September 2013 in Fukushima
- Ein Artikel von Anja Franzenburg & Nanna Zimmermann
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Chronologie des Atomunfalls in Fukushima: Im August 2013 verseucht ein neues Leck am Kernkraftwerk Fukushima die Umwelt deutlich schlimmer als bisher angenommen. Mit 300 Tonnen ausgelaufenem radioaktiven Wasser ist es der bisher größte Störfall seit der Katastrophe vom März 2011. Im September will die japanische Regierung Millionen Steuergelder in die Kontrolle der Anlage investieren.
Am 11. März 2011 war infolge eines Erdbebens und eines Tsunamis das Kühlsystem des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi ausgefallen. Die Folge war eine Kernschmelze in mehreren Reaktoren. Seit der Katastrophe, die als schlimmstes Atomunglück seit Tschernobyl 1986 gilt, müssen die Reaktoren ständig mit Wasser gekühlt werden. Das Wasser wird in Tanks von elf Metern Höhe und zwölf Metern Durchmesser gelagert, um es später aufzubereiten und wiederzuverwenden.
Auch zwei Jahre nach der Katastrophe von Fukushima hat der Betreiber Tepco die Situation nicht im Griff. Stattdessen versucht er, die Katastrophe und die seitdem ständig auftretenden Störfälle zu bagatellisieren. Die Aufsichtsbehörden haben schockierend wenig Kontrolle über die Situation vor Ort. Das gilt nicht nur für den aktuellen Vorfall, ein neues Leck: Beispielsweise haben die Behörden nicht erkannt, dass seit März 2011 wahrscheinlich jeden Tag 300 Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser in den Pazifik fließen.
August 2013: Ein Leck verseucht die Umwelt
Ein neues Leck am Kernkraftwerk Fukushima verseucht die Umwelt deutlich schlimmer als bisher angenommen. Mit 300 Tonnen ausgelaufenem radioaktiven Wasser ist es der bisher größte Störfall seit der Katastrophe vom März 2011.
Einer von hunderten Tanks auf dem AKW-Gelände, die zur Aufbewahrung des Kühlwassers dienen, ist leck geschlagen. Hatte Tepco, der Betreiber des Atomkraftwerks, anfangs noch 120 Liter ausgelaufenes Wasser gemeldet, musste er schließlich seine Aussage berichtigen: Die 2.500-fache Menge radioaktiv verseuchtes Wasser war aus dem Leck getreten. "Wie viel Inkompetenz und Vertuschung von Tepco toleriert die japanische Regierung noch?", kommentiert Heinz Smital, Atomexperte bei Greenpeace, die Fehlinformation.
Mit 100 Millisievert pro Stunde (mSv/h) ist die Strahlung nahe der entstandenen Wasserlachen extrem hoch. Innerhalb einer Stunde bekäme man den fünffachen Jahresgrenzwert eines AKW-Mitarbeiters ab. Die internationale Atomaufsichtsbehörde stufte den Vorfall am 21. August von Stufe 1 ("Anomalität") auf Stufe 3 ("ernster Zwischenfall") der internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES) hoch.
Ist das radioaktive Wasser erst einmal ausgetreten, ist es sehr viel schwieriger, die Situation wieder unter Kontrolle zu bekommen. "Es stellt sich die Frage, warum die Tanks mit je 1.000 Tonnen stark radioaktivem Wasser nicht besser überwacht worden sind", sagt Heinz Smital. "Durch die Schlamperei und Verharmlosung werden die Kraftwerksarbeiter einer viel höheren und vermeidbaren Strahlendosis ausgesetzt."
Zusätzlich sickern jeden Tag hunderte Tonnen Grundwasser in die Atomruine und vermischen sich mit dem radioaktiven Wasser. Japans Regierungschef Abe sollte angesichts der Situation nicht versuchen, neue Atomkraftwerke zu verkaufen und die abgeschalteten Atomkraftwerke in Japan wieder zu aktivieren. Stattdessen sollte er die nukleare Kompetenz nutzen, um die fortwährende Nuklearkatastrophe besser in den Griff zu bekommen.
September 2013: Japan braucht Plan für radioaktives Wasser
47 Milliarden Yen (ca. 359 Millionen Euro) Steuergelder will die Regierung investieren - als Antwort auf die andauernden Krisenmeldungen aus der Atomanlage Fukushima.
Geplant ist, das Eindringen von Grundwasser in die hochkontaminierte Anlage durch eine Wand aus gefrorenem Untergrund abzuwenden. Ein höchst fragliches Unternehmen - auf dessen Erfolg nicht allzu viel zu setzten ist. "1,4 Kilometer lang und bis zu 30 Meter tief soll die Dichtwand werden", erklärt Heinz Smital. "Hier ist parallel die Entwicklung von anderen Plänen, wie der Wasserzutritt verringert werden kann, notwendig, weil mit einem Scheitern der Dichtwand gerechnet werden muss."
Insgesamt erscheint der vorgestellte Plan nicht ausgereift und nur im kleinen Kreis mit Informationen des Nuklearkonzerns TEPCO entwickelt worden zu sein. Viele Probleme bleiben unberücksichtigt. "Er dient offenbar mehr der Beruhigung, als eine tatsächliche Kehrtwende im unzureichenden Krisenmanagement zu sein", kritisiert Smital. "Um Leckagen vermeiden zu können, sollten alle beteiligten Subfirmen Verantwortung übernehmen und in Haftung genommen werden, sofern sie nicht auf mögliche Probleme hinweisen. Wenn die Zulieferfirmen schon selbst höchst skeptisch sind und zum Beispiel die nur genieteten Tanks für nicht ausreichend halten, darf nicht einfach weitergemacht werden." Smital fordert weiter, dass Bedenken gegen eingesetzte Ausrüstungen und die Ergebnisse strikter Qualitätskontrollen öffentlich gemacht werden müssen.
Die Situation in der Reaktorruine von Fukushima wird sich noch lange nicht entspannen, sondern viele Jahrzehnte brisant bleiben. Obwohl bereits so viel Radioaktivität freigesetzt worden ist, dass große Gebiete der Präfektur Fukushima nicht mehr bewohnt werden können, ist die meiste Radioaktivität noch immer in den Reaktoren enthalten. Und wird nun durch Grundwasserströme in die Umgebung verfrachtet. Beispielweise ist das Inventar an Sr-90 (Strontium 90) in Fukushima deutlich höher als in Tschernobyl. Strontium 90 ist ein Radionuklid, das sich in Knochen ablagert und als Knochenkiller bekannt ist. Mit einer Halbwertszeit von über 28 Jahren ist es länger wirksam als die Lebenserwartung der geschädigten Menschen.
"Die japanische Regierung sollte ihre Priorität und die kerntechnischen Ressourcen des Landes auf die Kontrolle der Atomkatastrophe richten und nicht auf den Verkauf von AKW oder auf das Wiederanfahren von Reaktoren", sagt Smital. "Japan kann auf Atomenergie verzichten." Von 50 Atomreaktoren in Japan sind nur zwei wieder eingeschaltet worden. Eine dieser Anlagen ist bereits in Revision, ab dem 15. September ist Japan wieder atomstromfrei. Es zeigt, wie verzichtbar Atomenergie auch für eine große Industrienation ist und wie schnell im Falle eines Falles ein Atomausstieg sogar sein kann.