Nukleare Teilhabe
Wie Deutschland sich zur Zielscheibe eines Atomangriffs macht
Mindestens 20 amerikanische Atombomben lagern in Deutschland. Im Kriegsfall sollen deutsche Piloten sie ans Ziel fliegen. Das nennt man die nukleare Teilhabe.
- Ein Artikel von Heike Dierbach
- mitwirkende Expert:innen Christoph von Lieven
- Hintergrund
Im Kriegsfall sollen die in Deutschland lagernden Atombomben von deutschen Piloten und Pilotinnen in Richtung Osten geflogen und dort abgeworfen und gezündet werden. Die Grundlage hierfür ist die sogenannte nukleare Teilhabe. Das bedeutet, dass die USA im Rahmen der NATO den anderen Bündnismitgliedern die Möglichkeit gibt, an den Planungen für den Einsatz von Atomwaffen teilzunehmen. Diese Teilhabe ist keine Mitbestimmung. Von 2026 an wollen die USA in Deutschland wieder Waffensysteme stationieren, die weit bis nach Russland reichen. Zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg.
Die Entscheidung über einen Einsatz der US-Atomwaffen trifft ausschließlich der US-Präsident, der wiederum das Militär, beispielsweise den US-Europa- und gleichzeitig Nato-Oberkommandierenden (SACEUR), zur Zeit General Tod Wolters, anweist, Atomwaffen einzusetzen.
„Seit dem Ukrainekrieg hat Russland seine Nukleardoktrin verändert und droht immer wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen. Angeblich als Antwort auf die auch im Westen umstrittene nukleare Teilhabe hat Russland Atomwaffen in Belarus stationiert. Dass ab 2026 die USA neue Atomwaffen in Deutschland stationieren will, birgt große Risiken.“
Die sogenannte Nukleare Teilhabe besteht aus zwei Bereichen:
- den Konsultationen innerhalb der Nuklearen Planungsgruppe der NATO – mit allen Nato-Mitgliedern außer Frankreich.
- die erweiterte oder auch technisch genannte nukleare Teilhabe besteht daraus, Infrastruktur, Flugzeuge und Piloten zur Verfügung zu stellen, um im Kriegsfall US-Atombomben auf den Gegner abzuwerfen. Nur fünf Staaten der NATO Staaten unterstützen diese erweiterte nukleare Teilhabe, Deutschland, Belgien, die Niederlande, Italien und evtl. die Türkei. Kanada und Griechenland haben die erweiterten Teilhaben beendet und sind dennoch weiter in der NATO und in deren Nuklearer Planungsgruppe. Spanien,Island, Dänemark, Litauen und Norwegen haben sogar die Lagerung von Atomwaffen auf ihrem Gebiet verboten.
Deutsche Sonderrolle
Im Unterschied zu den meisten der 29 NATO-Staaten hat Deutschland eine offensive Sonderrolle: Die sogenannte erweiterte oder technische Teilhabe beinhaltet, dass Deutschland Flugzeuge sowie Piloten und Pilotinnen mit der Bereitschaft zur Verfügung stellt, die Atomwaffen einzusetzen. Außer Deutschland sind nur noch Holland, Belgien, Italien und eventuell die Türkei Teil der erweiterten nuklearen Teilhabe. In Deutschland sitzen zudem die weltweit wichtigsten NATO- und US Army-Einrichtungen außerhalb der USA: Die Planung von Luftangriffen der NATO findet von Ramstein, Kalkar und Uedem aus statt, die schnelle Eingreiftruppe der NATO wird von Ulm aus geleitet. Das größte US-Sonderwaffenlager außerhalb der USA ist in Miesau. Die Fliegerhorste Büchel und Nörvenich sowie der US-Stützpunkt Ramstein haben Vorrichtungen, um US-Atombomben zu lagern und die notwenigen Start- und Landebahnen, um sie auch zum Einsatz zu bringen.
Die Bundesregierung hat damit also eine Mitverantwortung und einen Spielraum für Abrüstung. In Deutschland wird jedoch beinahe alles, was die atomare Rolle betrifft, als geheim eingestuft. Informationen darüber, wie viele Atombomben es in Deutschland gibt, wie diese gelagert und wie sie eingesetzt werden sollen – alles geheim. Selbst Anfragen von Abgeordneten des Bundestages, was eine Flugstunde kostet, wie viel geübt wird: als “Verschlusssache” zu behandeln.
