Was bewirkt eine Atombombe?
- Kurz und Knapp
Der Krieg in der Ukraine verschärft die Weltsicherheit extrem. Russland droht immer wieder direkt oder indirekt mit seinen Atomwaffen, viele Menschen haben Angst vor einer Eskalation. Doch wie wahrscheinlich ist der Einsatz einer Atomwaffe oder gar ein Atomkrieg wirklich? Wie weit reichen Atomwaffen? Welche Folgen hätte ein Angriff auf die Ukraine mit atomaren Waffen für Deutschland? Hier bieten wir Antworten auf aktuelle Fragen:
11 Fakten zu Atombomben
1. Welche Reichweite hat eine Atombombe?
Trägersysteme für strategische Atomwaffen haben Reichweiten bis 15.000 Kilometer. Sie können von Lkw, Schiffen, Flugzeugen oder U-Booten aus gestartet werden. Langstreckenbomber können zum Beispiel Ziele in einer Entfernung von über 10.000 Kilometern erreichen und mehrere Atombomben abwerfen. Interkontinentalraketen haben eine Reichweite von bis zu 15.000 km und können mehrere Atomsprengköpfe an unterschiedlichen Orten abwerfen.
Taktische Kernwaffen sind kleinere Raketen oder Bomben mit geringerer Sprengkraft und in ihrer Reichweite meist eingeschränkt.
Der Unterschied zwischen diesen beiden Typen von Atomwaffen verwischt allerdings zunehmend. So gibt es inzwischen auch sehr weitreichende Raketen mit “kleinem” Atomsprengkopf, wie die seit 2019 auf US U-Booten stationierten Trident 2.
Die Reichweite von den in Deutschland liegenden US-Bomben hängt von ihren Trägerflugzeugen ab. Zur Zeit sind das beispielsweise Kampfbomber, wie die deutschen Tornados mit einer Reichweite von ca. 1600 Kilometern oder US Langstreckenbomber mit Reichweiten von über 10.000 Kilometern.
In der Luft abgeschossene russische Hyperschallraketen mit Atomsprengkopf haben laut russischen Medien eine Reichweite von bis zu 2500 km. Daneben gibt es viele einzelne Typen von Atomwaffen aller Atomwaffenstaaten. Einen Überblick darüber gibt es bei SIPRI oder der WissenschaftlerInnen der FAS.
2. Wie wahrscheinlich ist ein Atomkrieg im Moment?
Zu unterscheiden ist zwischen einem großen Atomkrieg und einem lokal begrenzten Einsatz taktischer Atombomben. Auch wenn niemand mit Sicherheit sagen kann, was Putin tun wird und wie die Nato darauf reagieren wird, ist ein großer Atomkrieg doch sehr unwahrscheinlich, da dieser auch die russische Führung und sehr viele Menschen in Russland treffen würde.
Was sich allerdings seit einigen Jahren immer weiter entwickelt, ist die Möglichkeit eines “begrenzten” Atomkriegs. Das bedeutet, dass eine oder mehrere Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft, auch “taktische” Atomwaffen genannt, beschränkt auf einen lokalen Bereich wie etwa eine eine Militärbasis oder eine Truppenansammlung, abgefeuert werden. Dafür haben die russische und die US-amerikanische Regierung die entsprechenden Atomwaffen entwickelt und halten diese einsatzbereit. Allerdings ist es seit 1945 noch nie zu einem direkten Einsatz von Atomwaffen in einem Konflikt gekommen. So etwas wäre ein absoluter Tabubruch und Bruch des Völkerrechts.
3. Welche Auswirkungen hat eine Atombombe?
Atombomben werden aus Flugzeugen abgeworfen. Atomsprengköpfe können aber auch durch Raketen, Marschflugkörper oder Torpedos ins Ziel transportiert werden. Der Überbegriff ist eigentlich “Atomwaffe”, umgangssprachlich wird oft nur von Atombomben gesprochen.
Atomwaffen sind Massenvernichtungswaffen. Sie haben ein großes Vernichtungspotenzial und töten unterschiedslos. Das heißt: Sie unterscheiden nicht zwischen Soldat:innen, Frauen, Kindern, älteren oder jüngeren Menschen. Deswegen ist ein Drohen mit und der Einsatz von Atomwaffen nach internationalem Recht verboten, ein Einsatz demnach ein Kriegsverbrechen.
