Interview mit dem Greenpeace-Experten Lasse van Aken zur EU-Agrarreform
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In der vergangenen Woche wurden wichtige Weichen für die Landwirtschaft in Europa gestellt: Das EU-Parlament und der EU-Agrarministerrat unter der Leitung von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) haben darüber entschieden, wie die knapp 390 Milliarden Euro an EU-Agrarsubventionen in den kommenden sieben Jahren verteilt werden sollen. Auch wenn sich beide Institutionen noch einigen müssen, ist die Richtung klar: An der Struktur der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ändert sich praktisch nichts. Gut 70 Prozent der Gelder werden weiter direkt an landwirtschaftliche Betriebe gezahlt, ohne dass es ernst zu nehmende Auflagen und eine gezielte Förderung für mehr Arten- und Klimaschutz in der Landwirtschaft gäbe. Statt eine echte Agrarwende einzuleiten, beugt sich Brüssel erneut dem Druck der Agrarlobby und setzt die Politik von gestern fort.
Greenpeace: Du kämpfst seit langem für eine echte Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Greenpeace fordert, mit den Milliardensubventionen Landwirtinnen und Landwirte gezielt zu fördern, die zum Arten- und Klimaschutz betragen und nachhaltig wirtschaften. Wie geht es dir nach den Beschlüssen der vergangenen Woche?
Lasse van Aken: Es ist frustrierend, weil die EU eine große Chance verpatzt hat. Vielleicht sogar die letzte Chance, um das massive Artensterben in Europa zu stoppen und Antworten auf die Klimakrise zu liefern, unter deren Folgen besonders die Landwirtschaft immer stärker leidet. Diese GAP-Reform definiert, wie die Landwirtschaft bis in die 2030er Jahre hinein aussehen wird. Legen wir den Hebel erst bei der nächsten GAP-Reform in sieben Jahren um, verstreicht wertvolle Zeit, die wir schlicht nicht mehr haben, um die drängenden Probleme zu lösen. Mich macht fassungslos, wie die EU-Ministerinnen und -Minister sowie die Mehrheit der Abgeordneten die Hoffnungen und Forderungen der Zivilgesellschaft ignorieren und alle Warnungen aus der Wissenschaft in den Wind geschlagen haben. Es herrscht Konsens in der Wissenschaft, dass nur eine Neuausrichtung der GAP die europäische Landwirtschaft fit für die Zukunft machen kann.
Wem nützt diese rückwärtsgewandte Politik?
Von den Entscheidungen der vergangen Woche profitieren – wie bisher – vor allem große industrialisierte Betriebe mit viel Land. Denn je größer die bewirtschaftete Fläche, desto höher die Subventionen. An diesem überkommenen Prinzip hat sich nichts geändert. Die Leidtragenden werden kleine und mittlere Familienbetriebe sein. Sie hätten jetzt eine klare, langfristige Perspektive und verlässliche und gezielte Unterstützung gebraucht. So wird wohl auch das Höfesterben weitergehen. Jedes Jahr geben alleine in Deutschland mehr als 4000 Landwirtinnen und Landwirte ihre Höfe auf und das Land fällt Großgrundbesitzern in die Hände.
Landwirtschaftsministerin Klöckner feiert die Entscheidung des von ihr geleiteten EU-Agrarministerrats als “Systemwechsel”. Wie bewertest du die Folgen der Ministerentscheidung und den Beschluss des Europäischen Parlaments für Umwelt und Klima?
Die Beschlüsse des Rats als Systemwechsel zu bezeichnen, ist eine unglaubliche Verdrehung der Tatsachen. Julia Klöckner behauptet einfach, dass es aktuell keine Umweltauflagen gebe und erst künftig jeder Euro an Bedingungen geknüpft sei. Dabei gibt es das längst, beim sogenannten “Greening” erhalten Betriebe nur Gelder, wenn sie Auflagen erfüllen und etwa Brachflächen erhalten oder Blühstreifen anlegen. Der ökologische Nutzen ist allerdings sehr überschaubar, es gibt starke Mitnahmeeffekte, weil gefördert wird, was ohnehin zur guten landwirtschaftlichen Praxis gehört. Jetzt sollen sogenannte Öko-Regelungen kommen, deren Bedingungen von den Mitgliedstaaten erst noch ausgestaltet werden müssen. Es steht zu befürchten, dass die Hürden für das Kassieren von Subventionen erneut sehr niedrig gelegt werden. Nicht umsonst ist die Agrarlobby mit den Brüsseler Ergebnissen sehr zufrieden.
Wie passen die Beschlüsse von Rat und Parlament zu den Ankündigungen der EU-Kommission, die mit dem “Green Deal” und der “Farm-to-Fork-Strategie” die Klimaziele des Pariser Abkommens erreichen und dazu die Emissionen in der EU bis 2030 gegenüber 1990 um mindestens 55 Prozent senken will?
