Interview: Wann endet der Ukraine-Krieg?
- Ein Artikel von Cornelia Deppe-Burghardt
- mitwirkende Expert:innen Alexander Lurz
- Im Gespräch
Im Krieg Russlands gegen die Ukraine folgt eine Eskalation der nächsten. Auch lässt Putin immer weniger Gas nach Europa. Wie geht es weiter? Fragen an Alexander Lurz, Greenpeace Abrüstungsexperte.
Seit dem 24. Februar führt Russland Krieg in der Ukraine. Das sind fast sechs Monate, in denen zehntausende Menschen gestorben und furchtbare Gräueltaten gegen Zivilist:innen und Soldat:innen geschehen sind
Hat Russland uns mit der erneuten Kürzung der Gaslieferungen nun auch den Wirtschaftskrieg erklärt?
Das politische Spiel mit dem Auf und Zu des russischen Gashahns ist Teil des gesamten aktuellen Konflikts, den Russland mit der brutalen Invasion in der Ukraine begonnen hat. Der Westen hat auf diese Invasion mit harten Sanktionen wie dem Ausschluss Russlands aus dem Bankennetzwerk SWIFT und einer umfangreichen Unterstützung der Ukraine reagiert. Dass Putin nun sein Druckpotential über die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas nutzt, ist wenig verwunderlich. Hier rächt sich die erschreckend naive Energiepolitik der verschiedenen Bundesregierungen seit Anfang der 2000er Jahre, an denen nahezu alle Parteien beteiligt waren. Niemals hätte man sich derart von einer Lieferquelle abhängig machen dürfen. Und natürlich hätte man unter dem Aspekt der strategischen Versorgungssicherheit den Ausbau der erneuerbaren Energien und Energieeinsparungen viel früher vorantreiben müssen.
Wie lange wird der Ukraine Krieg noch dauern?
Das lässt sich einfach nicht sagen. Gegenwärtig scheinen beide Seiten gewillt zu sein, den Krieg fortzusetzen. Die Ukraine plant Gegenoffensiven, um besetzte Gebiete, insbesondere im Süden des Landes, zurückzuerobern, Russland verfolgt im Minimum das Ziel, die gesamte Donbass-Region zu erobern. Zwar haben beide Seiten schlimme Verluste erlitten, gleichzeitig verfügen sie immer noch über große Ressourcen und erschließen auch Neue. Ein schneller Waffenstillstand ist daher nicht wahrscheinlich.
Gibt es eine Perspektive auf Friedensverhandlungen? Falls nein, was ist das größte Dilemma?
Immerhin konnten sich beide Seiten auf Vermittlung der UN und der Türkei auf eine Lösung für den Export ukrainischen Weizens durch das Schwarze Meer einigen. Das zeigt zumindest, dass eine Verständigung in Einzelfragen möglich ist. Ob das Abkommen tatsächlich hält, muss man natürlich abwarten. Ein Hoffnungsschimmer ist es aber definitiv.
Ob ein Friedensschluss gegenwärtig überhaupt in Reichweite ist, ist schwer zu beurteilen. Waffenstillstandsvereinbarungen kommen in der Regel dann zustande, wenn entweder beide Seiten in hohem Maße von den Kriegsanstrengungen erschöpft sind oder eine der beiden Seite vor einer Niederlage steht. Beides ist aktuell nicht der Fall; Rhetorik wie zum Beispiel Ankündigungen konkreter militärischer Vorhaben zeigen eher, dass sowohl Russland als auch die Ukraine noch die Hoffnung haben, weitergehende Kriegsziele zu erreichen.
Mit dem angekündigten Ringtausch schwerer Waffen für die Ukraine scheint es nicht zu klappen. Sollte Deutschland direkt schwere Waffen liefern?
Mit der Panzerhaubitze 2000, den Gepard-Flugabwehrpanzern und dem Mehrfachraketenwerfer MARS II tut die Bundesregierung das bereits. Dazu kommen noch zahlreiche weitere Lieferungen wie die von tragbaren Luftabwehrwaffen und Panzerabwehrwaffen. Das ist schon mal nicht nichts wie häufig suggeriert wird.
Leider ist die Debatte in Deutschland sehr verengt darauf, ob man noch diese oder jene Waffe mehr liefern soll. Deutschland ist zwar ein wichtiger, aber nicht der entscheidende Lieferant. Eine signifikante Ausweitung der Lieferungen ist angesichts der wenigen verfügbaren Systeme in der Bundeswehr und der geringen Lieferfähigkeit der deutschen Rüstungsindustrie außerdem kaum möglich.
Im Übrigen geraten darüber andere, mindestens ebenso bedeutende Fragen in den Hintergrund. Warum friert Deutschland nur in geringfügigem Maße Vermögen von russischen Oligarchen ein? Wohl nicht zuletzt, weil man dafür eine Reihe von Paragraphen ändern müsste, die Deutschland zu einem internationalen Geldwäscheparadies gemacht haben. Ein anderer Punkt, der nicht debattiert wird: Was und mit welchen internationalen Partnern könnte Deutschland handeln, um eine Verhandlungslösung voranzutreiben? Wenn darüber mit gleicher Leidenschaft diskutiert würde, wäre man bereits weiter.