Je nach Typ entwickeln sie durch Kernspaltung und Kernfusion eine extrem große Sprengkraft. Dadurch entsteht eine starke Hitze- und radioaktive Strahlung sowie eine Druckwelle. Ein einziger Atombombenabwurf kann hunderttausende Menschen töten, Die Hitzestrahlung verursacht Brände und die Druckwelle beschädigt und zerstört Gebäude. Hinzu kommt die radioaktive Strahlung, die direkt tödlich oder schwer verletzend wirkt, sich später, in abgeschwächtem Zustand, über Partikel als Fallout in der Atmosphäre verbreitet, die Umgebung verseuchen und schwerwiegende gesundheitliche Folgen hervorrufen kann.
Die bei der Explosion einer Atomwaffe entstehende elektromagnetische Strahlung ist für Menschen ungefährlich, kann aber elektrische Geräte im Umkreis von bis zu etlichen Kilometern beschädigen. Beim absoluten Worst-Case-Szenario, dem Einsatz mehrerer Atomwaffen, kann es durch die Verdunkelung als Folge der aufgewirbelten Staub- und Dreckmassen zu einer Abkühlung der Erdatmosphäre über mehrere Jahre und damit zu Ernteausfällen und Hungersnöten auf der ganzen Welt kommen. Das nennt sich “nuklearer Winter”.
4. Welche Auswirkungen hätte ein Atomwaffeneinsatz in der Ukraine für Deutschland?
Falls es zu einem Einsatz von Atomwaffen in der Nähe der oder gar in der Ukraine selbst käme, hingen die Folgen stark von der Art der eingesetzten Atomwaffen ab, also ob etwa “kleinere” taktische oder “große” strategische Atomwaffen eingesetzt würden.
Beim Einsatz einer taktischen Atombombe mit kleinerer Sprengkraft über dem Meer wären die Auswirkungen hauptsächlich psychologischer Natur. Es wäre das Signal “Wir sind bereit diese Waffen einzusetzen”.
Bei einem Einsatz einer taktischen Atomwaffe in der mittleren oder östlichen Ukraine wären Hitze-, Druckwelle und Strahlung voraussichtlich auf wenige Kilometer begrenzt. Über den Einsatzort hinaus würde je nach Wetterlage radioaktiver Fallout verbreitet werden. Aber voraussichtlich nicht über hunderte Kilometer hinweg.
Bei einem Angriff auf eine Stadt oder einen großen Militärstützpunkt mit einer mittleren oder großen Atomwaffe könnte es durch Strahlung, Druck- und Hitzewelle zehntausende Tote und Verletzte geben. Wege und Rettungseinrichtungen wären voraussichtlich zerstört. Der elektromagnetische Schock könnte die Kommunikationstechnik zerstören. Viele Menschen im Umkreis einer bombardierten Stadt in der Ukraine wären gefährdet, denn der radioaktive Niederschlag könnte über mehrere Jahre zu vielen schweren Erkrankungen führen. Je nach Auswirkung würden noch mehr Menschen aus der Ukraine fliehen müssen.
Die Folgen eines Einsatzes einer oder mehrerer großer Atomwaffen in oder über einer Stadt wären ungleich stärker: Die Anzahl der Verletzten und Toten sowie die Zerstörung der Infrastruktur wären unbeschreiblich.
5. Was, wenn Russland eine Hyperschallrakete mit Atomsprengkopf einsetzt?
Hyperschallraketen sind Raketen, die laut russischer Angaben mit bis zu 20-facher Schallgeschwindigkeit fliegen. Ähnliche Geschwindigkeiten erreichen “normale” Raketen auch, aber die jetzt eingesetzten Modelle sind bei hoher Geschwindigkeit noch manövrierfähig. Das macht die Vorhersage des Ziels und der Flugbahn und somit die Abwehr extrem schwierig. Derzeit ist nur von Russland und China bekannt, dass sie einsatzfähige Hyperschallraketen besitzen. Allerdings wird auch in Deutschland, Frankreich und den USA schon seit vielen Jahren daran geforscht. Wieweit diese Systeme einsatzfähig sind, ist nicht bekannt.
