Atombombenabwurf auf Nagasaki: Das Erbe Oppenheimers
- mitwirkende Expert:innen Christoph von Lieven
- Im Gespräch
Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Nagasaki: Welche Bedeutung hat Oppenheimers Vermächtnis für die aktuelle Atombomben-Thematik? Greenpeace-Experte Christoph von Lieven im Gespräch.
Greenpeace: Du bist Atomwaffen-Experte bei Greenpeace. Heute ist der Jahrestag des Bombenabwurfs in Nagasaki, gleichzeitig bewegt viele der aktuelle Film „Oppenheimer“. Warum ist das Thema gerade heutzutage so wichtig?
Christoph von Lieven: Nur drei Tage nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima warf die US-amerikanische Regierung am 9. August 1945 die Atombombe "Fat Man" über Nagasaki ab. Sie tötete etwa 70.000 Menschen und verletzte 75.000 weitere. Der brutale Angriff auf beide Städte führte zur Kapitulation Japans am 15. August 1945 und machte Hiroshima und Nagasaki zu Symbolen des Friedens. Sie erinnern bis heute an die schrecklichen Auswirkungen von Atomwaffen. Der Jahrestag sollte uns allen eine Mahnung für die Zukunft sein.
Der Film “Oppenheimer” hat deshalb auch an diesem Jahrestag eine wichtige Bedeutung. Über 1,4 Millionen Menschen in Deutschland haben ihn bereits gesehen. Erstmals seit vielen Jahren findet wieder eine breite Auseinandersetzung über das Thema statt: Wie kann es zum Einsatz einer solch zerstörerischen Waffe kommen? Welche moralische Verantwortung trägt wer für unschuldige Opfer? Wer trifft die Entscheidungen über den Einsatz vorhandener Waffen?
Ein ebenfalls hochproblematisches Thema, das über den Film hinaus geht, sind die katastrophalen humanitären und ökologischen Folgen des Uranabbaus, der für solche Bomben benötigt wird. Wir dürfen etwa nicht vergessen, dass mehr als 70 Prozent der globalen Uranreserven sowie viele Gebiete, die für Atomwaffentests genutzt wurden, in den Regionen von indigenen Gemeinschaften liegen, die damit ihre Heimat verlieren.
Greenpeace: Atombomben sind seit 1945 in der Welt. Wie bekommen wir sie wieder weg?
Christoph von Lieven: Um Atombomben aus der Welt zu schaffen, gab es in der Vergangenheit bereits unterschiedliche Bemühungen. Eine unter ihnen: der Nichtverbreitungsvertrag von 1968. Er hatte das Ziel, die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Doch aufgrund der Tatsache, dass einige Länder Atomwaffen besaßen und andere nicht, konnte dieser Vertrag nie erfolgreich umgesetzt werden. Ursprünglich gab es fünf Staaten mit Atombomben, heute sind es bereits neun.
Die Zivilgesellschaft hat sich ebenfalls organisiert, um der Verbreitung von Atombomben etwas entgegenzusetzen: Es waren die Ereignisse von Hiroshima und Nagasaki sowie die mehr als 2.000 Atomwaffentests in den nachfolgenden Jahrzehnten, die zur Entstehung verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen führten. Diese Organisationen, zum Beispiel “Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges”, “das Internationale Friedensbüro” und Pugwash setzen sich für den Frieden und die atomare Abrüstung ein. Greenpeace entstand ebenfalls als Reaktion auf Atomtests.
Im Jahr 2014 gründete “Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges” die ICAN-Kampagne zur Ächtung von Atomwaffen (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons). Mit der Unterstützung Österreichs gelang es ICAN im Jahr 2017, in der UN-Vollversammlung eine beeindruckende Resolution für ein Verbot von Atomwaffen (Atomwaffenverbotsvertrag, AVV) zu erwirken. Diese Resolution wurde von 122 Staaten beschlossen und von 68 Staaten ratifiziert. Heute arbeiten zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter auch Greenpeace, daran, mehr und mehr Staaten zur Unterschrift zu bewegen und damit eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen.
Greenpeace: Welche Rolle spielt Deutschland beim Thema Atomwaffen?
Christoph von Lieven: Deutschland bekennt sich zur “nuklearen Teilhabe”. Dies bedeutet, dass seit den 1950er Jahren hier US-Atomwaffen stationiert sind, die im Kriegsfall von deutschen Soldat:innen eingesetzt werden können. Bis heute liegen rund 20 Atombomben in Büchel, Rheinland-Pfalz. Auch hat Deutschland den Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) nicht unterzeichnet. Stattdessen beschlossen SPD, Grüne und FDP im Jahr 2022 den Kauf neuer F-35-Bomber für über 8 Milliarden Euro als Trägersysteme für diese Atombomben.
Greenpeace: Wird aus dem sogenannten Sondervermögen für die Bundeswehr Geld für atomare Aufrüstung ausgegeben?
Christoph von Lieven: Neben der Investition von über 8 Milliarden Euro für die Anschaffung von F-35-Bombern, die im Ernstfall Atombomben abwerfen sollen, fließen derzeit mehrere hundert Millionen Euro in den Ausbau des Flugplatzes in Büchel, wo die US-Atomwaffen stationiert sind. Zudem soll aus dem Sondervermögen auch die Entwicklung des Kampfflugzeugsystems FCAS (Future Combat Air System) finanziert werden. FCAS ist ein gemeinsames Rüstungsprojekt mit Frankreich und Spanien und soll auch ein Trägersystem für Atomwaffen werden. Die Gesamtkosten bis 2040 werden auf etwa 400 Milliarden Euro geschätzt.
Auch Deutschland trägt also zur weltweiten atomaren Aufrüstungsspirale bei. Und genutzt wird dafür das so genannte Sondervermögen - letztlich sind es Sonderschulden -, das Kanzler Scholz unter dem unmittelbaren Schock über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine durch den Bundestag gedrückt hat.