- Nachricht
Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert
Greenpeace-Online: Was sind eigentlich Verschmutzungsrechte?
Karsten Smid: Mit dem Klimaschutzabkommen von Kyoto hat sich Deutschland verpflichtet, den Ausstoß von Treibhausgasen und die Verschmutzung der Atmosphäre zu reduzieren. Eines der Instrumente dazu sollte der Handel mit Verschmutzungsrechten sein. Das sind Zertifikate, die man seit ein paar Jahren haben muss, um Kohlendioxid ausstoßen zu dürfen.
Greenpeace-Online: Woher bekommt man diese Zertifikate?
Karsten Smid: Die werden nach einem bestimmten Schlüssel von der Regierung verteilt. Da gibt es die unterschiedlichsten Regelungen, auch viele Sonderregelungen, die hauptsächlich durch den Lobbyismus der Industrie entstanden sind. Letztendlich gibt es eine genaue Aufschlüsselung, wer wie viele Verschmutzungsrechte für sein Kraftwerk bekommt.
Greenpeace-Online: Braucht auch jeder Autofahrer in Zukunft ein Zertifikat, dass er soundso viele Kilometer im Jahr fahren darf?
Karsten Smid: Nein. Eigentlich sollen natürlich alle Treibhausgasemittenten von der Reduktion betroffen sein. Es gibt aber verschiedene Instrumente zur Umsetzung. Der Handel mit Verschmutzungsrechten bezieht sich nur auf den Part der Industrie. Den Verkehr und die Haushalte will man über andere Instrumente in den Griff bekommen, aber in der Summe muss auch das stimmen. Wir reden im Moment über die Industrie, weil es da wirklich um diesen Verteilungsschlüssel geht.
Greenpeace-Online: Wie funktioniert das mit dem Handel von Emissionsrechten? Geht das über eine Börse oder geht man zum Energieversorger seiner Wahl und kauft dort Zertifikate?
Karsten Smid: Die Emissionsrechte in Deutschland werden an der Leipziger Strombörse gehandelt. Der Preis ging im letzten Jahr hoch bis auf 30 Euro pro Tonne CO2, im Moment liegt er bei 15 Euro pro Tonne Kohlendioxid. Man kann sich dort bei der Börse anmelden und dann damit handeln.
Greenpeace-Online: Was steht denn nun in dem Nationalen Allokationsplan, über den derzeit alle reden?
Karsten Smid: Der Nationale Allokationsplan ist der Verteilungsschlüssel, wo drinsteht, welche Industrie wie viele Zertifikate bekommt und wie ein Kraftwerk rechnerisch zu diesen Zertifikaten kommt. Anhand von Betriebsstunden pro Jahr, dem Typ des Kraftwerks und vielen weiteren Faktoren wird ermittelt, wie viele Zertifikate der Betreiber des Kraftwerks kostenlos zugeteilt bekommt. Bei großen Betreibern wie RWE sind das ganz schön viele. Die Industrie ist so scharf darauf, weil sich mit ungenutzten Zertifikaten ja an der Börse gutes Geld verdienen lässt. Bei einem Durchschnittspreis von 20 Euro pro Tonne und Zertifikaten für 500 Millionen Tonnen Ausstoß verschenkt die Regierung da mal eben so 10 Milliarden Euro - Jahr für Jahr.
Greenpeace-Online: Werden die Zertifikate bloß an Energieversorger verteilt oder betrifft das auch andere Industriebereiche, die besonders viel CO2 ausstoßen?
Karsten Smid: Es geht zum Großteil um Energieversorger. Aber es sind auch energieintensive Betriebe wie Stahlhütten mit in die Berechnung eingeflossen.
Greenpeace-Online: Was ist die Kritik von Greenpeace am NAP?