Bis Stand 31. März hat Russland zweimal den Einsatz einer Hyperschallrakete in der Ukraine gemeldet, allerdings nicht mit einem Atomsprengkopf bestückt. Laut russischen Aussagen können die jetzt eingesetzten Hyperschallraketen “Kinschal” sowohl mit konventionellem Sprengstoff aus auch mit Atomsprengköpfen bestückt werden und sollen eine Reichweite bis zu 2500 Kilometer haben, wofür sie sechs Minuten brauchen.
6. Welchen Zerstörungs-Radius hat eine Atombombe?
Der Radius, innerhalb dessen eine Atomwaffe großflächige Zerstörung anrichtet, kann je nach Größe der Bombe von wenigen hundert Metern bis zu mehreren dutzend Kilometern weit reichen. Die Sprengkraft hängt zudem von der Art der Bombe und der Anzahl der Sprengköpfe ab, und ob sie hoch in der Luft oder dicht am Boden gezündet werden.
Ein Beispiel: Eine von Greenpeace in Auftrag gegebenen Studie “Auswirkungen einer Atombombe auf Deutschland” von 2020 schätzt, dass bei einer Explosion einer (“kleinen”) 20 Kilotonnen Atombombe - was in etwa der Größe der Plutoniumbombe auf Nagasaki entspricht - auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude in Berlin in einem Radius des Feuerballs von 260m alles verdampfen würde. Innerhalb eines Radius von 590 Meter käme es zu schweren Explosionsschäden und bis in eine Entfernung von 1,41 Kilometer würden Menschen im Freien eine hohe radioaktive Sofortstrahlung erhalten, die meist tödlich ist. Der Radius für mittlere Zerstörungen würde 1,24 Kilometer betragen, der Radius mit Brandverletzungen dritten Grades 1,91 Kilometer. Glas würde bis in eine Entfernung von mehr als 6 Kilometer zerbrechen. Der radioaktive Niederschlag einer Atombombe in dieser Simulation könnte sehr weit getragen werden und könnte rund 120.000 Tote bedeuten. Insgesamt geht das Szenario von rund 145.000 zu erwartenden Toten aus, hinzu kämen ca. 50.000 Todesfälle durch Erkrankungen. Durch die unterschiedslose Zerstörung wären auch Feuerwehr, Krankenhäuser und medizinisches Personal betroffen, Straßen und Brücken, Wasser- und elektrische Versorgung weitgehend zerstört.
7. Wie lange bleibt die Strahlung einer Atombombe?
Bei der Explosion einer Atombombe tritt radioaktive Strahlung in zweierlei Formen auf: Erst als Sofortstrahlung, die während der Kernspaltung im Feuerball auftritt und bis zu einer Minute wirkt. Diese direkte Strahlung besteht hauptsächlich aus Gammastrahlung und macht etwa fünf Prozent der freigesetzten Energie einer Atombombe aus, Menschen in der Nähe der Explosion werden jedoch überwiegend durch die Druck- und Hitzewelle getötet. Nach der Explosion kann noch länger Reststrahlung auftreten, hauptsächlich als radioaktiver Fallout. Der Fallout ist der radioaktive Niederschlag und besteht aus den radioaktiven Partikeln aus Waffenresten, Spaltprodukten und bestrahltem Boden. Die Partikel können sich am Boden ablagern und auch entferntere Gebiete radioaktiv verseuchen und dabei Hotspots mit besonders hoher Strahlung bilden. Außerdem kann der Wind sie weiter wegtragen, wobei die Strahlendosis durch die Verteilung abnimmt. Einige sehr kleine Partikel können lange in der Schwebe bleiben und als Fallout auftreten. Schädigungen durch Spätfolgen der Strahlen sind durch die Organisation der Ärzt:innen gegen den Atomkrieg gut dokumentiert.
8. Wie viele Atomwaffen hat welches Land?
Weltweit gibt es ca. 12.705 Atomwaffen in neun Ländern. Davon sind ca. 3732 direkt auf ihre Trägersysteme wie auf Raketen oder in Bombern montiert, 2000 davon sind innerhalb von Minuten Einsatzbereit. Die anderen sind in Lagern getrennt von ihren Trägersystemen, eine Einsatzfähigkeit herzustellen würde zum Teil Monate dauern.
