Jetzt spenden
Turo Anzai in seinem Haus in Iitate.
© Shaun Burnie / Greenpeace

„Normalität“ in der Sperrzone

Sechs Jahre lag Iitate verlassen in der Sperrzone des explodierten AKW Fukushima Daiichi. Jetzt soll es wieder besiedelt werden. Greenpeace zeigt: Der Plan ist totaler Wahnsinn.

Toru Anzai ist einer von ihnen - einer von den 6000 Anwohner:innen des kleinen Dorfs Iitate, die jetzt vor einer grausamen Wahl stehen: Kehren sie in ihre Häuser zurück und setzen sich und ihre Familien einer ständigen radioaktiven Strahlung aus, oder nicht? Wenn sie nicht gehen, erhalten sie keine Entschädigungszahlungen mehr und wissen nicht, wovon sie leben sollen. Gehen sie aber, wissen sie nie, ob die Pfütze vor ihrem Haus gerade ein strahlender Hotspot ist, oder wie stark die Kieselsteine belastet sind, mit denen die Enkelkinder spielen.

Japan hat aufgeräumt. Die ganze Strahlung des Dorfes Iitate in Plastiksäcke geschaufelt, so möchte die Regierung es der Bevölkerung gerne weiß machen. Die Regierung hat eine gesamte  Region dekontaminieren lassen, damit die Bewohner:innen in die gesperrten Gebiete zurückkehren können. Sie möchte so tun, als habe sie die nukleare Katastrophe rund um Fukushima im Griff. Damit sich die Gemüter der Bevölkerung wieder beruhigen, damit das Misstrauen und der Widerstand gegen die Atomkraft im Land aufhören. Und damit der Betreiber des explodierten Atomkraftwerks, der Energiekonzern Tepco, weniger Entschädigung zahlen muss.

Die Radioaktivität einer Region in Plastiksäcken

In einem irrwitzigen Mammutprojekt ließ die japanische Regierung den Boden einer ganzen Region abtragen, ließ Dächer und Straßen waschen, Laub einsammeln und abgemähtes Gras verpacken. Entstanden sind so etliche Millionen Kubikmeter Atommüll. Der liegt nun in  Plastiksäcken verpackt überall am Wegesrand. Nach drei Jahren beginnen die Tüten zu reißen. Und dann?

Außerdem wurden zwar die Häuser und Höfe so gesäubert. Auch die Straßen und ein 20 Meter breiter Streifen rechts und links davon. Aber der Rest? Die Wälder? Die Berge? Die Hügel, die Wiesen, die Landschaft? Die bleiben weiterhin radioaktiv verseucht - und der Wind weht den belasteten Staub in die so mühsam halbwegs strahlenfrei gemachten Häuser.

Japans Super-GAU

Am 11. März 2011 war das AKW Fukushima Daiichi von einem schweren Erdbeben und Tsunami getroffen worden. In der Folge kam es zu Kernschmelzen in drei Blöcken, zu Explosionen und einer massiven Freisetzung von Radioaktivität. Die Region von Iitate, zwischen 28 und 47 Kilometer nordwestlich des havarierten Atomkraftwerkes, wurde stark verstrahlt.

Greenpeace war seit dem Unfall jedes Jahr in den betroffenen Gebieten unterwegs und untersuchte die Strahlenwerte. Der jetzt veröffentliche Report wertet tausende von Messergebnissen aus. Im November 2016 haben Greenpeace-Aktivist:innen aufwändig sieben Häuser in der wieder zu besiedelnden Zone untersucht. Sie haben Felder und Dachrinnen gemessen, in Echtzeit und mit Langzeitdosimetern. Sie haben  Bodenproben ins Labor geschickt und die Strahlenbelastung über die Jahre, über eine Lebenszeit, hochgerechnet.

Viel zu belastet für ein normales Leben

Die untersuchten Häuser liegen kilometerweit voneinander entfernt, doch haben sie eins gemeinsam: Der von der Regierung durch Dekontamination angestrebte Wert von 0,23 Mikrosievert pro Stunde (µSv/h) in einem Meter Höhe über dem Boden wird auf allen Grundstücken massiv überschritten – in Turo Anzais Haus zum Beispiel um das 3- bis 10-Fache.  Bei vier Häusern haben die Aktivist:innen außerdem in Bodennähe besonders starke Strahlenwerte gemessen. Da, wo bald vielleicht schon wieder Kinder spielen sollen.