{image_r}Karsten Smid: Unsere Kritik bezieht sich einerseits darauf, dass viel zu viele Verschmutzungsrechte verteilt werden. Die Wirtschaft hat die ihnen in den letzten Jahren zustehenden Emissionsrechte gar nicht gebraucht und sie stattdessen an der Börse zu Geld gemacht. Andererseits kritisieren wir, dass die zu vielen Zertifikate auch noch kostenlos verteilt werden. Überangebot und kostenlose Zuteilung führen natürlich dazu, dass das eigentliche Ziel, nämlich den CO2-Ausstoß zu senken, gar nicht erreicht werden kann, weil der Anreiz dazu fehlt.
Wir wollen, dass die Zertifikate versteigert werden, denn erst dann wirkt das marktwirtschaftliche Instrument des Emissionshandels. Dann muss derjenige der viel CO2 ausstößt auch mehr dafür zahlen als andere. Derzeit fehlt die Lenkungswirkung. Gaskraftwerke zum Beispiel bekommen derzeit noch nicht einmal halb so viele CO2-Zertifikate wie Kohlekraftwerke. Derjenige, der mit Kohle richtig die Luft verschmutzt, wird über die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten auch noch belohnt.
Die Folge davon ist, dass der Bau von neuen Braunkohlekraftwerken überhaupt erst möglich wird. Wenn RWE für sein neues Kohlekraftwerk in Neurath CO2-Zertifikate ersteigern müsste, dann wäre das betriebswirtschaftlich gar nicht zu betreiben. Aber sie haben für die nächsten 18 Jahre eine kostenlose Zuteilung der Zertifikate zugesichert bekommen. Deshalb kann dieses Kraftwerk Neurath, das einen riesigen Ausstoß an Kohlendioxid haben wird - immerhin 14 Millionen Tonnen - gebaut werden.
Greenpeace-Online: Der Emissionshandel soll ja zum Schutz des Klimas beitragen. Wie ist der NAP da einzuschätzen?
Karsten Smid: Mit diesem Allokationsplan werden wir unsere langfristigen Klimaschutzziele nicht erreichen können. Denn wer jetzt mit diesem Verteilungsschlüssel dafür sorgt, dass neue Kohlekraftwerke gebaut werden können, der sorgt dafür, dass über Jahrzehnte, also 30 bis 40 Jahre lang, weiter CO2 in die Atmosphäre geblasen wird. Und im Jahr 2050, das sagen uns Klimawissenschaftler, müssten wir in Deutschland 80 Prozent weniger ausstoßen als noch 1990. Bisher haben wir erst eine Reduktion von knapp 20 Prozent erreicht.
Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass die Effizienzgewinne, die man heute durch ein modernes Kohlekraftwerk hat, wirklich Klimaschutz sind. Effizient wäre es, in andere Energieträger, klimafreundliche Energieträger zu investieren, gleich auf erneuerbare Energien umzuschwenken. Mit neuen Kohlekraftwerken holen wir uns ein trojanisches Pferd für den Klimaschutz mit in unsere Bilanz.
Greenpeace-Online: Gibt es noch Möglichkeiten, den Beschluss des Kabinetts von gestern zu kippen?
Karsten Smid: Es wird schwerer, aber es ist noch möglich. Die EU könnte den NAP zurückweisen, wenn dort festgestellt wird, dass die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Wir finden die Regelungen so verzerrend, dass die EU eigentlich Einspruch erheben muss. Außerdem muss der Plan noch durch den Bundestag. Das Parlament wird über den Emissionsplan nach dem Ende der Sommerpause beraten. Es wird da von vielen noch viele Fragen geben, gerade auch die Frage, wie Sigmar Gabriel sich von der Kohlelobby so hat über den Tisch ziehen lassen. Wir wissen über unsere Tour zu den SPD-Landesverbänden, dass gerade das Land Nordrhein-Westfalen seine Finger im Spiel hatte. Nordrhein-Westfalen ist das Bundesland, in dem RWE seinen Stammsitz hat und allein vier Braunkohlekraftwerke betreibt und den Neubau von Neurath forciert. Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, dann muss sich an diesem Verteilungsschlüssel Nationaler Allokationsplan noch gehörig etwas ändern.