Interview mit Greenpeace-Textilexpertin Alexandra Perschau
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Knäckebrot, Tomaten, Käse – und ein neues T-Shirt? Mittlerweile gibt es in fast jedem Lebensmitteldiscounter auch Klamotten zu kaufen. Der Verbraucher will es so, die Supermarktketten wollen es noch mehr. Denn es geht um viel Geld: Die Deutschen geben im Jahr mehr als 62 Milliarden Euro für Kleidung aus, von diesem Kuchen wollen alle Händler etwas abhaben.
Doch wie umweltverträglich sind die Textilien von Aldi, Lidl und Co.? Im Herbst 2014 hat sich Greenpeace die Kleidung aus dem Supermarkt genauer angeschaut, mit ernüchternden Ergebnissen: Das beauftragte Labor fand in verschiedenen Stichproben umwelt- und gesundheitsschädliche Chemikalien. Auf Druck der „Detox My Fashion“-Kampagne von Greenpeace haben sich Tchibo, Lidl, REWE, Kaufland und Aldi dazu verpflichtet, in ihrer Textilproduktion bis 2020 auf gefährliche Chemie zu verzichten. Greenpeace beobachtet den Prozess und veröffentlicht heute die zweite Zwischenbilanz. Wir sprachen mit Alexandra Perschau, Greenpeace-Expertin für Textilien, über die Ergebnisse.
Greenpeace: Wie sieht denn die Zwischenbilanz aus? Haben die Supermärkte ihre Mode entgiftet?
Alexandra Perschau: Die gute Nachricht lautet, dass die Unternehmen ihre Versprechen ernst nehmen und zahlreiche Maßnahmen eingeleitet haben, um gefährliche Chemikalien aus ihren Waren zu verbannen. Alle aktualisieren regelmäßig die Schwarze Liste für Chemikalien und sorgen dafür, dass Abwasseranalysedaten öffentlich zugänglich sind. Erste Substanzgruppen sind bereits komplett aus der Herstellung verbannt.
Gibt es große Unterschiede, wie die Ketten mit Chemie in Kleidung umgehen?
Beim Chemikalienmanagement liegen die Supermarktketten dicht beieinander. Tchibo führt die Gruppe an, aufgrund einer besonders vorbildlichen Verbotsliste und umfangreicher Fallstudien zum Ersatz gefährlicher Chemikalien. Dahinter folgt der Discounter Lidl, der als erste Supermarktkette seine Textil- und Schuh-Lieferanten veröffentlicht hat.
Heißt das, es ist es okay, im Supermarkt Textilien zu kaufen?
Wenn es unbedingt ein nagelneues Teil sein muss, ist es in Ordnung bei Tchibo, Lidl, Aldi, Kaufland, Rewe und Penny zuzugreifen. Diese Unternehmen kommen ihrer Verpflichtung zu Entgiften nach. Innerhalb des Sortiments der Supermarktketten sollte man aber Kleidung und Heimtextilien bevorzugen, die zudem aus nachhaltigen Materialien wie Bio-Baumwolle hergestellt sind.
Sind alle Supermärkte so vorbildlich?
Nein. Es gibt immer noch schwarze Schafe unter den Supermärkten, die sich keine Gedanken machen, mit welchen ökologischen und sozialen Folgen Kleidung, Bettwäsche oder Schuhe hergestellt werden.
Metro und Norma sind totale Verweigerer und ignorieren vollkommen ihre Verantwortung für ihre Lieferkette. Edeka schwimmt mit im vom Entwicklungsminister Müller initiierten Textilbündnis, ein transparentes Versprechen zum Entgiften und zur Umstellung auf langlebige und recycelbare Kleidung gibt es aber nicht. Die Supermarktketten mit Detox-Verpflichtung sind da deutlich besser aufgestellt. Sie beweisen: Mode lässt sich auch im großen Stil ohne giftige Chemikalien produzieren. Wer sich hier nicht engagiert, zählt aus Greenpeace-Sicht automatisch zu den Verweigerern.
Unterm Strich: Daumen hoch oder Daumen runter für die Branche?
Mit dem Chemikalien-Teil der Detox-Verpflichtung sind wir zufrieden. Aber die Händler haben sich eben auch verpflichtet, ihre Textilsortimente zukunftsfähig im Sinne des Umwelt- und Ressourcenschutzes zu gestalten. Das ist die schlechte Nachricht: Wir haben genau hingeschaut und müssen feststellen, dass an dieser Stelle das Fazit ernüchternd ausfällt. Einzig Tchibo hat eine umfassende und glaubwürdige Strategie entwickelt. Das Unternehmen setzt bereits beim Design der Produkte an und sammelt mit Pilotprojekten Lernerfahrungen.
Was müsste denn für ein positiveres Resümee beim nächsten Mal passieren?
In einer idealen nächsten Bilanz sähen wir bei den Supermärkten deutliche Fortschritte im Produktdesign. Wirklich innovativ wären Angebote zu modernen Konsumformen – wie leihen, tauschen, teilen. Denn ohne eine Entschleunigung des Konsums von Kleidung werden auch die bisher erzielten Erfolge beim Chemikalienmanagement riskiert.
Ganz grundsätzlich: Anbieter von Kleidung, egal ob im Supermarkt, in den Einkaufsmeilen oder Online-Shops, müssen sich vom Fast-Fashion-Prinzip verabschieden. Kleidung muss wieder die Wertschätzung erfahren, die sie verdient hat. In Anbetracht endlicher Ressourcen kann Mode nicht in Form von Wegwerfware massenhaft umgesetzt werden.
Wie soll das konkret aussehen?
Das Design spielt eine entscheidende Rolle: Wird hier der gesamte Lebenszyklus mitgedacht, also werden Kleidungsstücke oder Schuhe so gestaltet, dass sie leicht repariert und am Ende recycelt werden können? Ein erster Schritt für eine längere Lebensdauer von Kleidung und Schuhen kann ein Reparaturservice sein. Outdoor-Unternehmen wie Vaude oder Patagonia machen bereits vor, dass ein solcher Service möglich ist und auch von Kunden genutzt wird.
Insgesamt ist beim Thema Recycling noch viel Luft nach oben, wenn es um die Wiederverwendung von Rohstoffen innerhalb der Textilindustrie geht. Denn Recycling von Textilien bedeutet heute meist ein Downcycling zu minderwertigen Produkten: Industrieputzlappen oder Isoliermaterial.