Einsatzbereite Atomwaffen haben Russland, die USA, Frankreich und Großbritannien. In der Auflistung stehen die vorhandenen Atomwaffen vorne, die Einsatzbereiten hinter dem Schrägstrich. Die Atomwaffenländer sind: Russland (5977/1588), USA (5428/1644). Frankreich (290/280), China (350/0), Großbritannien (180/120), Israel (90/0), Pakistan (165/0), Indien (160/0) und Nordkorea(20/0).
Daneben gibt es die “nukleare Teilhabestaaten” Deutschland, Belgien, Italien und die Niederlande, welche jeweils dort stationierte US-Atombomben durch jeweils eigene PilotInnen und Flugzeuge einsetzten könnten.
Es wird vermutet, dass in Deutschland, Belgien und den Niederlande je 20 und in Italien etwa 40 US-Atombomben des Typs B 61 liegen. Dass US-Atomwaffen in Europa lagern, ist offiziell bekannt, die Anzahl wurde allerdings nie offiziell bestätigt.
9. Hat die Ukraine Atomwaffen?
Die Ukraine hat und hatte nie einsatzfähige Atomwaffen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der Ukraine lagerten 1991 dort noch Interkontinentalraketen, Cruise Missiles und Atombomben, insgesamt beinahe 5.000 Atomwaffen. Die Steuerung, Codes und Startmechanismen waren allerdings nie in der Hand der Ukraine, sondern immer in der Russlands. Diese Atomwaffen wurden zwischen 1993 und 1996 an Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion zurückgegeben und zum Teil zerstört. Die Ukraine trat 1994 dem NVV (Nichtverbreitungsvertrag von Atomwaffen) bei. Im Gegenzug wurde der Ukraine 1994 im “Budapester Memorandum” von Russland, den USA und Großbritannien territoriale Integrität zugesichert.
10. Welche Rolle hat die deutschen Bundesregierung in Bezug auf Atomwaffen?
Deutschland ist 1975 dem NPT (Nichtverbreitungsvertrag von Atomwaffen) beigetreten. Aber in Deutschland liegen im Rahmen der sogenannten “Nuklearen Teilhabe” laut Expert:innenberichten 20 US-Atombomben des Typs B-61, welche im Kriegsfall von deutschen Pilot:innen und deutschen Flugzeugen in ihre Ziele gebracht werden sollen.
Die Bundesregierung hat schon vor Kriegsausbruch beschlossen, neue Flugzeuge mit mehr Fähigkeiten für diese Einsätze zu kaufen. Am 14.3.2022 wurde die Entscheidung für die Beschaffung der US-Kampfbomber des Typs F-35 getroffen. Hier in Deutschland sind die Einsatzzentralen der US-amerikanischen Streitkräfte in Europa und der Nato-Luftstreitkräfte. Auch Einsätze von Flugzeugen mit Atomwaffen würden von diesen koordiniert. Deutschland würde nach dem Willen der Bundesregierung in einem Atomkrieg potentieller Ausgangspunkt und potentielles Ziel eines Atomwaffenangriffs sein.
Hinter dieser Entscheidung der Bundesregierung zur Aufrüstung sieht Greenpeace ein veraltetes gefährliches Verständnis von Sicherheit. Die nukleare Aufrüstungsspirale trägt nicht zur Deeskalation von Konflikten bei. Stattdessen unterstützt die Bundesregierung durch ihre nukleare Aufrüstung eine globale Aufrüstungsspirale, die an die schlimmsten Phasen im Kalten Krieg erinnert.
11. Ich habe Angst vor einem Atomkrieg - was kann ich tun?
Es ist völlig verständlich, dass sich im Moment viele Menschen große Sorgen wegen des Krieges und eines Einsatzes von Atomwaffen machen. Vielleicht hilft es, daran zu denken, dass der russische Präsident Wladimir Putin vermutlich genau diese Wirkung erreichen will: Atomares Säbelrasseln um Ängste zu schüren. Was auch gegen die Angst hilft: aktiv werden. So kommen Einzelne ins Handeln und fühlen sich nicht mehr so ausgeliefert und hilflos.
Hilfe im Umgang mit der Angst vor einem Atomkrieg finden Sie auf der Seite von ICAN. Der Organisation wurde im Jahr 2017 der Friedensnobelpreis für ihren Einsatz gegen Atomwaffen verliehen. Greenpeace setzt sich gemeinsam mit ICAN für eine Welt ohne Atomwaffen ein.
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