Die Gründe dafür: Es soll nicht bekannt und öffentlich diskutiert werden, welche Planungen es für den Einsatz gibt, dass die möglichen Ziele für von einen Angriff wieder einmal Richtung Osten gehen – wie damals der Beginn des Zweiten Weltkriegs. Dass die humanitären Folgen eines Atomwaffeneinsatzes katastrophal wären und dass wir alle mit unseren Steuergeldern viele Milliarden Euro für Atombomber und die Aufrechterhaltug einer Infrastrukur bezahlen, welche die Welt vernichten kann. Anstatt damit Krankheiten, Armut und Ungerechtigkeit zu bekämpfen und die Klimakrise zusammen zu bewältigen.
Notwendige Debatte
Ein Angriff mit diesen Atombomben wäre, aufgrund der hohen Explosivkraft und Radioaktivität vom mehr als zehnfachen der Hiroshima-Bombe unkontrollierbarer Massenmord. Wer diese Atomwaffen abwirft, geht das Risiko ein, hunderttausende Unschuldige zu töten – durch die Explosion, Strahlung und Feuerstürme und großflächig auch durch den radioaktiven Fallout. Davon abgesehen: Flugzeuge, Pilotenausbildung und Infrastruktur für diese Atomkriegsplanungen sind teuer. Alleine die 30 neuen Kampfbomber und zugehöriges Material, Ausbildung und Wartung, welche als Erstaz für die in die Jahre gekommenen Tornadojets angeschafft werden sollen, kosten viele Milliarden Euro. Bestenfalls werden sie umsonst, im schlimmsten Fall aber zur Tötung hunderttausender Menschen angeschafft.
Wir brauchen in Deutschland die Diskussion um die hier liegenden Atomwaffen und das dahinter stehende Konzept der gegenseitigen Vernichtung – sie sind eine Bedrohung für den Frieden, eine Bedrohung für potentielle Gegner, eine Bedrohung für die Menschen in Europa und Deutschland selbst: weil es Unfälle geben kann, weil die Standorte potentielles Angriffsziel sind, weil die Reichweite der Trägerflugzeuge nicht über Europa hinausreicht. die Diskussion über die Entscheidung, ob Deutschland weiterhin aktiver Teil der atomaren Abschreckung und potenziell offensiver Akteur in einem Atomkrieg sein soll, muss von allen, die hier leben, mitgeführt werden können. Weil alle von einem Atomkrieg betroffen wären, weil es unser aller Steuergelder sind, von denen viele Milliarden Euro für Aufrüstung und anstatt für Kindergärten, Krankenhäusern, Wohnungsbau und dem Kampf gegen die Klimakrise ausgegeben werden.
Diese unbequeme Diskussion führen Parteien nicht gerne öffentlich. Mit der geplanten Modernisierung der atomwaffentragfähigen Kampfjets in Büchel eröffnet sich aber ein wichtiger Raum, die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der nuklearen Teilhabe Deutschlands grundsätzlich in Frage zu stellen. Demokratie braucht auch hier Transparenz, damit sich Bürgerinnen und Bürger bei Wahlen entscheiden können. Und die Entscheidung über Atomwaffen ist gegebenenfalls für alle hier Lebenden existentiell.
Alle bisherigen Regierungen der Bundesrepublik haben das Konzept der nuklearen Teilhabe weitergeführt und die US-Atomwaffen in Deutschland behalten. Und das, obwohl es 2010 schon einen Bundestagsbeschluss gab, sie außer Landes zu bringen. Dieser wurde jedoch nie umgesetzt. Dabei würden Deutschland und Europa ohne diese Atombomben sicherer werden. Deutschland könnte eine Rolle als glaubwürdiger Vermittler für eine Welt ohne Atomwaffen einnehmen.
Der Ausstieg aus der erweiterten Teilhabe und damit der Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen hätte nicht unbedingt Konsequenzen. Er ist mit der NATO konform - wie man an Griechenland, Kanada, Spanien und Dänemark sieht. Ein Komplettausstieg aus der nuklearen Teilhabe wäre sehr interessant. Da es keine Verpflichtung der Mitgliedsländer gibt, wäre eine NATO- Mitgliedschaft weiter möglich. Damit würden wichtige politische Diskussionen über echte oder vermeintliche Sicherheit angestoßen werden.
Greenpeace fordert:
- den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland
- das Ende aller direkten und indirekten Atomwaffen-Optionen durch Deutschland und
- die Unterzeichnung und Ratifizierung des UN-Atomwaffenverbotsvertrags.
Studie Nukleare Teilhabe - Atomwaffen in Deutschland.pdf
Anzahl Seiten: 16
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