EU-Regeln versagen beim Klimaschutz im Verkehr
- mitwirkende Expert:innen Benjamin Stephan
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Neue CO2-Grenzwerte sollen die Autoindustrie zu mehr Klimaschutz zwingen. Im Interview bewertet Benjamin Stephan von Greenpeace die gestern veröffentlichten EU-Pläne.
Für die Autoindustrie war der 8. November der wohl wichtigste Tag des Jahres. Gestern hat die EU-Kommission neue CO2-Flottengrenzwerte für Neuwagen vorgelegt – während 200 Kilometer weiter westlich in Bonn die UN-Klimakonferenz über Wege diskutiert, den CO2-Ausstoß zu senken. Der Druck ist groß: Anfang der Woche stufte die UN das Jahr 2017 als eines der drei wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen ein. Laut den Meteorologen der Vereinten Nationen war die CO2-Konzentration in der Atmosphäre in den vergangenen drei Millionen Jahren nicht so hoch wie 2016. Während Europa seinen CO2-Ausstoß seit 1990 insgesamt ein wenig gesenkt hat, steigen sie in einem Bereich beharrlich weiter: Verkehr stößt in der EU heute um etwa ein Fünftel mehr CO2 aus als im Jahr 1990.
Nun sollen strengere Flottengrenzwerte helfen. Derzeit dürfen alle Neuwagen eines Herstellers in der EU durchschnittlich 120 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Wenn also ein brandneuer SUV gemäß Herstellerangaben 300 Gramm verursacht, müssen sparsamere Modelle den Schnitt senken. Ab 2020 fällt der Wert auf 95g/km, bis 2030 soll er dann laut Kommissionsvorschlag um weitere 30 Prozent zurückgehen. Werden die neuen Flottengrenzwerte richten, was bis jetzt nicht gelungen ist? Im Interview beurteilt Benjamin Stephan, Greenpeace-Experte für Mobilität, das zentrale EU-Instrument für Klimaschutz im Verkehr.
Greenpeace: Was bedeuten die in Brüssel beschlossenen CO2-Flottengrenzwerte?
Benjamin Stephan: Mit diesen laschen Vorgaben braucht sich die Autoindustrie auch künftig nicht um den Schutz des Klimas zu scheren. Ein „Tiefpunkt der europäischen Klimapolitik“ wie Spiegel Online treffend titelte.
Die bisherigen CO2-Flottengrenzwerte haben schon nicht funktioniert, wie eine von Greenpeace beim Beratungsinstitut Ecologic in Auftrag gegebene Studie belegt: unter anderem, weil der Spritverbrauch und somit die CO2-Emissionen auf der Straße im Schnitt 42 Prozent höher sind als auf dem Papier. Mit dem gestrigen Vorschlag macht die EU-Kommission allerdings die Flottengrenzwerte vom zahnlosen Tiger endgültig zum Bettvorleger.
Wo liegen denn die Probleme?
Der Vorschlag der EU-Kommission bleibt bei der Förderung der Elektromobilität meilenweit hinter den Erwartungen zurück. Er verzichtet auf eine klare Quote für die Autohersteller mit schmerzhaften Sanktionen bei Nichterfüllung - wie sie China bereits ab 2019 haben wird. Die Kommission strebt für 2030 lediglich einen Elektroauto-Anteil von 20 Prozent an, obwohl Hersteller wie VW und Mercedes für 2025 einen Anteil von 25 Prozent angekündigt haben. Um das Klimaschutzziel von maximal 1,5 Grad Erderwärmung zu erreichen, dürften aber ab 2025 keine PKW mit Verbrennungsmotor neu zugelassen werden.
Deutschland wird sein selbst gestecktes Klimaziel verfehlen. Statt bis zum Jahr 2020 die Treibhausgase um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren, werden es wohl bestenfalls nur 32,5 Prozent werden. Der Verkehr ist eine wichtige Stellschraube für mehr Klimaschutz. Wie hat sich Deutschland in der EU-Debatte verhalten?
Es waren wieder die deutschen Autokonzerne, die in Brüssel ernsthaften Klimaschutz untergraben haben. Wie die Süddeutsche berichtete, hat sich VW als besonders aggressiv hervorgetan. Auch die noch amtierende Bundesregierung intervenierte abermals auf Geheiß der Autolobby – wie beispielsweise in dem Brief von Außenminister Sigmar Gabriel an die EU-Kommission nachzulesen ist.
Eine neue Bundesregierung mit grüner Beteiligung darf dem Kommissionsvorschlag auf keinen Fall zustimmen.
Welche Maßnahmen wären notwendig, um beim Verkehr von den hohen Treibhausgasemissionen runterzukommen?
Wir brauchen ein klares Ausstiegsdatum für den Verbrennungsmotor auch in wirtschaftlicher Hinsicht, sonst wird die boomende Elektroauto-Industrie Chinas den europäischen Markt überrollen.
Eine alleinige Umstellung auf E-Autos wird aber nicht reichen – aus Ressourcengründen aber auch wegen des Platzes. Autobahnen und Städte gehen jetzt schon im Verkehrschaos unter. Eine zukunftsfähige Mobilität muss zusätzlich auf komfortablen öffentlichen Nah- und Radverkehr setzen, um deren Anteil am Verkehrsaufkommen zu verdoppeln. Wie das in Deutschland funktionieren kann, hat Greenpeace im Mobilitätsszenario vorgestellt.