Was kritisiert Greenpeace angesichts der Bedrohung durch Russland daran, dass Deutschland wieder mehr in die eigene Verteidigung investieren will?
Deutschland hatte bereits vor dem Krieg den weltweit siebtgrößten Militärhaushalt. Er stieg seit 2014, als Russland die Krim annektierte, um knapp 50 Prozent von 32 Milliarden Euro auf rund 47 Milliarden Euro. Dass der Bundeswehr trotzdem einiges fehlt, liegt an einem desolaten Beschaffungswesen, dass viel zu viel Geld für Rüstungsgüter verschwendet, die dann verspätet, in minderer Qualität und zu teuer von der Rüstungsindustrie ausgeliefert werden. Hinzu kommt: Die Bundeswehr wurde in den letzten Jahrzehnten aufwändig von einer Armee zur Landesverteidigung zu einer weltweiten Einsatzarmee umgebaut. Das ist erstens kostspielig. Zweitens hat man nun eine Armee, die über Waffensysteme verfügt, die gerade weniger gebraucht werden, solche aber, die gerade benötigt würden, nicht oder in nur geringer Zahl besitzt. Zugespitzt: die Marine kann jetzt Piraten am Horn von Afrika jagen, hat aber nicht immer genug seetüchtige U-Boote zur Verfügung, um die Ostsee abzusperren.
Gasmangellage, hohe Inflation: Ist der Krieg in der Ukraine eine Gefahr für unsere Demokratie und unseren Wohlstand?
Durch die massiv gestiegenen Energiekosten, insbesondere für Gas, drohen weitere Millionen Menschen in Deutschland in die Armut abzurutschen. Das ist in jedem einzelnen Fall eine persönliche Tragödie. Natürlich gefährdet dieses dann im Weiteren auch die Demokratie. Ein System, das Millionen Menschen nicht vor unverschuldeter Armut schützen kann, hat - womöglich entscheidend - Glaubwürdigkeit verspielt. Es ist daher absolut notwendig, all diese Menschen zu unterstützen. Das ist natürlich kostspielig. Aber das Geld ist da. Ob man nun per Übergewinnsteuer die unmoralischen Krisengewinne mancher Unternehmen abschöpft - Konzerne wie RWE oder Shell haben Millionen im letzten halben Jahr verdient - oder von den 100 Milliarden für die Bundeswehr gleich wieder ein paar Milliarden abschöpft - Wege gibt es einige.
In Deutschland sind US-amerikanische Atomwaffen stationiert. Greenpeace fordert deren Abschaffung. Braucht es die aber jetzt nicht, um Putin abzuschrecken?
Die in Büchel gelagerten Atombomben sind Gefechtsfeldwaffen. Sie dienen nicht, wie z.B. Interkontinentalraketen oder Atomraketen auf U-Booten, der strategischen Abschreckung. Die Flugzeuge, die diese Atombomben in Büchel in ihr Ziel fliegen würden, haben zudem eine geringe Reichweite. In ihrem Radius befinden sich keine russischen Entscheidungszentren. Abschreckend wirken sie daher nicht. Allerdings machen sie umgekehrt Deutschland zu einem potentiellen Ziel in einem atomaren Schlagabtausch, da die Atomwaffenbasis in Büchel dann mit hoher Wahrscheinlichkeit vernichtet würde.
Könnte Deutschland die Atomwaffen einfach entfernen?
Ja, ohne Einverständnis kann die nukleare Teilhabe, auf deren Basis die US-Atombomben in Deutschland stationiert sind, nicht fortgesetzt werden. Entsprechend müssten die Bomben abgezogen werden.
Welche Fortschritte sind im Umgang mit Atomwaffen nötig?
Der Ukrainekrieg, das ist eine Tragödie innerhalb der größeren Tragödie, wird die atomare Abrüstung wahrscheinlich erschweren. Für die Staaten weltweit, die nicht über Atomwaffen verfügen, zeigt der Krieg die Dringlichkeit, Atomwaffen endlich abzuschaffen. Immerhin sind hier Russland als Atommacht direkt, und mit den USA, Frankreich und Großbritannien drei weitere Atommächte indirekt als Unterstützer der Ukraine beteiligt.
Eine atomare Eskalationsgefahr ist einem solchen Szenario sicher gegeben. Ihre Atomwaffen erlauben einigen Staaten wie Russland und den USA ein sehr weitgehendes Handeln. Russland konnte auch unter dem Schutz seiner Atomstreitmacht diesen Krieg beginnen, die USA können unter dem Schutz ihrer Atomwaffen sehr weit in der Unterstützung der Ukraine gehen. Das dürfte auf beiden Seiten die Bereitschaft senken, demnächst atomar abzurüsten.
Wer zahlt den Wiederaufbau der Ukraine?
Was sollte in erster Linie der Aggressor, also Putins Russland, zahlen. Da dieses sicherlich nicht freiwillig geschehen wird, müssen die bestehenden Möglichkeiten genutzt werden, Auslandsvermögen des russischen Staates und auch solches der Kreml-treuen Oligarchen dafür zu verwenden. Und selbstredend braucht es darüber hinaus die starke Unterstützung der EU- und anderer westlicher Staaten.