Greenpeace-Kletterer demonstrieren auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof für sauberen Verkehr
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In Stuttgart treffen sich heute die Spitzen von Landesregierung und Automobilbranche; Greenpeace-Kletterer geben den wichtigsten Tagesordnungspunkt vor: sauber werden!
Stuttgart hat ein Luftproblem: Nicht nur, weil das Neckartor nachweislich die schmutzigste Straße Deutschlands ist. Neben Autos baut Baden-Württemberg nämlich auch Luftschlösser. Heute findet hier der zweite Strategiedialog zwischen Automobilwirtschaft und Landesregierung statt; sperrig, aber selbstbewusst überschrieben mit: „Der Weg zur Mobilität der Zukunft führt durch Baden-Württemberg.“ Umweltschützer meinen: Eine Rennstrecke ist dieser Weg nicht – und die Route gen Zukunft womöglich eine ganz andere.
Darum sind Greenpeace-Aktivisten heute Morgen auf den Uhrturm des Stuttgarter Hauptbahnhofs geklettert und haben den sich dort drehenden Daimler-Stern links und rechts ergänzt: Für Passanten liest sich das jetzt wie das chemische Kürzel für Stickstoffdioxid, NO2 – also das, was die Fahrzeuge von Mercedes und andere Autobauern in unzulässigen Mengen in die Atmosphäre pusten, während die Konzerne nur zögerlich vom Verbrennungsmotor Abschied nehmen. Das Banner an der Turmfassade wird deutlicher: „Sauber werden!“
Wie sieht eine gute Zukunft aus?
Beim Strategiedialog wird viel von Digitalisierung und neuen Modellen die Rede sein und von Zukunft sowieso. Und sicher auch von der wirtschaftlichen Bedeutung der Branche. „Die Automobilwirtschaft in Baden-Württemberg mit ihren über 440.000 Beschäftigten ist ein zentraler Pfeiler für Wachstum und Wohlstand unseres Landes“, setzt der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann in einem Grußwort den Ton. Das will man natürlich bewahren. Doch beim Thema Zukunftsfähigkeit muss es um mehr gehen als ein „Weiter so“ der mächtigsten Branche im Land. Nämlich um saubere Luft, weniger Verkehrstote und mehr Klimaschutz, kurz: Um eine Idee von Mobilität, die nicht auf Kosten anderer geht. Denn nur damit haben Autobauer eine Zukunft.
Bislang ist davon wenig zu spüren. Die deutsche Automobilbranche verschleppt den Übergang zu emissionsfreien Technologien und hat keine konsequenten Konzepte fürs Vorankommen in der Stadt jenseits des massenhaften Individualverkehrs. Es gibt zaghafte Vorstöße Richtung Elektromobilität, die allerdings weit unter den Möglichkeiten bleiben. Das zeigt der Blick nach Asien: Der größte Markt für E-Autos ist derzeit China, doch deutsche Produkte spielen dort keinerlei Rolle. Unter den 20 meistverkauften E-Auto-Modellen in China war nach einer Studie des deutschen CAM-Instituts im ersten Halbjahr kein einziges deutsches Fabrikat.
Weitsicht ins Ungefähre
Trotzdem geben die Vorstandschefs der Konzerne Daimler, Porsche und Bosch vor, mit Vertretern der baden-württembergischen Landesregierung „die Transformation zu gestalten“. Konkrete, kurzfristige Maßnahmen bleiben sie dabei schuldig. „Vollmundige Zukunftsvisionen zu entwerfen ist zu wenig“, sagt Greenpeace-Sprecher Niklas Schinerl. Die Weitsicht ins Ungefähre sei nicht angebracht, wenn die zu lösenden Aufgaben derart dringlich sind. „Die Autoindustrie muss auch die von ihr verursachten Luftprobleme der Gegenwart lösen.“
Die Stadt Stuttgart zieht derweil die Notbremse: Zu Beginn des nächsten Jahres gelten hier Fahrverbote für ältere Diesel – anders als in Hamburg sogar flächendeckend. Weitere werden folgen, denn in mehr als 60 deutschen Städten liegt die NO2-Konzentrationen über dem in der EU erlaubten Jahresgrenzwert. Das hat nicht nur Konsequenzen für die Gesundheit der Bürger, sondern auch rechtliche für die Bundesregierung: Im Mai verklagte die EU Deutschland wegen Vertragsverletzung.
Dieselskandal bei Daimler angekommen
Auch Stuttgarts Vorzeigeunternehmen Daimler trägt daran Mitschuld: Der Konzern soll auf Anweisung des Kraftfahrtbundesamts europaweit knapp 774.000 Diesel-Pkw zurückrufen, deren Motoren so manipuliert wurden, dass sie auf der Straße weit mehr NO2 ausstoßen als bei offiziellen Tests. Der Dieselskandal hat damit auch Mercedes erreicht. Baden-Württembergs Werbespruch „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ klingt hiernach schal. Können die Schwaben tatsächlich keine sauberen Autos bauen? Denn das ist die Transformation, die es wert ist zu gestalten.