Toru Anzai jedenfalls hat sich entschieden – er geht nicht heim. Zu groß ist seine Angst vor der immer gegenwärtigen Strahlung. Auch wenn er sein Haus liebt. Und sein Dorf sowieso. Auch wenn ihm schwer ums Herz ist, weil er sich an seinem neuen Wohnort nicht heimisch fühlt. Verzweifelt ist er und wütend. Wütend auf die Regierung, die ihn vor solch eine absurde Wahl stellt. Die eine Normalität erzwingen will, die es seit dem 11. März 2011 nicht mehr gibt. Eine Normalität, die sich mit der Explosion von Fukushima Daiichi für Toru Anzai und so viele andere Betroffenene in Luft aufgelöst hat. In eine radioaktiv strahlende Luft. 

  • Greenpeacemitarbeiter misst die Radioaktivitätsim Haus von Anzai.

    Unnormal verstrahlt

    Überspringe die Bildergalerie
  • Greenpeace-Mitarbeiterin misst Radioaktivität außerhalb der Häuser.

    Tausende von Messungen

    Überspringe die Bildergalerie
  • Greenpeace-Mitarbeiter nimmt Bodenprobe.

    Verstrahlte Erde

    Überspringe die Bildergalerie
  • Greenpeace-Mitarbeiterin vor einem Berg mit Plastiksäcken voll radioaktivem Müll.

    Atommüll in Tüten

    Überspringe die Bildergalerie
Ende der Gallerie

Mehr erfahren:

Report: No Return To Normal

Report: No Return To Normal

Anzahl Seiten: 28

Dateigröße: 3.18 MB

Herunterladen

Online-Mitmachaktion

https://act.greenpeace.de/eu-verbot-fossile-energien

Offener Brief: Neue fossile Energieprojekte in Europa verbieten

Wir alle müssen jetzt den klimatischen und ökologischen Notstand als die existenzielle Krise behandeln, die er ist. Unser Leben hängt davon ab. Deshalb fordern wir die EU-Institutionen dazu auf: Stoppt neue Öl- und Gasprojekte!

Jetzt unterzeichnen
0%
vom Ziel erreicht
0
haben mitgemacht
0%
Datum
Protesters holding yellow banner that says "defend the climate - not fussil fuels"

Mehr zum Thema

Großes gelbes X im Wald
  • 29.11.2024

Ein Wunder ist geschehen: Das Endlager Gorleben ist vom Tisch. Weil der Salzstock kein sicherer Platz für Atommüll ist. Persönliche Betrachtung eines unglaublichen Erfolgs - mit aktuellem Update.

mehr erfahren
Projektion zum Atomausstieg am AKW Isar 2
  • 16.08.2024

Atomkraft ist nicht nur riskant, sondern auch keine Lösung für die Energiekrise. Am 15. April 2023 wurden die deutschen Atomkraftwerke darum endgültig abgeschaltet, nun wurden Kühltürme gesprengt.

mehr erfahren
Atommeiler in Cattenom
  • 19.06.2024

Atomenergie ist ein volkswirtschaftliches Risiko, so eine aktuelle Greenpeace-Studie. Die Rechnung für unkontrollierte Kostensteigerungen und massive Verzögerungen begleichen die Steuerzahlenden.

mehr erfahren
Nuclear Action at EnBW in Germany
  • 24.05.2024

Tausende von Jahren sollte das „Versuchsendlager“ im ehemaligen Salzbergwerk Asse II sicher sein. Knapp vier Jahrzehnte später säuft es durch Wassereinbrüche ab, die Schachtanlage droht einzustürzen.

mehr erfahren
In einem Kindergarten liegen die Spielsachen so, wie sie nach der Katastrophe zurückgelassen wurden. Die Gasmaske eines Kindes neben einer Puppe ist nur ein weiteres grausames Paradoxon: Eine Woche vor dem Atomunfall wurden die Kinder darin geschult, die Sicherheitsausrüstung gegen die atomare Gefahr zu benutzen. Doch am Tag des Unfalls wurde auf Anweisung der Parteiführung keine einzige Gasmaske benutzt.
  • 26.04.2024

Am 26. April 1986 erschüttert eine Explosion das Atomkraftwerk Tschornobyl. Eine radioaktive Wolke verseucht die Region und zieht über Europa. Ursache sind menschliches Versagen und technische Mängel.

mehr erfahren
Greenpeace and BUND Naturschutz Celebrate Nuclear Phase-out in Munich
  • 12.04.2024

Vor einem Jahr ging das letzte AKW in Bayern vom Netz. Strom aus erneuerbaren Energien hat deutschlandweit Atomstrom ersetzt. Nur der Freistaat hinkt hinterher. Warum ist das so?

mehr erfahren