Das passt überhaupt nicht zusammen. Rat und Parlament haben sich sogar ausdrücklich dagegen ausgesprochen, die Ziele aus der “Farm-to-Fork-Strategie” bei der Neuauflage der Gemeinsamen Agrarpolitik zu berücksichtigen. Dabei müssen alle Sektoren ihren Beitrag zur Klimaneutralität leisten, um die Klimaziele zu erreichen. Dem kann sich auch die Landwirtschaft nicht entziehen, sie muss die Treibhausgasemissionen deutlich reduzieren. Die Entscheidungen von Rat und Parlament haben zur Folge, dass der Agrarsektor sich weiter so lange in die falsche Richtung bewegt, bis Gerichte oder der Gesetzgeber per Ordnungsrecht eingreifen. Dann werden sich die Betriebe schnell auf verschärfte Regeln und strenge Grenzwerte einstellen müssen, statt mit vorausschauender Förderung und verlässlichen Rahmenbedingungen in die Agrarwende zu starten.
Wie geht es jetzt weiter, bis die Reform der GAP auf EU-Ebene steht?
Der Rat, das EU-Parlament und die EU-Kommission müssen sich nun im sogenannten Trilog einigen. Gewöhnlich geht es dabei nur noch um Details. Aber wenn die neue Kommission es mit dem “Green Deal” und Ihrer "Farm-to Fork”-Strategie wirklich ernst meint, muss sie den Vorschlag der alten Kommission, über den Rat und Parlament entschieden haben, zurückziehen, und einen neuen Aufschlag wagen. Wir haben EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aufgefordert, diese letzte Chance für eine echte Reform der EU-Agrarpolitik in der kommenden GAP-Periode zu nutzen.
Was muss in Deutschland geschehen, wenn es um die Umsetzung der Agrarreform geht?
Alle Mitgliedstaaten müssen einen nationalen Strategieplan erstellen und aufzeigen, wie sie die Vorgaben der GAP-Reform erfüllen wollen. Dafür haben sie bis Ende 2021 Zeit. In Deutschland muss der nationale Strategieplan durch den Bundestag und in Teilen auch vom Bundesrat abgesegnet werden. Bund und Länder müssen sich also darauf einigen, was im Rahmen der Öko-Regelungen gefördert wird. Hier gilt es, nicht die Fehler der auslaufenden GAP zu wiederholen, sondern nur für möglichst wirkungsvolle Maßnahmen zu zahlen. Wir werden weiter Druck machen, damit wenigstens die begrenzten Möglichkeiten voll ausgeschöpft werden.
Viele Landwirtinnen und Landwirte fürchten, dass zu hohe Umweltauflagen sie weiter belasten und ihre Produkte zu teuer machen. Wie lässt sich mehr für Umwelt- und Klimaschutz erreichen, ohne die Wirtschaftlichkeit der Betriebe zu gefährden?
Einer unser Slogans lautet ja: Klima, Wasser, Tiere schützen – Bauern dabei unterstützen. Wir fordern, dass Betriebe, die mehr für das Klima oder den Insektenschutz tun, für diese Leistung bezahlt werden. Die mit Steuergeldern finanzierten Fördermittel sollten auch in der Landwirtschaft dorthin fließen, wo ein Mehrwert für die Gesellschaft erbracht wird. Stattdessen subventionieren wir weiter Betriebe, die mit möglichst viel Fläche möglichst effizient arbeiten. Kein Wunder, dass so auch in Deutschland mehr und mehr Ackerschläge mit Monokulturen entstehen, die so groß sind, dass man das Ende des Feldes nicht mehr sieht. Das sind quasi Wüstenlandschaften. Da lebt fast nichts mehr. Eine nachhaltige EU-Agrarpolitik muss aber den Erhalt der Lebensgrundlagen fördern. Dann haben die Landwirtinnen und Landwirte auch eine wirtschaftliche Perspektive, statt sich in ruinösen Preiskämpfen auf dem Weltmarkt aufzureiben.
Was können wir alle in den kommenden Monaten tun, um uns für eine nachhaltige Agrarpolitik stark zu machen?
Wir müssen den öffentlichen Druck weiter hoch halten und klar machen, dass diese verantwortungslose Agrarpolitik auf Kosten der Umwelt, zu Lasten unserer Kinder und Enkel und zum Schaden landwirtschaftlicher Familienbetriebe so nicht weitergehen kann. Da hat sich schon viel getan, wie das Volksbegehren zum Artenschutz in Bayern gezeigt hat. Agrarpolitik war immer sehr weit weg von den Menschen, die konservativen Parteien konnten recht ungestört ihre Klientelpolitik machen. Das ist jetzt vorbei und das müssen alle Parteien spüren: Der Erhalt unserer Lebensgrundlagen ist eines der wichtigsten Themen und wird auch die Wahlentscheidung vieler Menschen beeinflussen.
Mit Blick auf die Bundestagswahl nächsten September oder wichtigen Landtagswahlen wie in Baden-Württemberg im März müssen die Bürgerinnen und Bürger der Politik immer wieder klar machen, dass Klima- und Artenschutz nicht verhandelbar sind.