bild ergab erstaunlich geringe Unterschiede in der Fahrlänge. Das Blatt schickte zwei Mercedes-Kombis parallel auf eine Fahrt von Flensburg nach Füssen im Allgäu: der eine ein Spar-Diesel mit 135 Pferdestärken, der andere ein Achtzylinder-Turbo mit 525 PS. Der eine schnurrte gleichmäßig mit 125, der andere heizte mit bis zu 250 Sachen übers Land. Am Ende hatte das Raserauto mehr als doppelt so viel Treibstoff verbraucht – und war nur 13 Minuten früher da. Und wer Zweifel an einer Freizeitfahrt mit der Bild-Zeitung hat: Rein rechnerisch führt ein Tempolimit natürlich längeren Fahrzeiten. Wer nur 130 km/h fährt, braucht länger als jemand, der mit 160 km/h unterwegs ist. Jedoch ist der Zeitverlust gering. Auf einer Strecke von 50 Kilometern ist ein Auto mit 130 km/h gerade einmal vier Minuten langsamer als eines mit 160 km/h. Aufs gesamte Jahr gerechnet beträgt die Zeitersparnis ohne Tempolimit laut Umweltbundesamt nur ein Prozent. In der Praxis erwarten Verkehrsforscher außerdem auch positive Zeiteffekte. Weniger Unfälle, weniger Staus, Streckensperrungen und Umfahrungen könnten die Fahrtzeit gegenüber heute sogar verkürzen.